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Stolpersteine in Stuttgart: Die drei Leben der Margot Fürst

Artikel aus der Stuttgarter Zeitung 
19.01.2025 – 18:00 Uhr – Heidemarie A. Hechtel 


Das Ehepaar Fürst. Foto: privat

Sie war im Widerstand, überlebte im Exil und fand nach der Rückkehr nach Deutschland in Stuttgart ein neues Zuhause: Der geborenen Berlinerin wird in ihrer Vaterstadt mit einem Stolperstein gedacht.

Der Name Margot Fürst lässt in Stuttgart viele Menschen aufhorchen. Jene, die diese eindrucksvolle Persönlichkeit kennengelernt und erlebt haben. Und selbst jene, die sich nur aus Erzählungen ein Bild von ihr machen können. In Stuttgart hatte Margot Fürst das letzte Kapitel ihres Lebens verbracht: 49 Jahre von 1954 bis zu ihrem Tod am 2. Juli 2003. Sie war eine Überlebende.

Flucht aus Berlin
Als Jüdin und als mutige Widerstandskämpferin gegen das NS-Regime. In ihrer Vaterstadt Berlin wurde für sie am 2. Juli 2024 ein Stolperstein verlegt. In der Zolastraße 1, damals Koblanckstraße, ihrer letzten Adresse in der Reichshauptstadt, ehe sie 1935 mit ihrem Mann Max Fürst der Verfolgung und drohenden tödlichen Gefahr durch die Auswanderung nach Palästina entkam.

„Hier wohnten drei Menschen in einer WG, die sich Hitler vehement widersetzten. Trotzdem wird nur an zwei von ihnen erinnert“, wurde bei diesem Anlass ein Versäumnis thematisiert. Denn schon seit 2006 liegen hier Stolpersteine für Max Fürst, Margots Mann, auch er ein Überlebender, und für Hans Achim Litten, Rechtsanwalt, Freund des Ehepaars und Opfer des Widerstands. Warum nicht auch für Margot Fürst?

Dieses Versäumnis ist nun mit dieser späten Vereinigung gut gemacht worden. Initiiert vom Freundeskreis Margot Fürst mit Cornelia und Bernd Greve sowie Anna Marie Pfäfflin. Aus Stuttgart war bei dieser Gedenk- und Feierstunde nur die Kunst- und Literaturhistorikern Regina Weber dabei, der die Redaktion diese Information verdankt. „Ich habe Margot Fürst in den 1980er Jahren als Mitarbeiterin und Nachlassverwalterin des Künstlers HAP Grieshaber kennengelernt, als ich über Grieshabers Werk Josephslegende schrieb“, nennt Weber mit Grieshaber die zentrale Figur für Margot Fürst in der zweiten Hälfte ihres Lebens. Auch der Auftrag, an der Lutherbibel mit Bildern von Grieshaber mitzuarbeiten, sei über Margot Fürst zustande gekommen. „Sie war eine Frau von großer Herzlichkeit, kommunikativ und mit dem Talent, Menschen miteinander zu verbinden.“ Mehr noch: Eine unkonventionelle und außergewöhnliche Persönlichkeit.


Der Stolperstein für Margot Fürst in Berlin. Foto: Regina Weber

Sie stammte aus gutbürgerlichem Hause im Berliner Westen: Margot Fürst wurde am 24. November 1912 in Berlin als Tochter des Handelsunternehmers Ernst Meisel und seiner Frau Rosa geboren, verbrachte ein paar Kindheitsjahre in Wien, wo ihre Schwester Hilda 1914 zur Welt kam, ehe die Familie 1915 zurück nach Berlin zog. Es war kein streng religiöses Elternhaus, und beide Mädchen politisierten sich früh. Radikal links. Schon als Jugendliche wurde Margot Mitglied im sozialistisch gesinnten jungjüdischen Wanderbund, der gegen die Unterdrückung des ostjüdischen Proletariats ankämpfte. 1927, mit 14 Jahren, brach sie die Schule ab, verließ ihr Elternhaus und fand Unterschlupf im verrufenen Berliner Scheunenviertel, wo der „Schwarze Haufen“, eine andere jüdische Jugendgruppe, ein Heim in der Mulackstraße eingerichtet hatte.

