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Stolperstein in Stuttgart-Stammheim: „Dann wäre der Krieg gleich zu Ende”

Artikel von Olivia Denner
Stuttgarter Nachrichten 08.09.2024 – 18:00 Uhr


Gustav Stange verweigerte den Kriegsdienst und bezahlte dafür mit seinem Leben. Foto: Stolperstein-Initiativen Stuttgart

Wo heute RAF-Terroristen ruhen, ließ das NS-Regime einst Menschen mit Maschinengewehren erschießen. Gustav Stange war einer davon – weil er nicht kämpfen wollte und den Hitlergruß verweigerte. Aus unserer Serie „Stuttgarter Stolpersteine – die Menschen hinter den Namen“.

Wo 1942 der Kriegsdienstverweigerer Gustav Stange mit Maschinengewehren erschossen wurde, ruhen heute die RAF-Terroristen Andreas Baader, Gudrun Ensslin und Jan-Carl Raspe. Bevor die Dornhalde 1974 zum Friedhof umgebaut wird, üben dort Soldaten den Umgang mit Gewehren – sie ist ein Schießplatz.

Selbst Bundeswehr-Soldaten lernten hier noch das Schießen. Heute erinnert an die frühere Funktion nur noch das alte Garnisonschützenhaus, das 1893 und 1894 erbaut wurde. Der Verein „Garnisonsschützenhaus – Raum für Stille“ setzt sich für den Erhalt des Gebäudes und Geländes sowie die Erinnerung an das hier Geschehene ein. Der Ort soll zudem für die Nutzung durch Vereine umfunktioniert werden, erklärt Bertram Maurer, der im Verein als Experte für die Geschichte der Dornhalde gilt.

21 Opfer sind bekannt – bis jetzt
Als Gustav Stange 1942 hier im Alter von 38 Jahren stirbt, gibt es auf der Dornhalde neben normalen Schießständen auch einen für Maschinengewehre. Sie werden damals von der Wehrmacht nicht nur zu Übungszwecken genutzt, sondern auch als Hinrichtungsort.

Heute erinnert ein Stolperstein vor dem Haus in der Münchinger Straße 5 an Gustav Stanges Schicksal. Dort wohnte er zusammen mit seiner Frau Emma. Die beiden gehörten zu den „Ernsten Bibelforschern“ beziehungsweise der „Internationalen Bibelforscher-Vereinigung“, heute bekannt als die Zeugen Jehovas.

Sie waren eine der ersten Gruppen, die in der NS-Zeit verfolgt wurden – weil sie nur ihrem Gott folgen wollten und nicht einem weltlichen „Führer“. Daher verweigerten sie unter anderem den Hitlergruß und lehnten den Wehrdienst und das Töten ab. Es lasse sich nicht mit der Bibel vereinen, so ihre Überzeugung.


Am 8. Mai 2007 wurde der Stolperstein vor seinem Wohnhaus in der Münchinger Straße 5 verlegt. Foto: Stolperstein-Initiativen Stuttgart

So auch Gustav Stange. Er kam im Oktober 1903 in Oppenweiler (damals Kreis Backnang) zur Welt und arbeitete bei der Schuhmacherei Schlegel in der Böblinger Straße 103. Dort galt er als fleißig und gewissenhaft. Bei seiner Einberufung am 20. Januar 1942 verweigerte er den Kriegsdienst. Während der darauf folgenden Gerichtsverhandlung soll ihn der Hauptmann gefragt haben, wie es denn wäre, wenn alle das machen würden. „Dann wäre der Krieg gleich zu Ende”, soll Stange erwidert haben.

1933 lebten in Deutschland in etwa 25 000 Zeugen Jehovas. Um die 1 200 wurden während der NS-Zeit ermordet. Viele von ihnen kamen in Konzentrationslager, wo sie ein kleines lila Stoffdreieck – den „lila Winkel“ – tragen mussten.

Die Aufarbeitung dieser verfolgten Randgruppe erfolgte erst spät und ist noch nicht abgeschlossen. In Stuttgart ist Gustav Stange der bislang einzige Zeuge Jehovas, an den ein Stolperstein erinnert.

„Sende Dir die letzten Grüße von der irdischen Welt“
Der evangelische Pfarrer Rudolf Daur besuchte Gustav Stange noch kurz vor seiner Hinrichtung. Durch einen Brief von Pfarrer Daur an Emma Stange, wissen wir heute, wie Gustav Stange auf sein Todesurteil reagiert haben solle: „Er blieb vollkommen ruhig, kleidete sich um, packte seine Sachen ein, pünktlich und sorgfältig, als ob er eine Reise antreten wollten; wir beteten noch zusammen“.

Der Pfarrer berichtet in dem Brief auch, dass er versucht habe, mit Stange über seine Einstellungen zu sprechen. Der habe bis zuletzt zu seinem Glauben und seinen Überzeugungen gestanden. „Dann ging er getrost, ja freudig den letzten Weg“ – den Weg zur Dornhalde.

Am 20. Februar 1942 um 8 Uhr 20 wurde Gustav Stange dort erschossen.

Die ehemaligen Schießstände auf dem heutigen Friedhof Foto: Stadt/messungsamt Stuttgart/ Bearbeitung: Betram Maurer

Kurz vor seinem Tod schrieb er noch einen Brief an seine Frau. Darin heißt es „Meine liebe Emma! Heute Morgen kam das Gericht und hat mir eröffnet, dass das Urteil vollstreckt wird. Sende Dir die letzten Grüße von der irdischen Welt  . . .  Sei mutig und stark, Dein Gustel.“

Zum Weiterlesen

Serie
Seit Ende Januar veröffentlicht unsere Redaktion in Zusammenarbeit mit den Stuttgarter Stolperstein-Initiativen jede Woche eine Biografie eines Stuttgarter NS-Opfers. Alle Beiträge aus der Serie mit dem Namen „Stolpersteine – die Menschen hinter den Namen“ haben wir auf dieser Seite gesammelt.

Initiativen
Die Gruppe „Stolpersteine für Stuttgart“ besteht aus zahlreichen Ehrenamtlichen, die Biografien von Menschen recherchieren, welche während des Naziregimes entrechtet, verfolgt und getötet wurden. Mehr dazu auf der Stolpersteine-Website.