Max Bamberger, geb. am 5. Februar 1874 in Heilbronn, und seine Frau Jeanette geborene Richheimer, geb. am 11. April 1882 in Mannheim, wohnten von 1916 bis1942 in der Hauptmannsreute 7. Beide wurden1942 wegen ihrer jüdischen Herkunft Opfer des nationalsozialistischen Rassenwahns. Ihr Haus wurde 1944 bei zwei Luftangriffen bis auf die Grundmauern zerstört.
Leben im Kaiserreich und in der Weimarer Republik.
Das neue Jahrhundert begann glücklich für Max Bamberger. Im Jahr 1902, als 28-Jähriger, trat er in die väterliche Firma als Gesellschafter ein: in die Firma „Adolf Bamberger – Dampfheizungen, Metalle und Maschinen, Transmissionen“. Er heiratete die Tochter des Kaufmanns Siegmund Richheimer aus Mannheim. In den folgenden Jahren wurden drei Kinder geboren: Hans Sigmund (1905), Gertrude (1910) und Ernst Adolf (1916). Im Jahr nach der Geburt des dritten Kindes, im vierten Weltkriegsjahr, zog die Familie in ein eigenes Haus, das Max Bamberger 1916 erworben hatte: in die Hauptmannsreute 7.
In der Hauptmannsreute (bis 1915 noch Hauptmannsreute-Weg) gab es 1903 nur drei, damals noch unnumerierte Häuser, 1916 bereits 45. Diese Entwicklung verweist auf die rasant anwachsende Einwohnerzahl der wirtschaftlich prosperierenden schwäbischen Residenzstadt: sie stieg von 90.000 Einwohnern im Jahr 1871 auf 290.000 im Jahr 1916.
Max Bamberger und sein jüngerer Bruder Otto – seit 1909 ebenfalls Gesellschafter in ihrem Familienbetrieb – waren tüchtige und erfolgreiche Geschäftsleute, auch nach dem Ausscheiden des Vaters im Jahr 1911. Vor Kriegsausbruch besaßen sie bereits ein Millionenvermögen. Zu dieser Zeit gab es in Stuttgart 250 Millionäre. 33 von ihnen bekannten sich zur „mosaischen Religion“, lebten wie ihre christlichen Mitbürger im Banne schwäbisch-protestantischer Betriebsamkeit und Sparsamkeit, ohne mit ihrem Reichtum zu prahlen.
Verfolgung im nationalsozialistischen Deutschland.
Nach Hitlers Machtergreifung wurden Max und Jeanette Bamberger zunächst in ihrer gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Existenz, dann zunehmend auch an Leib und Leben massiv bedroht. Wie für die meisten Juden im Dritten Reich vollzog sich ihre Verfolgung schrittweise in einem längeren Prozess der Ausgrenzung und Ausplünderung, an dessen Ende die Vernichtung stand. Die einst idyllische schwäbische Hauptstadt war zu einem Ort der Entrechtung und des Verbrechens geworden.
Alles begann, auch in Stuttgart, ab April 1933 mit dem Boykott jüdischer Geschäfte, Arztpraxen und Anwaltskanzleien durch die SA, mit der Entlassung jüdischer Mitar-beiter der Stadtverwaltung und der Technischen Hochschule, mit Berufsverboten für Journalisten und Künstler, mit Besuchsverboten für öffentliche Bäder, Kinos, Theater und Museen. Auf Schildern an den Wänden von mehr und mehr Restau-rants und Läden hieß es schneidend: „Juden unerwünscht“. Schließlich wurden die Juden in Deutschland durch die „Nürnberger Gesetze“ vom September 1935 end-gültig zu Bürgern zweiter Klasse.