Der „Schwarze Haufen“, abgeleitet natürlich vom Lied „Wir sind des Geyers schwarzer Haufen“ und anknüpfend an den Bauernkrieg, war 1925 im ostpreußischen Königsberg aus dem deutschjüdischen Wanderbund unter der Führung von Hans Litten und Max Fürst hervorgegangen, die nun Berlin zum neuen Zentrum des „Schwarzen Haufens“ gemacht hatten.

Zu dritt im Leben und im Widerstand
Von da ab lässt sich Margot Fürsts Lebensgeschichte nicht mehr ohne Max Fürst und Hans Litten erzählen. Beide kamen aus besten jüdischen Königsberger Familien. Max Fürst hatte das Tischler-Handwerk gelernt, „weil ich es zum Kotzen fand, dass alle intellektuelle Berufe wählten“, wie er in seinen Erinnerungen „Gefilte Fisch“ schreibt. Litten, der Sohn eines Jura-Professors, war widerstrebend Jurist geworden. Die 15-jährige Margot und Max Fürst wurden bald ein Paar. Er beschreibt, wie er Margot zum ersten Mal in sein Elternhaus mitbrachte: „Max, es ist nicht recht, was du tust, bring doch das Kind zurück zu seinen Eltern“, habe seine Mutter gemahnt. Das habe er aber nicht gewollt, weil ihm gerade dieses Kind so gut gefallen habe. „Dabei ist mir die Kleinigkeit entgangen, dass dieses Kind gerade 16 Jahre alt war.“

Bekannt mit Hannah Arendt
Von irgendwas leben musste dieses Kind natürlich auch. Zuerst arbeitete Margot in einer Fabrik, machte dann eine Verlagsausbildung und wurde schließlich Sekretärin beim Pressechef der Althoff-Ambos-Film AG. Daneben engagierte sie sich in der Beratungsstelle Jugend hilft Jugend. Max Fürst und Hans Litten hatten dieses autonome Jugendarbeitsprojekt angesichts des grassierenden Elends von Armut, Missbrauch, Prostitution und Kriminalität gegründet. Max und Margot heirateten am 28. November 1929, am 27. Mai 1930 wurde die Tochter Birute Hannah geboren. Max arbeitete als Tischler, die Familie zog zusammen mit Hans Litten in die Koblanckstraße. Als ménage à trois interpretiert Regina Weber die WG unverblümt. Litten wollte, dass Margot die Schule wieder aufnehmen, Abitur machen und Jura studieren sollte. Hannah Arendt, die Max Fürst aus Königsberg kannte, wurde Margots Tutorin für Latein und Griechisch. Der Plan scheiterte an Hitlers Machtergreifung, 1933 wurde die Jüdin nicht mehr zum Studium zugelassen.

Verhaftet von der Gestapo
Nach der Geburt ihrer Tochter gab Margot Fürst die Stelle bei der Film-AG auf und arbeitete als Rechtsanwaltsgehilfin für Hans Litten, der zu einem der wichtigsten Anwälte der Roten Hilfe geworden war und oft an politischen Fällen arbeitete. Er hatte am 8. Mai 1931 Adolf Hitler als Zeuge im Prozess zum Überfall von SA-Rollkommandos auf das Tanzlokal Eden vor Gericht gebracht: Mit dem Vorwurf, als Führer der NSDAP die SA dazu angestiftet zu haben. Damit war Litten zum persönlichen Feind Hitlers geworden. „Er war bei den Nazis so verhasst, dass man Überfälle auf ihn organisierte“, schreibt Fürst. Am Tag nach dem Reichstagsbrand in der Nacht vom 27. auf den 28. Februar 1933 wurde Litten sofort verhaftet und in „Schutzhaft“ genommen. „Nach jahrelanger Folter in verschiedenen Konzentrationslagern nahm er sich am 4. Februar 1938 im KZ Dachau das Leben“, heißt es auf einer der vielen Gedenktafeln, zum Beispiel an seinem Geburtshaus in Halle/Saale, am Berliner Amtsgericht oder an der nach ihm benannten Berliner Schule, mit denen das NS-Opfer gewürdigt wird.

