Klara Lilli Kalmbach, geb. Herschel wurde am 28. Mai 1893 in Berlin geboren. Sie wuchs in Hamburg auf, wo sie die Höhere Töchterschule besuchte. Der Vater, Hermann Herschel, war von Beruf Photograph. Die Mutter Hanne, geb. Rosenberg starb 1937 in Hamburg, der Vater 1943 in Theresienstadt. Die fünf Jahre jüngere Schwester Paula überlebte in den USA.
Klara Lilli erlernte den Beruf einer Korrespondentin und Kontoristin und war lange in Hamburg in Anwaltsbüros tätig.
Am 12.9.1925 heiratete sie in Hamburg-Neustadt den vier Jahre jüngeren Schneidergesellen Hermann Kulmbach aus Schorrental / Gemeinde Besenfeld im Schwarzwald. Ihr damaliger Name Lange lässt eine frühere Heirat vermuten. Die Ehe mit Kalmbach wurde am 21.2.1933 geschieden, nachdem das Paar schon einige Jahre getrennt gelebt hatte.
1929 erscheint Klara Kalmbach erstmals im Stuttgarter Adressbuch als Schneiders Frau, wohnhaft in der Paulinenstraße, ab 1930 in der Tübinger Straße 41, 4. Stock. Wichtig ist der zusätzliche Eintrag „Ausführung von maschinschriftlichen Arbeiten“. Es bedeutet, Klara verdient ihren Lebensunterhalt selbst, sie entrichtet seit dieser Zeit auch Beiträge zur Angestelltenversicherung.
Aus den Äußerungen der früheren Nachbarn bei den späteren Wiedergutmachungs-Verhandlungen, die ihre Schwester Paula Wolter von Florida aus betreibt, geht hervor, dass Klara Lilli Kalmbach ein Leben in großer Armut führte. Obwohl das Haus Tübinger Straße 41 am 25.7.1944 durch Bomben völlig zerstört wurde, suchte man nach den früheren Bewohnern. Aus ihren Berichten ergibt sich ein geradezu lebendiges Bild der tapferen Frau und ihrer armseligen Lebensumstände.
Sie besitzt keine eigenen Möbel und keine Wertgegenstände. So kann die Städtische Pfandleihanstalt 1960 bescheinigen, dass von ihr keine Gold-, Silber- und Schmucksachen abgeliefert wurden, wie das für Juden Pflicht war. Ihr einziger Reichtum ist die Schreibmaschine, mit der sie in Heimarbeit den Lebensunterhalt verdient. Einmal äußerte sie, dass sie durch ihren geschiedenen Mann ihre Sachen verloren habe.
Klara Kalmbach kam ins Haus Tübinger Straße 41, weil das Ehepaar H. eine Aufwartefrau suchte, die unterm Dach in den zwei kleinen Mansardenzimmern, die zu jeder Wohnung gehörten, wohnen sollte. Herr H. berichtet: „Sie wollte selbst zwar nicht in unserem Haushalt tätig sein, doch bat sie darum, wir möchten ihr die beiden Zimmer überlassen, sie würde uns die gesuchte Putzfrau besorgen. Das war 1930. Die zwei Mansarden-Zimmer waren dürftig möbliert. Es handelte sich um ein armes Menschenkind. Sie verdiente sich den Lebensunterhalt mit Schreibarbeiten in Heimarbeit. Die Schreibmaschine war ihr Eigentum. Auch für mich hat sie oft genug geschrieben. Wir haben noch heute manche Erinnerungsstücke von ihr, weil sie uns bei Anlässen wie Weihnachten Kleinigkeiten schenkte. Sie war arm, aber sehr anständig, Schulden hatte sie nirgendwo. Ich bin der Meinung, dass Frau Kalmbach aus sehr guten Verhältnissen kam und dass sie auch in ihrer Ehe gut situiert war. Doch hatte sie davon nichts, als sie zu uns kam. Es waren ihr lediglich ihre gute Erziehung und ihr sehr feines menschliches Wesen geblieben.“
Als das Ehepaar H. wegzog, wurde Klara an Frau K. zur Untermiete weitergereicht, die ihr nun ein zu ihrer Wohnung gehöriges Mansarden-Zimmer zuwies, ca. 2×4 m groß. Die neue Wirtin überließ ihr die alten dort abgestellten Möbelstücke. Sie bewohnte jetzt nur noch dieses eine Kämmerchen.
Eine Nachbarin vom 4. Stock berichtet: „Neben mir bewohnte Frau Kalmbach eine kleine schräge Dachkammer. Sie, von der ich wusste, dass sie eine Jüdin war, lebte sehr bescheiden und abgeschlossen. Sie war geschieden. Über ihren Mann hat sie jedoch nie gesprochen. Ich glaube nicht, dass ich jemals ihr Zimmer betreten habe. Es hatte nicht den Anschein, als sei sie mit Reichtümern gesegnet, weil sie sehr sparen musste, um durchzukommen. Oft nach Feierabend schrieb sie etwas auf der Schreibmaschine auf dem Vorplatz, um Licht zu sparen. Mir ist niemals aufgefallen, dass sie mit einem unserer Hausbewohner näher befreundet gewesen wäre.“
1939, als die Juden aus den Häusern „arischer“ Besitzer gezwungen wurden, musste auch Klara Kalmbach ihre vertraute Umgebung verlassen und in die Johannesstraße 26 ziehen; 1940 wird das Haus Königsträßle 34 in Degerloch als Wohnplatz genannt, im 2. Halbjahr 1940 schon die Schoderstraße 8 im Stuttgarter Norden. In dieser Zeit bekam sie für einige Monate eine Anstellung als Hilfsarbeiterin bei der Firma Südzucker AG in Bad Cannstatt.
Im Haus Königsträßle 34, das der jüdischen Familie Frank gehörte, wohnte Klara Kalmbach nur vorübergehend. Vielleicht war sie mit Franks bekannt und suchte hier Zuflucht. Die von der Stadt Stuttgart damals angelegten „Judenlisten“ führen von 1939-1941 halbjährlich akribisch genau jede Aufenthaltsveränderung der Verfolgten auf, kein Jude sollte entkommen können.
Berta und Stefan Salomon Frank starben 1943 in Theresienstadt. Vor dem Haus Königsträßle 34 liegen bereits Stolpersteine in Gedenken an sie.
Klara Kalmbach dachte verzweifelt an Auswanderung, aber dafür fehlten ihr vor allem jegliche finanziellen Mittel. Herr H. aus der Tübinger Straße 41 sagt später: „Als ich bereits ausgezogen war, besuchte mich Frau Kalmbach und sprach davon, dass sie nach Shanghai auswandern wolle. Erst viel später erfuhr ich, dass sie weggekommen sei.“
Was die „arischen“ Deutschen als „Weggekommensein“ bezeichneten, bedeutete für Klara Lilli Kalmbach die Deportation nach Riga am 1.12.1941. Es war der erste von Stuttgart ausgehende Transport „nach dem Osten“, mit 1.013 Menschen. Eine Umsiedlung wurde vorgetäuscht, die von der jüdischen Mittelstelle Benachrichtigten sollten Handwerkszeug bis hin zu Ofenrohren und Nähmaschinen mitbringen. Die Altersgrenze lag bei 60 Jahren, Klara Kalmbach war gerade mal 48 Jahre alt.
Wie sie dort in Riga den Tod fand, durch Hunger, Kälte oder Krankheit oder bei einer der Massenerschießungen, ist unbekannt.
Recherche und Text: 2011 / Irma Glaub / Initiative Stolpersteine Stuttgart-Süd.
Quelle: Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart, Foto privat.