Artikel von Jan Ulrich Welke
Stuttgarter Nachrichten – 25.08.2024 – 18:00 Uhr
Ludwig, Hannchen, Manfred (Fred) und Erna Uhlman Foto: Stolperstein-Initiativen Stuttgart
Die Uhlmans aus dem Stuttgarter Westen zählten zur wohlhabenden Mittelschicht der Stadt – bis die Nazis ihr Familienglück zerstörten. Aus unserer Serie „Stuttgarter Stolpersteine – die Menschen hinter den Namen“.
Prächtig ragt es direkt am Hölderlinplatz empor, das Wohnhaus in der Hölderlinstraße 57, eines der vielen Gründerzeithäuser im Stuttgarter Westen, die dort rund um die Jahrhundertwende erbaut wurden und dessen Fassade mit der zeittypischen Lust am Ornament verziert ist. Erblickt man das Haus, das die Zeiten unbeschadet überstanden hat, ahnt man den Stolz, der Ludwig Uhlman erfasst haben muss, als er es im Jahr 1918 kaufte. Ludwig Uhlman betrieb zu jener Zeit mit seinen beiden Brüdern Oskar und Richard das Baumwollgeschäft, das sein Vater gegründet hatte. Stuttgart war schon lange Heimat der Uhlmans (die schon im 18. Jahrhundert den Namen ihrer Familie von Ullmann zu Uhlman änderten). Als Geschäftsleute zählten sie zur wohlhabenden jüdischen Mittelschicht der Stadt.
Die Ursprünge der Familie Uhlman indes liegen in Freudental, auf halber Strecke zwischen Ludwigsburg und Heilbronn gelegen, wo die einstige Mätresse des württembergischen Herzogs Eberhard Ludwig, Wilhelmine von Grävenitz, um das Jahr 1730 herum so genannte herzogliche „Schutzjuden“ siedeln ließ. Die dortige Synagoge wurde 1750 von David Ullmann, dem Vorsteher der jüdischen Gemeinde, erweitert und weitere zwanzig Jahre später durch einen Neubau im klassizistischen Stil ersetzt, der wiederum in der Pogromnacht 1938 größtenteils zerstört wurde.
Fünf zerstörte Leben
Zerstört wurde im „Dritten Reich“ auch das Leben der Familie Uhlman, gleich fünf in den Bürgersteig eingelassene Stolpersteine erinnern an ihr Schicksal, das traurig und wütend zugleich macht. Dem Baumwollhändler Ludwig Uhlman, Jahrgang 1869, und seiner Frau Johanna – genannt Hannchen – Uhlmann, geborene Grombacher und Jahrgang 1879, sind die ersten beiden der dortigen Stolpersteine gewidmet. Unter der Naziherrschaft hat man das Ehepaar im Verlauf des Zweiten Weltkriegs zunächst enteignet und in das jüdische Zwangsaltersheim Dellmensingen auf der schwäbischen Alb gesteckt. Am 22. August 1942 wurden sie mit vielen anderen Menschen am Stuttgarter Nordbahnhof zusammengepfercht und in das Ghetto von Theresienstadt deportiert. Dort endete ihr Martyrium in unsäglichen Umständen, sie starben an Unterernährung und Ruhr, wie Zeitzeugen berichteten.
Stuttgarter Stolpersteine – Die Menschen hinter den Namen
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Oskar Uhlman Foto: privat/S. Bouché, Stolperstein-Initiative
Ludwigs Bruder Oskar, dem der dritte der Stolpersteine gewidmet ist, wohnte als Witwer bis 1939 ebenfalls in dem Haus Hölderlinstraße 57, danach gezwungenermaßen unter der Adresse Im Kaisemer 25 im Haus seines Vetters Max Elsas, der in die USA emigriert war. Oskar schickte seine Kinder ins Ausland, blieb aber selbst zunächst in Stuttgart, wo er den Baumwollhandel forttrieb, auch um die Angehörigen zu unterstützen. Auch er wurde zwangsweise in ein „jüdisches Altersheim“ auf der Alb umgesiedelt, in ein altes Herrenhaus in Tigerfeld.
Seine Frau Hedwig, geborene Löwenthal, starb bereits 1934; auf ihrem Grabstein auf dem israelitischen Teil des Stuttgarter Pragfriedhofs wurde eigens Platz gelassen für den nachfolgenden Ehemann. Doch dieser Platz blieb leer. Am 15. August 1942 traf in Tigerfeld die Deportationsnachricht ein, Oskar wurde wie sein Bruder und seine Schwägerin am 22. August 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo er wie seine Anverwandten unter den gleichen unsäglichen Umständen starb.