Margot und Max Fürst haben alles versucht, um den Freund aus der Haft zu befreien und riskierten dabei die eigene Verhaftung. Mit falschen Papieren reiste Margot Fürst im August 1933 nach Prag zu Max Brod und nach Genf zu Hannah Arendt, in der Hoffnung auf Hilfe durch internationalen Einfluss. Als sie das Angebot von zwei SS-Männern annahmen, Litten gegen Bezahlung aus dem KZ Brandenburg zu befreien und ins Ausland zu bringen – angeblich aus Dankbarkeit, weil er sie als Kommunisten vor Gericht vertreten hatte – waren sie in eine Falle der Gestapo getappt und wurden am 17. Dezember 1933 verhaftet. Ihre Kinder Birute und Elnis Hans, der am 18. Februar 1933 zur Welt gekommen war, hatten die Eltern schon vorsorglich der Haushälterin Marie Ehlert in Oranienburg anvertraut.

Flucht nach Palästina
Nach den ersten Verhören im Gestapo-Hauptquartier in der Prinz-Albrecht-Straße wurde Max Fürst zuerst ins Gestapo-Gefängnis Columbiahaus am Tempelhofer Feld und von dort ins KZ Oranienburg überführt. Im Februar 1934 wurde er als Minderbelasteter aus der Haft entlassen. Margot Fürst hatte die alleinige Verantwortung für den Befreiungsversuch von Hans Litten übernommen und blieb bis September 1934 im Untersuchungsgefängnis Barnimstraße inhaftiert. Dass der Prozess gegen sie eingestellt wurde, war der „Hindenburg-Amnestie“ anlässlich des Todes des Reichspräsidenten am 2. August 1934 zu verdanken.

Nachdem die Gestapo keine Hinweise auf eine große Widerstandsgruppe oder Hintermänner gefunden hatte, wurde Margot Fürst im September 1934 entlassen. Beide dachten keineswegs an Auswanderung. Doch nach einer anonymen Warnung habe die Ausreise dann doch mehr einer Flucht geglichen, schreibt Stefanie Schüler-Springorum, Direktorin des Zentrums für Antisemitismus-Forschung an der TU Berlin in ihrem Essay über Jüdische Remigranten mit dem Titel „Auch in Deutschland waren wir nicht wirklich zu Hause“. Das Ziel war Palästina, ohne dabei der zionistischen Idee zu folgen. Der Vater hatte mit seinen Verbindungen zu Schifffahrtslinien Passagen auf einem holländischen Frachter von Rotterdam nach Haifa besorgte. Mit dieser Flucht endet das für den Stolperstein relevante Kapitel im Leben von Margot Fürst.

„Schwere Jahre, Krankheit, Armut“, beschreibt Ludwig Greve das Exil der Fürsts in Stichworten. Der Autor und spätere Bibliotheksdirektor am Deutschen Literaturarchiv Marbach war nach Jahren im Untergrund in Italien und Frankreich 1945 in Palästina gestrandet, wo ihn „Max Fürst quasi von der Straße auflas“ (Schüler-Springorum). Margot Fürst verdiente jahrelang den Lebensunterhalt für die Familie beim Vater in Kairo, Fotos aus diesen Jahren zeigen sie, stets hochelegant, mit ihrem Vater: „Sie waren beide geborene Großbürger, die Kleinliches nicht ertrugen“, schreibt Max Fürst. Die Kinder waren in einem reformpädagogischen Kinderheim in Haifa untergebracht.

Erst seit 1941 lebte die Familie wieder zusammen in Haifa. Doch das Land blieb ihnen fremd. „Das nationale Aufbaupathos der Kibbuzim war“, wie die Tochter Birute Stern erzählte, „für die intellektuellere und individualistische Margot Fürst eine unmögliche Vorstellung.“ Zwei Angebote, eines von Quäkern, die eine Arbeit in Deutschland in Aussicht stellten, und das zweite aus der Reformschule des Ehepaars Geheeb in der Schweiz, wo der an Epilepsie leidende Sohn seit 1948 lebte, ließen den Plan einer Rückkehr konkret werden.

