Vor 85 Jahren wurden jüdische Kinder auch aus Stuttgart nach England in Sicherheit gebracht. Hierzu findet am Donnerstag, den 8. Februar 2024, um 19 Uhr ein Gesprächsabend im Hospitalhof in Stuttgart statt.
Ruth Ur, Kuratorin der Ausstellung „I said, ‘Auf Wiedersehen‘“ im Deutschen Bundestag und Geschäftsführerin des Freundeskreises Yad Vashem in Deutschland, gibt einen Einblick in die Historie des Kindertransports anhand von fünf Familiengeschichten. Sie erzählen sowohl von Zusammenhalt und Solidarität unter der nationalsozialistischen Herrschaft als auch von schmerzlichen Trennungen.
Das Gespräch wird moderiert von Adrienne Braun.
Die Veranstaltung findet im Rahmen der Ausstellung »I said, ‘Auf Wiedersehen‘ – 85 Jahre Kindertransport nach Großbritannien« statt, die vom 31.01.–23.02.24 im Paul-Löbe-Haus des Deutschen Bundestags ausgestellt ist. Bei der Ausstellung handelt es sich um eine Kooperation der Berthold Leibinger Stiftung und des Freundeskreises Yad Vashem e. V.
Jan Sellner berichtet in Zeitung und Nachrichten über 85 Jahre Kindertransporte nach England, die Ausstellung und die Aussicht, sie bald auch in Stuttgart sehen zu können.
Zu den Stuttgarter Kindern, die von ihren Eltern mit einem Kindertransport nach England geschickt worden waren, gehörten Heinz Kahn und Heinz Stern
- Rudolf und Grete Kahn hatten ihre Söhne Heinz und Gert 1939 mit einem “Kindertransport” nach England geschickt. Im Juli 1941 konnten sie selbst in letzter Minute in die USA fliehen. 1944 kamen die Söhne nach. Aus den Kahns wurden die Kandlers, Heinz hieß fortan Henry und arbeitete später als Psychiater mit traumatisierten Kindern und Jugendlichen. Seit den Stolperstein-Verlegungen für seine Großeltern Paul Kahn (2006 Hauptmannsreute) sowie Laura und Martin Loeb (2007 Hohenzollernstraße) reiste er regelmäßig aus den USA an, setzte sich für den Erhalt des Hotel Silber ein und besuchte zahlreiche Stuttgarter Schulen, wo er seine Geschichte erzählte und den Jugendlichen ein einfühlsamer Gesprächspartner war. Henry “Hank” Kandler, dem die Stuttgarter Stolperstein-Initiativen viel zu verdanken haben, verstarb 2023 in New York.
- Heinz Stern kam mit seiner Familie 2006 zur Verlegung der Stolpersteine für seine in Riga ermordeten Eltern Albert und Hertha sowie seine ältere Schwester Ruth aus Israel. Im Juni 1939 war er noch mit einem “Kindertransport” nach England gefahren, dann begann der Krieg und somit gab es für seine Geschwister keine Möglichkeit mehr, der Deportation zu entkommen. Als Kämpfer in der “Jewish Brigade” ist Heinz Stern an der Befreiung von Konzentrationslagern und der Rehabilitation von Überlebenden beteiligt. Im Juli 1945 erfährt er, dass sein Bruder Hermann als einer der ganz Wenigen die Lagerzeit überlebt hat. Beide Brüder konnten sich in Israel neue Existenzen aufbauen … Ariella Sittsamer, die Tochter von Heinz Stern, hat anlässlich der Stolperstein-Verlegung für Albert, Hertha und Ruth Stern festgestellt:
“Trotz meiner hohen Wertschätzung für dieses Projekt möchte ich deutlich machen, dass nach meiner Ansicht diese riesige und ganz besondere Initiative vor allen Dingen an die Menschen in Deutschland gerichtet ist, gegen die bösen Stimmen, welche versuchen, die Vergangenheit auszulöschen.
Der Sinn der Steine besteht nicht nur darin, an die Vergangenheit zu erinnern, sondern in erster Linie als Warnzeichen für Aufgaben, die heute anstehen. Die Erinnerung an die Vergangenheit muss ein Zeichen sein für die ungeheure Verantwortung des Landes bei Entscheidungen jetzt und in der Zukunft.”
Mehr zur Geschichte der Kindertransporte kann hier nachgelesen werden…
Schicksale von Menschen, die ihre Kinder retten konnten, aber selbst von den Nazis ermordet wurden:
- Berta & Ernst Levi / Hannelore Levi
Hannelore war 1939, im Alter von 11 Jahren, mit einem Kindertransport nach England gekommen. Ihre Eltern versuchten, sie mit dem Schwindel zu trösten, dass es nur eine Urlaubsreise sein würde, und man sich nach dem Krieg wiedertreffen würde.
Als Deutsche wurde Hannelore in Großbritannien nicht gerade herzlich aufgenommen; sie lebte in verschiedenen Pflegefamilien, bevor sie bei Sheila und Keith Johnson in Leeds so etwas wie ein neues Zuhause fand. 1945 erhielt sie die Nachricht vom Tod ihrer Eltern. - Jakob & Klara Greilsamer / Heinz & Hannah Greilsamer
Siebzig Jahre sind vergangen, seit die beiden Geschwister Heinz und Hannah Greilsamer mit einem Kindertransport von Ludwigsburg zum Schulbesuch nach England gebracht wurden. Ihre Eltern, Jakob und Klara Greilsamer, hatten sich zu diesem Schritt entschlossen, um ihre Kinder in Sicherheit zu bringen.
Es wurde für die Kinder und ihre Eltern ein Abschied für immer. Jakob und Klara Greilsamer und die Großmutter Sara Ottenheimer wurden deportiert. Sie sind im Konzentrationslager Auschwitz ermordet worden. - Max Helfer / Sigrid & Ingeborg Helfer
Die Quäker und die jüdischen Gemeinden hatten Transporte vorbereitet. Die Eltern, die noch in Briefkontakt stehen, sind hin und her gerissen, die Verwandten der Mutter, vor allem die Tante, bis zuletzt dagegen. Doch die jüdische Gemeinde drängt. „In ein paar Wochen, wenn alles vorbei ist“, so die letzten Sätze der Mutter bei der Verabschiedung am Stuttgarter Hauptbahnhof, „holen wir euch in England wieder ab“. Und mit „wir“ meinte sie sich und ihren Mann. Mit dem letzten Kindertransport verlassen Sigrid und Ingeborg Helfer dann kurz vor Kriegsbeginn das Deutsche Reich…
An Julius Wissmann, damals Geschäftsführer der Israelitischen Gemeinde Württembergs und einer der maßgeblichen Organisatoren der Kindertransporte, und seine Familie erinnern seit Juli 2020 Stolpersteine in der Neuen Weinsteige 1.