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Neue Stolpersteine in Stuttgart: Als Unternehmer von den Nazis geplündert

Artikel aus der Stuttgarter Zeitung 
Heidemarie A. Hechtel – 01.11.2024 – 13:51 Uhr 


Für Max Rosenfeld wurde im Herdweg 63 ein Stolperstein verlegt. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Sie wurden verfolgt, vertrieben und auch ermordet: Mit vier Stolpersteinen für Max Rosenfeld, seinen Sohn und dessen Familie erhält eine seit 200 Jahren in Stuttgart ansässig gewesene jüdische Unternehmerfamilie wieder ihren Platz im Gedächtnis der Stadt.

„Wir sind Stuttgarter und wir sind stolz darauf“: Dieses Bekenntnis von Jeffrey Ronald besiegelte eine emotionale Heimkehr in die Stadt der Väter. Denn der US-Bürger aus Philadelphia stammt aus der Familie Rosenfeld, deren Nachfahren in den USA ihren Namen änderten. Sie zählte 200 Jahre lang zu den hochgeachteten Bürgern in Stuttgart, 80 Jahre nach ihrer Vertreibung und Ermordung waren ihre Spuren aber wie ausgelöscht. Bis zu diesem Tag, an dem sich Jeffrey Ronald zusammen mit seiner Cousine Jill Hollenbach und deren Kindern Sam und Mattie vor der Adresse Herdweg 63 auf den Boden kniete, um den Text auf einem von Gunter Demnig jüngst schon gelegten und nun feierlich enthüllten Stolperstein ganz genau lesen zu können.


Nicht nur ein Stolperstein, sondern auch eine Gedenktafel erinnert am Herdweg an Max Rosenfeld. Foto: Lichtgut/Leif Piechowski

Zu diesem Kniefall hatten die Familie wohl auch Pietät und Verehrung bewegt – für Max Rosenfeld, dessen Schicksal in Stichworten in die Messingplatte gehämmert ist. „Hier wohnte Max Rosenfeld, Jg. 1867, Flucht 1939 Holland, Interniert 1943 Westerbork, Ermordet 18. 3. 1943“, steht auf dem Stolperstein. Er war der Urgroßvater von Jeffrey Ronald und Jill Hollenbach. „Wir haben viel über unsere Familie hier gelernt“, sagt Ronald über den Besuch in Stuttgart. Die Vermittlerrolle war Kai Artinger, Provenienzforscher des Stuttgarter Kunstmuseums, zugekommen, den die Spurensuche nach dem Kunstsammler Rosenfeld mit seinen Nachkommen zusammenführte.


Eine Jugendstil-Villa als Treffpunkt für Künstler
„Sie müssen sich vorstellen“, sagte Kai Artinger bei der Feierstunde, „hier stand die Villa von Max Rosenfeld.“ Statt des heutigen modernen Gebäudes war es ein prachtvoller Jugendstil-Bau gewesen, den er 1909 bei dem Maler und Architekten Bernhard Pankok in Auftrag gegeben und 1912 bezogen hatte. Sie galt als Gesamtkunstwerk und Kabinettstück der Innenraumkunst und wurde ein Treffpunkt berühmter Künstler wie dem Komponisten Richard Strauss und dem Maler Franz von Stück, der den ersten Sohn Hans Eric porträtierte. Denn Max Rosenfeld war ein Kunstsammler, der es mit Tabakhandel zu einem ansehnlichen Vermögen gebracht hatte. Assimiliert und selbstverständliches Mitglied der deutschen Zivilgesellschaft, wollte er durch Unterstützung der Künstler einen Teil seines Reichtums zurückgeben. Die musikalische Begleitung der Feierstunde durch Fabian Martin am Saxofon und Solo-Klarinettist Rudi König wäre ganz in seinem musischen Sinne gewesen.

„Meine Mutter ist in diesem Haus geboren worden“, lässt Jill Hollenbach staunen. Ihre Mutter ist Martha Louise Rosenfeld, die am 26. Juni 1938 als Tochter von Paul Georg Rosenfeld, dem zweiten Sohn von Max Rosenfeld, und seiner Frau Grete auf die Welt kam und die als drei Monate altes Baby schon die erste Fluchterfahrung machen musste, weil die Eltern sie zur Tante nach Amsterdam schickten, um sie dort zur endgültigen Flucht in die USA abzuholen. Für Paul, Grete und Martha Louise Rosenfeld, denen die Flucht schließlich glücklich gelang, wurden an diesem Tag ebenfalls drei Stolpersteine an ihrem eigentlichen Wohnsitz in der Gustav-Siegle-Straße 3 enthüllt.

Geschichten vom Ur-Großvater
Mit Jill Hollenbach in Kalifornien hatte Kai Artinger den ersten Kontakt. Im Leo-Baeck-Institut, erzählte er, habe er nach langer Recherche ihre E-Mail-Adresse bekommen. „Als Kind habe ich von meinen Großeltern Paul und Grete viele Geschichten über Max gehört“, erinnert sie sich. Max Rosenfeld hatte sich erst 1939 zur Flucht nach Amsterdam entschlossen, wo seine Firma eine Zweigstelle hatte und die Schwägerin Leonie Dentz-Sussmann lebte. Dorthin hatte er noch Möbel und Kunstwerke bringen lassen können und sich die Wohnung nach dem Vorbild der Villa eingerichtet. Jeff Ronald besuchte auch Amsterdam mit Kai Artinger, wo der Name des Großvaters ebenfalls auf einem Gedenkstein verzeichnet ist.

Dem NS-Terror war Max Rosenfeld auch in Holland nicht entkommen. Er wurde entdeckt, ausgeplündert, im Februar 1943 ins Durchgangslager Westerbork deportiert und schon am 18. März ermordet. Nun ist er wieder im Herdweg präsent. In Schrift und Bild. Dank des Stuttgarter ZDF-Studios, das heute in dem Neubau beheimatet ist. „Man soll nicht nur stolpern, sondern auch stehen bleiben“, betonte Studio-Leiterin Eva Schiller und enthüllte zwei Gedenktafeln am Zaun: Eine mit dem Pankok-Portrait von Max Rosenfeld, die zweite mit dem Bild der Villa, die an dieser Stelle einst stand. „Eine überwältigende Überraschung“, kämpfte Jeff Ronald mit Tränen der Rührung und bedankte sich für die Familie: „Wir feiern hier unsere Gemeinsamkeit und Solidarität.“