„So, da bin ich wieder. Der Boden schwankt noch ein wenig unter den Füßen“, meldete Max Fürst im September 1950 seine Ankunft in Deutschland. Er sollte die Möglichkeiten einer neuen Existenz ausloten. Die DDR, wo überlebende Freunde aus dem Schwarzen Haufen mittlerweile privilegierte Funktionäre geworden waren, schied trotz sozialistischer Überzeugung aus: „Ich könnte schon der vielen Fahnen wegen dort nicht leben“, schrieb Margot Fürst, die im April 1951 nachgekommen war, an Freunde.

Begegnung mit HAP Grieshaber
Westberlin wäre das Sehnsuchtsziel gewesen, stattdessen wurde die von Paul und Edith Geheeb 1910 gegründete Odenwaldschule im hessischen Oberhambach ihre erste Station. Eine Hospitanz von Max Fürst in einem Heim des Jugendsozialwerks in Esslingen führte sie nach Stuttgart, wo Margot Fürst Arbeit in einem Ingenieurbüro fand. Aber erst die Begegnung mit dem Maler und Grafiker HAP Grieshaber an Ostern 1952 ließ sie wirklich ankommen: In ihm trafen sie, so Margot Fürst, „eine uns vertraute Welt, jemanden, der die gleichen Bücher gelesen, Bilder gesehen und geliebt hatte, und jemanden, mit dem wir mühelos das Zeitgeschehen analysieren konnten“. Denn Fürsts hatten auch die Erfahrung vieler Remigranten gemacht: „Man ist in Deutschland geneigt, alles zu vergessen, was gewesen ist“, hatte Max Fürst an seine Tochter in Israel geschrieben. Es sei „höchst unfein, von Widerstandskämpfern zu sprechen oder Antifaschist geworden zu sein. Dazu kommt, dass Juden hier immer noch ein heißes Thema sind, wo sich alle Ressentiments austoben.“

Sesshaft in Stuttgart
Margot Fürst war fasziniert von Grieshaber und seinem Projekt der freien Kunstschule auf dem Bernstein, einem ehemaligen Eremitenkloster bei Sulz am Neckar, Malschule und Künstler-Kolonie zugleich. Der 1953 von Grieshaber geschaffene Holzschnitt „Freunde“ ist das Zeugnis für die Zusammenarbeit auf dem Bernstein. Das Projekt endete 1955, Fürsts wurden schließlich in Stuttgart sesshaft. Zuerst in der Heilbronner Straße und später in der Paulusstraße 8. Max Fürst gründete in Zuffenhausen wieder eine Tischlerei und schrieb mit „Gefilte Fisch“ (1973) und „Talisman Scheherezade“ (1976) zwei Bände der ursprünglich dreiteilig geplanten Autobiografie, wofür er 1977 mit dem Förderpreis der Bayerischen Akademie der Künste ausgezeichnet wurde. Er starb ein Jahr später, am 21. Juni 1978.

Feste in der Paulusstraße
Margot Fürst hatte in der Zusammenarbeit mit dem Künstler HAP Grieshaber (1901-1981) ihre „Lebensmitte“ gefunden, sie wurde seine rechte Hand, schrieb Katalogtexte, verwaltete seinen Nachlass und veröffentlichte zuletzt ein zweibändiges Werkverzeichnis. Legendär waren ihre Novemberfeste, bei denen sich jährlich zu ihrem Geburtstag Persönlichkeiten aus der Kunst- und Kulturszene in der großen Altbauwohnung in der Paulusstraße drängten. Gemäß der „großbürgerlichen Haltung, die Kleinliches nicht ertrug“, wie Max Fürst über seiner Frau Margot schrieb. „Sie hat sich ihren eigenen Kosmos erschaffen, in dem sie regierte und dominierte“, erinnert sich Regina Weber. Zum 90. Geburtstag am 24. November 2002 hatten ihr die Freunde in der Galerie Schlichtenmaier auf Schloss Dätzingen das Fest ausgerichtet. Es war ihr Abschied von der Öffentlichkeit, am 2. Juli 2003 starb sie in Stuttgart. Der Stolperstein wurde an ihrem 21. Todestag verlegt.