Als Emilie Bertha Dorothee Gernsheim wurde Dora Bielefeld – wie sie sich auch nannte – am 24.10.1876 in Worms geboren. Sie war in erster Ehe mit dem Schweizer Jacques Guggenheim verheiratet, der 1911 starb. Am 19.12.1913 heiratete sie den Bankier Alfred Bielefeld, geb. 1871, in Wiesbaden, dem Wohnort des Bräutigams.
Das einzige Kind, die Tochter Johanna Lore, wurde am 6.11.1914 in Mainz geboren. Die Familie wohnte lange in Frankfurt am Main im eigenen Haus. In den drei unteren Zimmern befanden sich die Bankräume, darüber die Wohnräume. 1929 musste dieses Haus wegen der schlechten Finanzlage in der Weltwirtschafskrise verkauft werden, wie der Käufer des Hauses bei den Entschädigungs-Verhandlungen nach 1945 angibt. In diesem Verfahren sagt die Tochter Johanna Lore Levi aus, die Familie sei nach Stuttgart-Degerloch gezogen, ins Königsträßle 6. In den Stuttgarter Adressbüchern ist der Kaufmann Alfred Bielefeld erstmals 1933 wohnhaft in der Alexanderstraße 17 aufgeführt, 1934 Gänsheidestraße 43 als „Vertretung und Darlehens-Vermittlung“. Er starb am 27.10.1934, sein Grab ist bis heute auf dem Pragfriedhof, israelitischer Teil. Erst 1937 erscheint in den Adressbüchern die Kaufmanns-Witwe Dora Bielefeld in der Hauptstätter Straße 86 A, diesem Prachtbau „Lindenhof“ am „Lindle“, im Krieg zerstört und an der Nordseite des heutigen Österreichischen Platzes liegend. Von 1938 bis 1940 ist die Hauptstätter Straße 96 ihr Heim. Die Tochter Johanna Lore, von Beruf Graphikerin, floh in die Schweiz und heiratete dort 1942 den Buchhändler und Antiquar Kurt Levi. Sie starb 1963 in Luzern und hinterließ keine Kinder. Ihr Mann schreibt 1965 aus Berlin: „Meine Frau und ich haben die bitteren Jahre unserer illegalen Emigration in Frankreich durchgestanden, hörten nichts von unseren Angehörigen und den weiteren Vorgängen in Deutschland. Meine Frau war ständig in Sorge um ihre in Deutschland zurück gebliebene Mutter, tröstete sich aber immer wieder, indem sie davon sprach, dass ihre Mutter mit ihrem Vermögen ja Gott sei Dank nie Not leiden würde, sie besäße auch eine Menge Schmuck…“
Von Vermögens-Abgaben, Sperrkonten und der erzwungenen Ablieferung von Schmuck und Silber-Gegenständen wussten die Kinder nichts. Dabei lebte die Mutter verarmt und einsam in Stuttgart und verdiente sich etwas Geld als Küchenhilfe. 1940 wurde sie ins „Judenhaus“ Sophienstraße 33 (damals Ernst-Weinstein-Straße) eingewiesen, wo sie sich den Lebensraum mit vielen anderen Juden teilen musste. Sie wurde gleich dem ersten Transport von Stuttgart aus am 1.12.1941 nach Riga zugeteilt.
Den Tod fand die 66-Jährige bei dem großen Massaker am 26.3.1942 im Bikernieki-Wald bei Riga, wo man etwa 1.500 Menschen, vor allem Ältere, nicht mehr Arbeitsfähige sowie Frauen und Kinder, in zuvor von Häftlingen ausgehobene Gruben hinein erschoss. Über die grauenvollen Umstände dieses Massenmords schreibt Paul Sauer in seinem Buch „Die Schicksale der jüdischen Bürger Baden-Württembergs 1933-1945“ (S. 287): Die wenigen Überlebenden erinnern sich mit Grauen an die Massenerschießung vom 26. März 1942. Die Kinder unter 14 Jahren und ihre Mütter … auch ganze Familien wurden zu einem besonderen Transport zusammengestellt. Die SS-Wachmannschaften gaben die Parole aus, die Häftlinge würden nach Dünamünde bei Riga gebracht, wo sie, soweit sie arbeitsfähig wären, in einer Konservenfabrik beschäftigt werden sollten. In Wirklichkeit wurden sie in Bikernieki, dem „Birkenwäldchen“, der im Hochwald bei Riga gelegenen ständigen Hinrichtungsstätte des Rigaer Ghettos, erschossen. Die Opfer hatten bereits im Lager Jungfernhof ihre guten Schule ablegen und dafür schlechte Schuhe anziehen müssen. Besonders den Alten und Kranken war eingeredet worden, sie kämen in ein Sanatorium, wo sie ihre Schuhe und Kleider nicht mehr brauchten. Nach dem Massaker wurden die Kleidungsstücke der Ermordeten mit Omnibussen ins Lager zurückgebracht. Männern, die zum Ausladen herangezogen worden waren, fielen Kleider und Kennkarten ihrer Frauen und Kinder in die Hände.
Recherche und Text: 2012 / Irma Glaub / Initiative Stolpersteine Stuttgart-Süd.
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart und die im Text angeführte Literatur.