Ernestine und Eduard Leiter sind repräsentativ für viele unschuldige Opfer der Nazi-Zeit. Die Nationalsozialisten erklärten sie zu ihren Todfeinden – einzig und allein, weil sie Juden waren.
Ernestine Leiter war 72, ihr Mann Eduard schon 77 Jahre alt, als beide am 22. August 1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. Von dort brachte man sie am 29. September 1942 nach Treblinka, wo sie ermordet wurden.
Eduard war wie sein Vater Metzgermeister. Vater Isaak (geb. 1820, gest. 1901) und Mutter Amalie (geb. 1840, gest. 1914) sind auf dem israelitischen Teil des Pragfriedhofs in Stuttgart bestattet. Eduard führte zusammen mit seiner Frau die koschere Metzgerei in der Katharinenstraße 35 fort, die schon seine Eltern betrieben hatten. Die Leiters waren beliebt und geachtet. Das Geschäft lief gut. Auch viele nichtjüdische Bürger Stuttgarts kauften dort gern ein, weil sie auf Grund der jüdischen Speisegesetze sicher waren, dass die Qualität der verkauften Waren hoch war.
Mit dem Beginn des Ruhestandes zogen die Leiters 1931 nach Ulm-Söflingen. Dort lebte ihr Sohn Sally, der die Metzgertradition nicht fortgesetzt hatte, sondern Kaufmann geworden war. Am 21. Oktober 1939 gelang es ihm, dem einzigen Nachkommen, mit seiner Familie in die USA auszuwandern. Von dort versuchte Charles, wie er sich fortan nannte – vergeblich – die Eltern zu retten.
Für diese wurde es in Deutschland immer einsamer. Am 15. September 1938 wurden sie gezwungen, nach Oberdorf, den Geburtsort von Ernstine, umzuziehen. Dort lebten inzwischen viele alte Jüdinnen und Juden. Von Stund an war ihr Alltag von Schikanen gekennzeichnet. Obwohl sie noch Eigentümer der Katharinenstraße 35 in Stuttgart waren, wurden die finanziellen Mittel knapp. Laut Bescheid des Finanzamtes Aalen vom 29. Mai 1940 musste Eduard Leiter eine „Judenvermögensabgabe“ von 14 750 Reichsmark bezahlen.
Es sollte aber noch schlimmer kommen: Am 21. August 1942 befanden sich die Leiters schon im Sammellager auf dem Killesberg. Dort bekam Eduard Leiter vom zuständigen Gerichtsvollzugbeamten eine Urkunde überreicht: Das Deutsche Reich, so las Eduard Leiter im Wartesaal zur Deportation, entzog ihm mit sofortiger Wirkung sein gesamtes Vermögen. Ausgeplündert und entrechtet mussten die Leiters einen Tag später den Weg ins KZ Theresienstadt antreten. In völlig überfüllten, erstickend heißen Viehwaggons schafften die Nazis ihre Opfer aus Deutschland weg. Viele starben schon während dieser Transporte.
Ernestine und Eduard Leiter erreichten Theresienstadt, wurden nach kurzem Aufenthalt nach Treblinka gebracht und dort unmittelbar nach der Ankunft ermordet. Vom Amtsgericht Neresheim wurden sie auf den 29. September 1942 für tot erklärt.
An Ernestine und Eduard Leiter kann nichts mehr gut gemacht werden. Um wenigsten die Erinnerung an sie wach zu halten, wurden am 28. April 2006 vor ihrem ehemaligen Wohnsitz in der Katharinenstraße 35 zwei Stolpersteine verlegt.
Recherche, Text und Finanzierung der Kleindenkmale:
für die Stadtteilinitiative Stuttgart Mitte, Franz und Brigitte Hergenröder
Zusammen mit der Caritasverband für Stuttgart e.V., der Galerie Sichtbar und der Stolperstein-Initiative Stuttgart-Mitte hatte das Stadtarchiv, im Rahmen der Jüdischen Kulturwochen am 12. November 2020 vor und in der Katharinenstraße 35 eine Veranstaltung durchzuführen. Es sollte an diesem Abend eine Brücke von der besonderen Geschichte des Hauses, vor dem Stolpersteine an das Schicksal der ehemaligen Besitzer Ernestine und Eduard Leiter erinnern, zu seiner heutigen Nutzung durch die Galerie Sichtbar geschlagen werden. Leider konnte dieser Termin – wie viele andere Veranstaltungen – wegen der Corona-Pandemie nicht stattfinden, Günter Riederer vom Stadtarchiv hat hierzu am 07.12.20202 einen Blogbeitrag ins Netz gestellt.