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Hermann Stettiner, Rotebühlstr. 145

Hermann Stettiner, geboren am 11.8.1911 in Mühlhausen im Elsass, kam im Alter von sieben Jahren mit seiner Schweizer Mutter Martha Stettiner, geb. Schär, nach Stuttgart, wo er vom 20. Januar 1919 an in der Rotebühlstr. 145 wohnte. Sein Vater Alfred, ein Stuttgarter aus bekannter jüdischer Familie, war als Leutnant am 11.11.1918 im Lazarett von Metz gestorben.

Sein Abitur machte Hermann 1930 an der Friedrich-Eugens-Oberrealschule (heute Friedrich-Eugens-Gymnasium). Bei Prof. Dr. Rieger, der ihn als einen sympathischen jungen Menschen von gutem Charakter” in Erinnerung behielt, erwarb er im Frühjahr 1934 sein Diplom in Volkswirtschaft an der Universität Tübingen. Im gleichen Jahr heiratete er Margot Oppenheimer aus Hamburg, ebenfalls eine Jüdin. Mit ihr wohnte er im Stuttgarter Westen in der Ludwigstr. 83.

Seine Zulassung als Wirtschaftsprüfer und Steuerberater wurde aus „rassischen“ Gründen abgelehnt. Da er seinen Beruf außer für einen jüdischen Kundenkreis nicht ausüben durfte, verschlechterte sich ab 1937 seine finanzielle Situation zunehmend. Um sich über Wasser halten zu können, war er auf wissenschaftliche Hilfsarbeiten angewiesen. So beschäftigte ihn sein Studienfreund Dr. Hans Fink mit dem Sammeln von statistischem Zahlenmaterial.

Am 27.2.1938 emigrierte schließlich Hermanns Frau Margot nach England. Geplant war, dass er bald nachkommen sollte. Doch es kam ganz anders. Nach der Reichspogromnacht im November 1938 wurden die deutschen Juden von einer Verhaftungswelle überrollt. Hermann blieb verschont, da er rechtzeitig untertauchen konnte. Vielleicht halfen ihm hierbei seine Schulfreunde, die ihn die ganze Zeit über unterstützten: Helmut Möllen und Willy Stier aus derselben Abiturklasse wie er.

Als Anfang 1939 Hermann Stettiners Einreisegenehmigung nach England eintraf, kam er voller Hoffnung aus seinem Versteck. Daraufhin verhaftete ihn die Gestapo am 2.2.1939 in der Wohnung seiner Mutter in der Rotebühlstr. 145. Die Gestapo demonstrierte damit ihre Handlungsfähigkeit, war er ihr im November 1938 doch noch entgangen. Auch wusste sie um Hermanns Frau in England. In einer Zeit, in der die jüdischen Mitbürger immer stärker als innere Feinde und Unterstützer der Westmächte verleumdet wurden, passte dieses Detail perfekt in die Propagandalandschaft. So wurde er wegen seines angeblichen „Unternehmens zur Ausspähung von Staatsgeheimnissen” am 30. Oktober 1939 zu lebenslangem Zuchthaus und zum dauernden Verlust der bürgerlichen Ehrenrechte verurteilt. 400 RM, die er bei der Verhaftung bei sich trug, wurden als Entgelt für den Verrat interpretiert und eingezogen. Dieses Geld hatte er aber von Schulfreund Helmut Mollen bekommen, der Hermanns Möbel vor dessen geplanter Abreise verkauft hatte. Hermanns Verurteilung wurde 1958, lange vor der pauschalen Aufhebung der Urteile des Volksgerichtshofs, für Unrecht erklärt.

Hermanns Weg aber führte über die Strafanstalten Ludwigsburg und Garsten in Österreich ins KZ Welzheim, von wo aus er als Jude Ende 1942 nach Auschwitz deportiert wurde. Ein Augenzeuge hat beschrieben, wie er nach kurzer Zeit zusammen mit 20 anderen Häftlingen auf einem Lastwagen von der Baracke zur Gaskammer gefahren wurde.

Der Stolperstein wurde am 16. April 2012 – zusammen mit Schüler/innen des Friedrich-Eugens-Gymnasiums – verlegt.

Recherche und Text: Wolfgang Kress, Stolperstein-Initiative Stuttgart-West
Quellen und Materialien: Archiv Friedrich-Eugens-Gymnasium; Staatsarchiv Ludwigsburg; Stadtarchiv Stuttgart

Im zweiten Stolpersteinbuch hat Werner Abelein das Schicksal des angeblichen Landesverräters Hermann Stettiner ausführlich geschildert.