An jenem 22. August 1942 sollte übrigens, als bittere Randnotiz muss auch dies vermerkt werden, Oskars Schwiegermutter Fanny Löwenthal aus der nicht weit von der Hölderlinstraße entfernten Hegelstraße 62 ebenfalls abgeholt werden. Die Nazis schreckten nicht einmal davor zurück, eine fast 87-jährige Frau zu deportieren. Dem Stress und der Todesangst war die ältere Dame nicht mehr gewachsen, ausweislich des Totenscheins starb sie – noch bevor der Zug aus Stuttgart losrollen konnte – um 17.30 Uhr an einem Herzschlag.
Der vierte und fünfte Stolperstein vor dem Haus in der Hölderlinstraße 57 sind der Tochter und Enkeltochter von Ludwig und Hannchen Uhlman gewidmet, Erna und Tana Uhlman. Die lebenslustige Erna heiratete 1926 einen Bankbeamten aus Mannheim, es war eine romantische Liebe, die Eltern mussten ständig zum Lebensunterhalt zuschießen. Das Paar ließ sich 1939 gezwungenermaßen scheiden, um Nachteile für den nicht-jüdischen Ehemann Otto Dietz zu vermeiden – mit fatalen Konsequenzen für Erna, die nun nicht mehr durch einen „arischen“ Ehemann protegiert war, mit dem sie weitaus bessere Chancen gehabt hätte, das Grauen zu überleben. Sie wechselte häufig die Adresse, machte mehrere Anläufe zur Emigration, im Mai 1942 schließlich brachte sie in Stuttgart ihr einziges Kind zur Welt, dessen Vater unbekannt blieb. Tana, den Namen ihrer Tochter, musste sie aus einer von den Nazis aufgestellten Namensliste für jüdische Neugeborene auswählen.
Auch Erna Dietz und ihr Baby haben die Schreckensherrschaft der Nationalsozialisten nicht überlebt. Das Jewish Search Centre in London teilte 1946 auf Anfrage mit: „Dietz, Erna wurde mit ihrem Kind Tana am 13.7.1942 nach Auschwitz deportiert. Weitere Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen“. Das wurden sie auch nie, „der Verlauf dieser Deportation von Stuttgart aus ist heute noch unklar“, berichtete die „Stuttgarter Zeitung“ im Vorfeld der Stolpersteinverlegung im Jahr 2013. In der Zeitschrift „Die Justiz“ sei im August 1965 das Schicksal jüdischer Juristen untersucht worden, zu Erna Uhlman – der Schwester des Juristen Fred Uhlman – hieß es dort: „So viel bekannt geworden ist, hat sie sich mit ihrem Kind in Breslau unter den Zug geworfen“.
Ein einziger Überlebender
Der gelernte Jurist und spätere Maler und Schriftsteller Fred Uhlman, der Sohn von Ludwig und Hannchen, Bruder von Erna, Neffe von Oskar und Onkel von Tana, ist der einzige der engeren Familie Uhlman aus der Hölderlinstraße in Stuttgart-West, der den Naziterror überlebt hat. Fred machte 1920 am Eberhard-Ludwigs-Gymnasium Abitur, studierte in Tübingen Jura und arbeitete nach seiner Promotion 1926 zunächst als Rechtsanwalt in Stuttgart.
Der jüdische Sozialdemokrat musste schon 1933 nach Frankreich emigrieren, heiratete anschließend in London eine Britin und war dort – nach der Kriegserklärung Großbritanniens an Deutschland 1940 – als „feindlicher Ausländer“ in der berühmten Künstlerkolonie auf der Isle of Man interniert, unter anderem mit Kurt Schwitters. In der Nachkriegsära feierte er als Schriftsteller internationale Erfolge, unter anderem mit seiner 1971 veröffentlichten Erzählung „Reunion“, die 1989 nach einem Drehbuch des späteren Nobelpreisträgers Harold Pinter auch verfilmt wurde. Die erzwungene Emigration als größter Bruch in seinem Leben sowie die nagende Pein, das Schicksal seiner Familie nicht verhindert haben zu können – sie aber begleiteten Fred Uhlman, den einzigen Überlebenden, sein ganzes Leben lang.