Parallel zu dieser Entwicklung setzte die finanzielle Ausplünderung der Juden ein, auch in Stuttgart: durch Zwangsabgaben wie die „Reichsfluchtsteuer“ oder die „Judenvermögensabgabe“ (als „Sühneleistung“ für die „feindliche Haltung des Judentums gegenüber dem deutschen Volk“), durch das Einfrieren aller Wertpapiere, durch den Zwangsverkauf von Häusern und Grundstücken, von Geschäften und Betrieben.
Diese Verfolgungsjahre machten auch Max und Jeanette Bamberger zu Parias in der Stuttgarter Gesellschaft und ruinierten ihre wirtschaftliche Existenz: im Dezember 1937 wurde die Firma „Adolf Bamberger“ liquidiert; im Juni 1939 mussten, wie alle Stuttgarter Juden, auch Bambergers sämtliche Wertgegenstände – Silberbestecke, Uhren, Schmuck etc. – in der Städtischen Pfandleihanstalt abliefern. Der einzige Trost in dieser Leidenszeit war, dass ihren drei Kindern die Flucht aus Deutschland gelungen war: jeweils einzeln waren Hans Sigmund, Gertrude und Ernst Adolf 1936 und 1937 in die Vereinigten Staaten emigriert.
Tod in Theresienstadt.
1938 brachen Gewalt und Gewaltexzesse über die Juden in Deutschland herein. Ein Fanal waren die Novemberpogrome, die „deutsche Kriegserklärung an die Juden in Europa“: vom 7. bis 13. November wurden deutschlandweit über 1.400 Synagogen, Betstuben und sonstige Versammlungsräume sowie Tausende von Geschäften, Wohnungen und jüdischen Friedhöfen planmäßig zerstört; über 400 Juden wurden ermordet, Tausende misshandelt und mehr als 30.000 in Konzentrationslager eingeliefert.
Im folgenden Jahr ist im Adressbuch der Stadt Stuttgart für die Hauptmannsreute 7 angegeben, dass Max und Jeanette Bamberger nur noch im 1. Stock wohnten. Außerdem fehlen die Namen von zwei (nichtjüdischen?) Mietern, die dort seit 1932 bzw. 1936 gewohnt hatten. Stattdessen sind jetzt zwei neue Mieterinnen verzeichnet und in den beiden folgenden Jahren fünf weitere „Haushaltungsvorstände“, alle mit dem Namenszusatz „Israel“ oder „Sara“, alle seit September 1941 den Judenstern tragend. Was war geschehen? Das Haus von Max und Jeanette Bamberger war zu einem „Judenhaus“ geworden.
In „Judenhäuser“ konnten seit April 1939 jüdische Bürger zwangseingewiesen werden. Sie lebten dort auf engstem Raum unter chaotischen Wohnbedingungen. Anzunehmen ist, dass die einquartierten neuen Hausbewohner in der Hauptmanns-reute 7 – die meisten von ihnen zwischen 60 und 70 Jahre alt – sozial völlig isoliert und verfemt in einer Art Ghettosituation lebten. Ein Zeitzeuge, der als 9-Jähriger ein Jahr lang im Herdweg bei seiner Großmutter gewohnt hatte, erinnert sich: „Gegenüber der Hauptmannsreute 7 wohnte ein Klassenkamerad von mir. Der flüsterte mir eines Tages zu: ‚Da drüben wohnen Juden.’ Das habe ich mit einem Schaudern gehört, weil ein SA-Lehrer in der Falkertschule uns Gräuelgeschichten über Juden erzählt hatte, die mich irritierten, weil sie so anders klangen als das, was in unserem liberalen Elternhaus in Berlin über Juden gesagt wurde.“
Von den Zwangseinquartierten in der Hauptmannsreute 7 sind fünf in Riga, Theresienstadt und Auschwitz ermordet worden, eine 72-jährige Frau hat sich drei Tage vor ihrer Deportation das Leben genommen, ein Ehepaar und eine Frau mit Sohn und Tochter konnten noch im Juni 1941 in die USA auswandern. Und Max und Jeanette Bamberger?
