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Amalie Friedmann, Feuerseeplatz 5

Amalie Friedmann wurde am 29.12.1871 in Sieniawa, Polen, als Tochter von Baruch und Sarah Silber geboren. Sie heiratete den aus dem pommerschen Thorn stammenden Kaufmann Israel Friedmann. Das Paar wohnte eine Zeitlang in München, wo ihre ersten drei Kinder Joseph, Sarah und Bella geboren wurden, ab 1902 in Stuttgart, wo 1916 das vierte Kind Werner auf die Welt kam. Israel Friedmann betrieb mehrere Geschäfte, so für Gummisohlen und Gummiabsätze; tatsächlich arbeitete er mehr als Zwischenhändler, nach späterer Auskunft des Sohns als Generalvertreter der in Frankfurt a.M. ansässigen Liga Gummiwerke.

Die Familie lebte in der Calwer Straße und der Torstraße, ab 1918 dann im Haus Nr. 5 A am Feuerseeplatz in Stuttgart-West. Dort wurde der Sohn Werner groß. Von seinen Geschwistern weiß man, dass Bella 1920 nach Pforzheim heiratete; ihre Kinder waren nur wenig älter als Werner. Am Feuerseeplatz, an einem der schönsten Orte des Stuttgarter Westens, genoss die Familie eine Periode der Sicherheit und des bürgerlichen Wohlstands. Damit war es zunächst in wirtschaftlicher Hinsicht um 1929 vorbei, als Israel Friedmann von der weltweiten Wirtschaftskrise betroffen wurde, in der er, wie sein Sohn in den Wiedergutmachungsakten schildert, einiges Vermögen verlor. Vielleicht war dies, oder auch die kleiner gewordene Familie, der Grund dafür, dass die Friedmanns 1930 in eine Dreizimmer-Wohnung in der Seestraße 36 umzogen. Israel Friedmann starb bereits kurz darauf, 1931, und wurde auf dem Jüdischen Pragfriedhof beerdigt. Auf dem Grabstein wurde nach dem Krieg auch Amalies Name eingraviert, die ein schreckliches Schicksal erleiden musste und nach Jahren der Demütigung in Theresienstadt ihr Leben verlor.

In der Seestraße lebte Amalie Friedmann ab 1931 allein oder in Gesellschaft ihres Sohnes Werner, der 1936 zwanzig Jahre alt wurde. Beide hatten die Stigmatisierung als Juden und die fortschreitende Einschränkung ihrer bürgerlichen Rechte zu ertragen. Um 1937 wurden sie gezwungen, die Wohnung in der Seestraße 36 zu verlassen und in eine kleinere Wohnung in der Schlossstraße 12A zu wechseln. Verwandte erinnern sich, dass Amalie in der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 zehn Menschen rettete, vielleicht indem sie ihnen Schutz vor den Schlägertrupps bot oder sich diesen entgegenstellte. Werner engagierte sich für eine jüdische Hilfsorganisation, die jüdischen Bürgern bei der Ausreise half. Ihm selbst gelang im August 1939, kurz vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, mit einem polnischen Pass und einem Visum des amerikanischen Konsulats in Stuttgart die Emigration in die USA.

Seine Mutter musste in Stuttgart zurückbleiben. Ihr einziger Besitz war einiger Schmuck, den sie als polnische Staatsbürgerin zunächst nicht abliefern musste; vielleicht hat sie ihn später in der Not verkauft, um zu überleben, oder er wurde ihr dann doch abgenommen, wie auch ihre Möbel. Von der Schlossstraße musste sie um 1940 in ein sogenanntes Judenhaus in der Olgastraße 75 umziehen. 1942 gelangte sie nach Frankfurt auf die Jüdische Krankenstation im Hermesweg 5-7, die seit der Schließung des dortigen Jüdischen Krankenhauses als ein Altersheim wie Sammelpunkt für die Deportationen diente. Auch Amalie Friedmann wurde von hier am 16. März 1943 nach Theresienstadt deportiert. Dort starb sie nur wenige Tage später am 26. März 1943, im Alter von 77 Jahren.

Ein Bild aus glücklichen Tagen, vermutlich aus der zweiten Hälfte der 1920er Jahre. In der Mitte Werner, rechts sein Vater Israel, links sein Bruder Joseph. Unter den Kindern vermutlich die drei Töchter von Bella. Hinten links Dora, daneben eine Cousine. Amalie liebte Familientreffen wie diese; auch in den 1930er Jahren, als die Umstände immer schwieriger wurden, kam die Familie zu den religiösen Festen zusammen.


