Bei einer Veranstaltung der Kontext: Wochenzeitung am 22. Juli 2024 im Kulturzentrum Merlin stellten Winfried Hermann, Susanne Büttner, Ulrich Bausch und Thomas Nielebock die von ihnen ins Leben gerufene Initiative “Aufbruch zum Frieden” vor. Ziel der Gruppe ist es, eine gesellschaftliche Debatte über friedliche Strategien zur Beendigung des nun seit mehr als zwei Jahren dauernden Krieges in der Ukraine anzustoßen. Das hierzu verfasste Papier “Wege zum Frieden” wird nachfolgend dokumentiert:
Initiative „Aufbruch zum Frieden“
Wege zum Frieden
Anstöße zu einer notwendigen Diskussion
Der völkerrechtswidrige Angriff von Putins Russland und der Rückgriff der Ukraine auf das
Recht der Selbstverteidigung mit militärischen Mitteln, massiv unterstützt von westlichen
Staaten, bedeutet nun seit mehr als zwei Jahren Krieg in der Ukraine – ein Krieg, der alle
Brutalitäten von Krieg aufweist: das Bombardement nicht nur auf das jeweilige gegnerische
Militär, sondern auch auf Städte, die Infrastruktur des Landes und dessen Zerstörung mit
vielen zivilen Opfern, Folter und Kriegsverbrechen durch russisches Militär. Es starben und
sterben tausende Soldaten und Zivilisten. Das Töten und Sterben scheint kein Ende zu
nehmen – auf beiden Seiten.
Seit über einem Jahr stehen sich Angreifer und Verteidiger im verlustreichen Stellungskrieg
gegenüber, der längst in einen Abnutzungskrieg übergegangen ist. Die Situation erinnert an
den Ersten Weltkrieg und ist doch nur bedingt vergleichbar. Dennoch gehen beide Seiten
davon aus, der gegnerischen Seite eine Niederlage beifügen zu können. Dabei ist
festzustellen, dass die westliche Strategie gegen Putins Russland nicht wie erhofft greift: Der
massive und doch löchrige wirtschaftliche Boykott scheint Russland nicht zu schwächen.
Schnell wurden Ersatzabnehmer (z.B. Indien und China) für Öl und Gas gefunden und
Lieferanten für technische Güter beispielsweise aus China. Russland ließ sich auch nicht
diplomatisch isolieren, Putin hat sogar neue, starke Freunde bzw. Unterstützer gefunden:
China, Indien, Südafrika, Brasilien u.a., die sich allerdings alle eine schnelle
Kriegsbeendigung wünschen. Und außerdem haben die vielen Opfer an russischen Soldaten
aufgrund einer totalen Informationslenkung und inneren Repression nicht zur Schwächung
des Putin-Regimes geführt. Die Hoffnungen der Ukraine und ihrer westlichen Unterstützer,
die völkerrechtswidrig besetzten Gebiete zurück zu holen, sind bislang durch all diese
Maßnahmen nicht erfüllt worden.
Deshalb werden in Politik und Medien, fast im Gleichklang, immer nur mehr Waffen und
Munition zur Verteidigung gefordert: von Taurus Marschflugkörpern bis zu Kampfjets. Aber die
Kriegsdauer und der ausbleibende militärische Erfolg lassen Zweifel und Fragen an dieser
Politik aufkommen: Kann mit immer mehr Waffen der Krieg beendet werden? Der Aufrüstung
der einen Seite zum Zwecke der Verteidigung folgt die Aufrüstung des Angreifers. Wie weit
wird die militärische Aufrüstung gehen? Weitreichende Raketen können Angriffe abwehren,
aber auch bis nach Moskau fliegen. Und werden letztlich doch NATO-Truppen eingesetzt
werden? Wie wird die Atommacht reagieren? Oder generell: Ist es realistisch, dass die
Militärmacht Russland zurückgedrängt und besiegt werden kann? Und was heißt eigentlich
„Sieg“? Und wenn man daran Zweifel hat: Wo bleiben die Ideen für eine politische Lösung
dieses Krieges?
Es wird die Frage nicht gestellt, was nach neuen Waffenlieferungen kommt. Welches Kriegsziel ist
damit (noch) erreichbar? Mit welchen Mitteln? Zu welchem Preis? Mit welchen Eskalationen ist zu
rechnen und wollen wir diese Risiken in Kauf nehmen? Wann und wie könnte es zu einem
Waffenstillstand kommen? Wie viel Leid und Tod kann die Bevölkerung der Ukraine noch ertragen?
Was heißt es „kriegstauglich“ zu sein? Was bedeutet die Erwartung, dass ab 2029 mit einem
russischen Angriff auf NATO-Gebiet zu rechnen ist? Braucht es nicht einen Strategiewechsel zu
mehr Politik und Diplomatie für die Beendigung des Krieges in der Ukraine und des
angenommenen drohenden Krieges zwischen NATO und Russland? Was kann, was müsste
Diplomatie leisten? Wer soll, wer kann diplomatisch moderierend und erfolgversprechend
handeln? Was kann unsere eigene Regierung und was können wir als Teil der Zivilgesellschaft
dafür tun?
Beunruhigend ist es, wie ausschließlich und eindimensional in allen Talkshows und Parlamenten
über einzelne Waffen- und Munitionslieferungen wie in einem Überbietungswettbewerb gestritten
wird. Beunruhigend ist auch, wie unkritisch die militärische Logik in der öffentlichen Diskussion, im
Parlament und in den Medien dominiert. Beunruhigend ist, dass über Politik und Diplomatie nicht
gesprochen wird. Abwägende Zurückhaltung wird als Zögerlichkeit diffamiert, Denkanstöße zu
einer politischen Lösung einhellig in den Bereich des Unsagbaren verbannt. Wer Gedanken zu
einem Waffenstillstand und zu einer nicht-militärischen Beendigung des Krieges äußert, wird
sogleich vielstimmig zum naiven Putin-Versteher abgestempelt, der angeblich das leidende
ukrainische Volk im Stich lässt und Putin zur Besetzung Europas einlädt. Der weitverbreitete
Glaube, den Krieg erfolgreich militärisch zu beenden, scheint ungebrochen.
All diese Fragen stellen sich und wir wissen, dass es keine einfachen Antworten darauf gibt, wie
dieser Krieg beendet und mittelfristig wieder Frieden in Europa erreicht werden kann. Aber
dennoch ist es an der Zeit, endlich offener, weniger dogmatisch, dafür rationaler und
selbstkritischer zu debattieren, ohne damit die ukrainische Bevölkerung zu verraten und Putins
Vorgehen zu rechtfertigen. Das muss in einer Demokratie möglich sein.
Wir beginnen heute die Debatte und laden zu deren Fortsetzung ein.
Winfried Hermann, Susanne Büttner, Ulrich Bausch, Thomas Nielebock
Stuttgart, den 22. Juli 2024
Wer Interesse hat, über die Fortsetzung der Debatte und die Aktivitäten der Initiative “Aufbruch zum Frieden” auf dem Laufenden gehalten zu werden, kann sich unter der Mailadresse aufbruch-zum-frieden@e.mail.de melden!