Wir wissen wenig über Anna Blum, geborene Grünwald. Sie kam am 3. August 1870 in Stuttgart zur Welt. Es existiert noch ein spätes Passfoto von einer polizeilichen Anmeldekarte, auf dem sie energisch und selbstbewusst wirkt. Einen Beruf hatte sie nicht erlernt, im Gegensatz zu ihren beiden Brüdern, von denen der eine Direktor der Brauerei Stuttgarter Hofbräu, der andere Prokurist der Firma Wolff Söhne war. Daraus kann man schließen, dass sie einem gutbürgerlichen Elternhaus entstammte. Als sie am 24. August 1899 den Kaufmann Nathan Blum heiratete, war dies für damalige Verhältnisse sehr spät – Anna war schon 29Jahre alt. Als sie Nathan das Ja-Wort gab, war sie bereit mit ihrem Mann in dessen saarländische Heimat zu ziehen.
Am 18. Dezember 1901 bekamen Nathan und Anna dort in St. Johann ihr einziges Kind, die Tochter Alice. Schon 1916 starb Nathan Blum. Vier Jahre danach zog die Witwe zu ihrer Herkunftsfamilie nach Stuttgart zurück. Dort wohnten Anna und Alice Blum in der Hauptmannsreute 41.
Durch welche glücklichen Umstände Alice den Nazis entkam, ist nicht bekannt. Belegt ist, dass sie 1956 von Vichy aus die so genannte Wiedergutmachung beantragte.
Anna Blum dagegen blieb in Stuttgart. 1937 zog sie in das jüdisches Altersheim in der Wagenburgstr. 26. Von dort wurde sie zwischen dem 15. Dezember 1941 und dem 5. Januar 1942 in das jüdische Altersheim Eschenau zwangsumgesiedelt. Wahrscheinlich konnte sie ihren Hausrat noch mitnehmen. Eine solche Verlegung in ein Zwangsquartier war die Vorbereitung der Deportation, bei dieser Gelegenheit dann das Deutsche Reich alles Vermögen einzog – im Fall von Anna Blum Schmuck, Hausrat und einen teuren Pelzmantel, den sie von ihren beiden Brüdern zum 65. Geburtstag geschenkt bekommen hatte.
Am 23. August 1942 wurde Anna Blum nach Theresienstadt deportiert, und nur wenige Wochen später weiter ins Vernichtungslager Treblinka. Am 23. September 1942 wurde sie mit dem Konvoi Bqu 1872 dorthin „überstellt“. Danach verlieren sich ihre Spuren. Der tschechoslowakisch-englische Schriftsteller Hans Günther Adler schreibt: „Wer damals in die Minsker Gegend kam, fand seinen Tod gewöhnlich in den so traurig russisch „Duschegubky“ genannten Vergasungsautos, was zu deutsch `Seelenvertilger´ heißt.“
Wahrscheinlich hat die Tötung der vielen Häftlinge, die Ende September 1942 von Theresienstadt nach Treblinka verbracht worden sind, etwa einen Monat gedauert. Das Landesamt für Wiedergutmachung in Stuttgart legte als Todestag von Anna Blum den 10. Oktober 1942 fest. Dabei hatte das Amt einen Ermessenspielraum: Je länger es die Überlebensspanne der Ermordeten datierte, desto höher wurden die Entschädigungszahlungen. Zu Ungunsten der Überlebenden wählten die Stuttgarter Beamten die kürzeste Überlebensdauer, hier wurde von einem Monat, ausgegangen.
Die so genannte Wiedergutmachung war eine staatliche Geste von bemerkenswerter Kälte.
Recherche und Text: Initiative Stolpersteine Stuttgart-Mitte, Jennifer Lauxmann.
Spender/Pate für den Gedenkstein: Gerhard Lentzen, Stuttgart.
Quellen: Stadtarchiv Stuttgart, Staatsarchiv Ludwigsburg.
Literatur: H.G. Adler in J.C. Mohr: „Theresienstadt. Das Anglitz einer Zwangsgemeinschaft,“
Gerald Reitlinger. Die „Endlösung“, S.186. Foto aus: Martin Ulmer und Martin Ritter: “Das jüdische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner.”