Zum Schicksal der Kinder von Amalie und Israel Friedmann:

Joseph, geb. 1894 in München, ab 1902, also ab dem Alter von acht Jahren in Stuttgart lebend, verließ das nationalsozialistische Deutschland in Richtung Paris. Wo er vorher lebte, ist nicht bekannt. In Paris wurde er mit seiner Frau Dora und ihrem gemeinsamen Sohn Meir verhaftet und im Lager Drancy inhaftiert. Von dort erfolgte am 25. September 1942 der Transport nach Auschwitz; als Todesdatum ist der 10. Oktober 1942 dokumentiert.

Sarah, geb. 1896 in München, heiratete Joseph Fuchs und hatte mit ihm einen Sohn, Willie, und eine Tochter, Friedl. Die Familie emigrierte um 1933 über Italien nach Palästina und ließ sich dort in Jerusalem nieder.

Bella, geb. 1898, in München, heiratete 1920 den Kaufmann und Gummiwarenvertreter Moses Stein aus Pforzheim. Sie hatten zusammen drei Kinder: Mina (Mia Lina), geb. 1921, und die Zwillingstöchter Klara und Sally, geb. 1923. Die Zwillinge konnten Anfang 1933 mit der sog. Jugendalijah nach Palästina auswandern. Mina befand sich zu dieser Zeit in einer vom Palästinaamt betriebenen landwirtschaftlichen Ausbildungsstätte in Steckelsberg bei Berlin. Sie sollte auf eine Emigration nach Palästina vorbereitet werden, die dann nicht mehr gelang. Zeitweise musste sie Zwangsarbeit auf den Spargelfeldern bei Bruchsal leisten. Am 13. Juli 1942 hat die Gestapo sie in Steckelsberg verhaftet und nach Auschwitz deportiert, wo sie wahrscheinlich sofort ermordet wurde, 21 Jahre alt. Ihr Vater Moses Stein konnte im Sommer 1939 nach England emigrieren (später lebte er bei seinen Töchtern in Israel, in Ramat Gan). Seine Frau sollte folgen, was jedoch mit Kriegsbeginn unmöglich war. Bella Stein wurde im Oktober 1940 von Pforzheim ins Lager Gurs in Südfrankreich deportiert und von dort am 10. August 1942 nach Auschwitz, in den Tod.
Zwei Kinder, eine Enkelin und ein Enkel (sowie weitere Familienmitglieder) von Amalie Friedmann starben also in Auschwitz, was diejenigen, die sich gerade noch retten konnten, ihr Leben lang stark belastete.

Werner, 1916 in Stuttgart geboren, konnte im Sommer 1939 nach New York emigrieren. 1941 meldete er sich zur Army, wie viele Emigranten aus Deutschland: Es war ein Pluspunkt bei der Einbürgerung. Später lebte Werner mit seiner Frau Marjorie, geb. Cahn, in New Orleans, wo die drei Kinder Lynda, Patricia und Thomas geboren wurden. Werner arbeitete erst in der Versicherungs-, dann in der Möbelbranche; zugleich war er in jüdischen Wohlfahrtsvereinigungen aktiv. 1974 starb er im Alter von nur 57 Jahren an einem Herzinfarkt. Vermutlich hatten auch die Erlebnisse in Deutschland dazu beigetragen, der Tod so vieler Familienangehöriger im Holocaust und die Schwierigkeit, darüber zu sprechen. Heute leben in den USA neben seinen drei Kindern vier Enkel und acht Urenkel.

Am Montag, den 6. November 2023 wurde der Stolperstein für Amalie Friedmann verlegt.

Das Haus Feuerseeplatz 5A wurde im Krieg zerstört und ist heute durch einen Neubau ersetzt. Auch das Haus Seestr. 36, in dem Amalie Friedmann von 1930 bis 1937 lebte, steht nicht mehr. Heute ist die ehemalige untere Seestraße vom Katharinenhospital überbaut.

Recherche und Text: Lynda Friedmann (bei der Verlegung anwesend), Rachel Lasky, geb. Friedmann und Rabbi Thomas Friedmann, USA; Sibylle Bopp, German American Women’s Club, Stuttgart; Susanne Stephan, Stolperstein-Initiative Stuttgart-West.

Quellen: Die Wiedergutmachungsakten für Amalie Friedmann befinden sich im Staatsarchiv Ludwigsburg, die Akten für die Familie Stein im Staatsarchiv Karlsruhe.
Fotos: privat