Max Bamberger wurde gezwungen, sein Haus zu verkaufen. Der Verkaufserlös kam auf ein Sperrkonto. Im Kaufvertrag vom 27.3.1942 heißt es: „Der Verkäufer wird in nächster Zeit nach Haigerloch übersiedeln und dann die von ihm bewohnten Räume im 2. Stock des Kaufgrundstücks räumen. Er hat an die Käuferinnen vom 1.4.42 an 80,- RM Miete zu bezahlen.“
Die „Übersiedlung“ nach Haigerloch erfolgte bereits am 6.4.1942. In diese 75 km südlich von Stuttgart liegende Kleinstadt wurden in den Jahren 1940–1942 aus den größeren Städten und Gemeinden Württembergs – vor allem aus Stuttgart und Heilbronn – 171 Juden zwangsumgesiedelt, für wenige Wochen, manchmal auch Monate zusammengepfercht im Judenviertel der Oberstadt. Damals hatte Haigerloch ca. 1.200 Einwohner, darunter 126 jüdische Mitbürger.
1941/42 wurden von Haigerloch aus 287 Juden auf den Weg in die Vernichtungs-lager in Osteuropa geschickt. Der letzte Transport vom 19.8.1942 umfasste 136 Personen; 60 von ihnen hatten zuletzt in Stuttgart gewohnt, darunter auch Max und Jeanette Bamberger. Sie alle wurden zunächst nach Stuttgart in ein Sammellager auf dem Killesberg gebracht und drei Tage später mit weiteren 800 Leidensgefähr-ten – in ihrer Mehrzahl alte und oft auch sehr kranke Menschen – auf dem Güterzugsgelände des Stuttgarter Nordbahnhofs eng gedrängt in Viehwaggons gesperrt. Das Ziel dieser Deportation war Theresienstadt.
Das Konzentrationslager Theresienstadt war im November 1941von den Nationalsozialisten eingerichtet worden: sie hatten alle Bewohner aus dem Festungsteil „Garnisonsstadt“ vertrieben, um dort ein „Alters-“ und „Vorzeigeghetto“ entstehen zu lassen. Juden, die über 65 Jahre alt waren, sollten „Heimeinkaufverträge“ abschließen und darauf hoffen, sich damit auf Lebenszeit eine angemessene Unterkunft und Verpflegung erkaufen zu können.
Die Wirklichkeit sah ganz anders aus: im September 1942 waren auf einem Raum, der zuvor den vertriebenen 7.000 Einwohnern Platz geboten hatte, bereits über 58.000 Menschen interniert. Viele von ihnen hatten noch nicht einmal einen Schlafplatz. Raumnot, Schmutz, mangelhafte Ernährung und Krankheiten führten dazu, dass Theresienstadt zu einem Todesghetto für 33.000 der dorthin Deportierten wurde und für 88.000 weitere zu einem „Wartesaal für Auschwitz“.
Auch das Ehepaar Bamberger hat Theresienstadt nicht überlebt. Jeanettes Leben endete dort, keine drei Wochen nach ihrer Ankunft, am 9.9.1942; das ihres Mannes neun Tage später, am 18.9.1942. Sie sind in Theresienstadt nicht gestorben, wie es vielfach heißt, und auch nicht ums Leben gekommen. Sie sind dort um ihr Leben gebracht, sie sind ermordet worden. So steht es auf den beiden Stolpersteinen, die wir heute, 69 Jahre später, vor der Hauptmannsreute 7 verlegen wollen – vor der letzten Wohnstätte, die Max und Jeanette Bamberger noch hatten frei wählen können.
Recherche und Text: Dr. Wolfgang Harder, Initiativkreis „Stolpersteine für Stuttgart Nord“ (www.stolpersteine-stuttgart.de)
Quellen: Stadtarchiv Stuttgart, Staatsarchiv Ludwigsburg, auch Foto.