Der Stolperstein für Selma Ruben ist dem „StadtPalais – Museum für Stuttgart“ zu verdanken. Dort wird seit Juni 2016 die Herkunft von knapp 1.500 Objekten erforscht, die während der NS-Zeit in die Sammlung des Hauses geraten sind. In diesem Zusammenhang stieß die Museums-Mitarbeiterin Helena Gand auf das Schicksal von Selma Ruben, von 1930-35 Teilhaberin der Raumkunst- und Antiquitätenhandlung „Hezel und Ruben“.
Charlottenplatz 5 (weißes Haus) vor der Zerstörung
Gründer und Inhaber dieses Unternehmens war der gelernte Kaufmann Karl Sigmund Hezel. Er hatte in der französischen Schweiz und in England Berufserfahrungen gesammelt, bevor er sich 1920 in Stuttgart mit eigenem Unternehmen für Innendekoration und Raumkunst selbstständig machte. Schon drei Jahre später tat er sich mit einem ersten Teilhaber zusammen, dem Schweizer Maler, Innenarchitekten, Designer und Grafiker Camille Louis Graeser. Graeser war seit 1918 auch Mitglied des Deutschen Werkbunds und zählt in seinen malerischen Werken zu den Züricher Konkreten, einer Avantgarde-Strömung, der auch Paul Klee und Wassily Kandinsky zugerechnet werden.
In dieses offenbar weltläufige, kultivierte und fortschrittlich gesinnte Ambiente kommt dann auch Selma Ruben. Die gebürtige Berlinerin (*20.1.1876) hatte vorher in Charlottenburg als Magistratsbeamtin gearbeitet. Wenige Jahre nach ihrer Heirat in Berlin zieht sie 1925 alleine nach Stuttgart. Hier wird sie Teilhaberin von „Hezel und Co“, das ab 1930 als „Hezel und Ruben“ firmiert. Die Unternehmenskultur passt dem NS-Regime nicht – zu weltoffen, zu wenig nationalistisch.
1933 flieht Camille Graeser vor den Nazis in die Schweiz, zwei Jahre darauf muss sich Hezel von seiner anderen Teilhaberin trennen – Selma Ruben ist Jüdin. Karl Sigmund Hezel führte das Geschäft nominell allein weiter, es ist für die Jahre nach 1935 als „Hezel Stuttg“ oder „Altkunst Hezel“ aktenkundig. In den folgenden Jahren verkauft Hezel immer wieder Objekte an die „Stadtgeschichtliche Sammlung“ unter Archivleiter Karl Stenzel, der die Notlage der verfolgten Juden ausnutzt und deren Besitztümer weit unter Marktwert aufkauft. Hezel ist aber nicht nachzuweisen, dass er sich an solchen Geschäften beteiligt hätte. Ganz im Gegenteil scheint er persönlich unter der Verfolgung seiner früheren Teilhaberin Selma Ruben gelitten zu haben. Er muss ihr Schicksal unmittelbar miterlebt haben, denn Selma Ruben lebte auch nach ihrem erzwungenen Rückzug weiter im selben Gebäude, in dem das Geschäft untergebracht war. Es ist unbekannt, in welcher privaten Beziehung Selma Ruben und Karl Sigmund Hezel zueinander standen. Bei der Volkszählung des Reichssippenamtes vom 17.Mai 1939 ist Selma Ruben unter dem Haushaltvorstand Hezel eingetragen.
Erst im Dezember 1940 wird sie zwangsweise in eines der absichtsvoll überbelegten „Judenhäuser“ umgesiedelt, nun auch unter dem ebenfalls zwangsweise verliehenen Zusatznamen Sarah. Am 17. April 1943 deportieren die Nazis sie nach Theresienstadt. Selma ist zu diesem Zeitpunkt 67 Jahre alt, sie erträgt die brutalen Lebensbedingungen im KZ keine zwei Monate. Am 11. Juni 1943 stirbt Selma Ruben in Theresienstadt.
Im Jahr darauf wird das Geschäft von Karl Sigmund Hezel am Charlottenplatz durch Bombenangriffe vollständig zerstört. Hezel hatte nun alles verloren, obwohl ein Teil seines Besitzes zunächst noch ins Kloster Bebenhausen ausgelagert werden konnte. Seine Inventar-Kartei geht dort aber verschütt.
1947 wird Hezel in die psychiatrische Abteilung des städtischen Bürgerhospitals aufgenommen. Er hatte seit längerer Zeit unter Depressionen gelitten. Die Ärzte begutachten ihn wie folgt: „die Arbeit in seinem Geschäft verschaffte ihm eine große Befriedigung, er hatte einen sehr netten Kundenkreis und infolgedessen auch die besonders schwierigen Jahre der jüngsten Vergangenheit mit den Unannehmlichkeiten der Gestapo, infolge der jüdischen Abkunft seiner Teilhaberin, gut ertragen können.“
Bemerkenswert daran ist nicht nur die Verharmlosung des NS-Terrors als „Unannehmlichkeit“, sondern auch die völlige Fehleinschätzung von Hezels Zustand. Gut ertragen hat er offenbar nichts, denn am 28. März 1947 verlässt der Patient Hezel nachmittags das Bürgerhospital für einen Spaziergang, von dem er nicht zurückkehrt. Am 12. April wird Hezels Leiche in Ludwigsburg aus dem Neckar geborgen.
Recherche: Helena Gand
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart, Helena Gand