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Jakob und Hilde Lederer, Böblinger Str. 45

Jakob Hirsch Lederer wurde am 13. März 1890 in Diersburg bei Offenburg in Baden geboren. Seit 1922, da war er 32 Jahre alt, wohnt er nachweislich in Stuttgart. Seine jährlich wechselnden Wohn-Anschriften deuten darauf hin, dass er es schwer hatte, Fuß zu fassen. Als Kaufmann versucht er sich im Tabakhandel und betreibt für drei Jahre (1925-27) ein Zigarrengeschäft in der Augustenstraße.

Seit 1928 führt er nur noch eine Tabakvertretung wohl von seinen oft wechselnden Wohnungen aus – am Feuerseeplatz, in der Hermannstraße, der Seidenstraße, der Gerberstraße – bis er im Jahr 1932 in der Böblinger Straße 45 in einer Erdgeschoss-Wohnung für einige Jahre eine Heimat findet. Seit 1935 firmiert er nur noch als Vertreter, wahrscheinlich hat er durch die Nürnberger Gesetze seine Vertretung für Tabakwaren verloren. Den Lebensunterhalt zu verdienen wird immer beschwerlicher.

1939 muss er von der Böblinger Straße in die Rosenbergstraße 119 umziehen, 1940 weiter in die Hegelstraße 49, in ein sogenanntes “Judenhaus”. Es sind Häuser mit jüdischem Besitzer, in die nach Inkrafttreten des „Reichsgesetzes über die Mietverhältnisse mit Juden“ vom 30.4.1939 jüdische Mieter zwangseingewiesen werden. Sie leben dort eng zusammengedrängt bis zu den 1941 beginnenden Deportationen. Die frei gewordenen Wohnungen werden sofort an „arische“ Familien gegeben.

Zur Ghettoisierung in den Judenhäusern ist die Stigmatisierung durch die Hinzufügung des weiteren Vornamens „Israel“ für männliche Juden, „Sara“ für die weiblichen, hinzugekommen.

In diese Zeit fällt die Eheschließung mit Hilde, am 31. Oktober 1941 beim Standesamt Stuttgart. Hilde Lederer, geb. Wollenberger wurde am 4. August 1913 in Heilbronn geboren. Sie hatte drei ältere Brüder, einer starb 1939 in Stuttgart, Hans Wollenberger hatte auch in Stuttgart geheiratet und war nach den USA emigriert, wo er als Hank J. Wilbur in Kalifornien lebte, Paul Wollenberger konnte sich nach Basel in die Schweiz retten.

Da ab 1939 Juden nicht mehr mit „Ariern“ zusammen in Häusern im Besitz von Nichtjuden wohnen sollten, wurden sie von der NSDAP, der Stadtverwaltung und der Gestapo zwangsweise in noch in jüdischem Besitz befindliche Häuser eingewiesen und dort nach und nach konzentriert, bis zu ihrer Deportation ab 1941.

Anders als in den meisten von Deutschland eroberten Ländern wurden auf explizites Verbot Hitlers in Deutschland keine Ghettos errichtet, weil es das erste judenfreie Land sein sollte. De facto waren die „Judenhäuser“ aber eine Form der physischen und gesellschaftlichen Ghettoisierung der Juden in Deutschland.

Im städtischen Verwaltungsbericht 1941, der von Oberbürgermeister Dr. Strölin in der öffentlichen Ratsherrensitzung am 8. Januar 1942 erstattet wurde, heißt es im Abschnitt „Wohnungs- und Siedlungswesen“ auf S. 17 f.:

„Beim Inkrafttreten des Reichsgesetzes über die Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939 lebten in Stuttgart 2096 Juden in 721 Wohnungen. Durch die auf Grund dieses Gesetzes und späterer Anordnungen durchgeführten Maßnahmen konnten bisher rd. 600 Wohnungen dem Wohnungsmarkt zur Unterbringung arischer Familien zugeführt werden.“

Die beiden Brüder betrieben nach 1945 die Wiedergutmachung für ihre Schwester. Ihren Ausführungen ist nur wenig über das Aufwachsen und frühere Leben der Hilde Lederer zu entnehmen. Ihr Vater starb, als Hilde erst 12 Jahre alt war. Die Mutter, Tolz genannt Fanny Wollenberger, wurde am 22. August 1942 mit dem Transport vorwiegend alter Menschen nach Theresienstadt deportiert, wo sie vier Monate später starb.

Für Jakob Hirsch Lederer fand sich wohl niemand, der ihm zu einem späteren Rehabilitierungs-Versuch verhelfen konnte. Vielleicht hat niemand aus seiner Herkunftsfamilie die Verfolgung überlebt.

Wie lange sich Jakob und Hilde schon kannten, ob sie bereits zusammen in der Böblinger Straße wohnten und sich angesichts des immer näherrückenden und erahnten Endes ihres Lebens erst am 31. Oktober 1941 das Jawort vor dem Standesamt gaben, sind nur Vermutungen.

Das Ende ihrer beider Leben kam bald. Mit dem ersten Stuttgarter Transport nach dem Osten wurden sie am 1. Dezember 1941 nach Riga deportiert. Dort verliert sich ihre Spur. Ob sie das Eingangslager Jungfernhof trotz Hunger und Kälte überlebten oder der Massenexekution im Wald bei Bikernieki im März 1942 zum Opfer fielen oder ob sie weiter in die vielen anderen Lager um Riga gebracht wurden, wo man vor allem die noch junge Hilde Lederer zu Arbeiten brauchen konnte, weiß man nicht.

Auf das Datum des Kriegsendes am 8. Mai 1945 werden sie später für tot erklärt.

Am 5. Oktober 2009 wurden in der Böblinger Straße 45 für Jakob und Hilde Lederer Stolpersteine verlegt.

Recherche und Text: Irma Glaub, Stolperstein-Initiative Stuttgart-Süd