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Friedericke Schumacher, Lindenbachstr. 59

Friedericke Schumacher wurde am 18.7.1870 in Geisingen, Kreis Ludwigsburg, geboren, als Tochter des Landwirts Johann Jakob Hehr und seiner Ehefrau Christine Veronika, geborene Brodt (in manchen Akten Friederike).
Sie war neuapostolischen Glaubens wie auch ihr Mann, der Schreiner Karl Emil Schumacher, den sie 1906 heiratete. Er wurde am 23.6.1876 in Stuttgart geboren als Sohn der Eheleute Jakob Schumacher, ebenfalls Schreiner von Beruf, und Katharina geborene Schmid. Emil Schumacher soll einige Möbel mit in die Ehe gebracht haben, die er wohl selbst angefertigt hatte.

Die junge Familie
Das Ehepaar Schumacher wohnte zunächst in Stuttgart in der Bismarckstraße 44 und von 1907 bis 1912 in der Schwabstraße 50. Am 1. Juli 1908 wurde der Sohn Emil geboren, am 22. Mai 1910 der Sohn Erich. Ab 1913 wohnte die Familie in der Seyfferstraße 41.
1916 ereilte die junge Familie ein schwerer Schicksalsschlag: Friederickes Mann Emil Schumacher war als Soldat bei einem Brückenkorps eingesetzt. Am 31. August 1916 starb er an Ruhr in einem Feldlazarett in Gruschty (Nowo-Alexandrowsk) in Russland. Anscheinend erhielt die Witwe den Ehering und die Taschenuhr ihres Mannes von Kameraden seiner Truppe zurück.

Die Alleinerziehende
Friedericke musste nun ihre beiden kleinen Jungen alleine ernähren und großziehen. Von 1918 bis 1936 wohnte Friedericke mit ihren zwei Söhnen in Stuttgart in der Möhringer Straße, dann zogen die drei Schumachers nach Weilimdorf in die Bachstraße 59, die ab 1938 Ferdinand-Schill-Straße hieß. Inzwischen hatten die beiden jungen Männer eine Ausbildung gemacht: Emil wurde Kaufmann und Erich Mechanikermeister. Die beiden waren sicher tüchtig, denn 1938 wurden sie gemeinsame Hausbesitzer des von ihnen bewohnten Hauses. Das Wohnhaus wurde später (1990er Jahre?) durch einen größeren Neubau ersetzt.

Das Leben im „Haus Nr. 59“
Emil heiratete im Jahr 1938, zog aber mit seiner Frau Wilhelmine, geborene Schimmel nach Feuerbach in die Kyffhäuserstraße 15. Das war gut für das Ehepaar Hans und Gertrud Müller, die nach ihrer Eheschließung 1937 noch unter dem Vorbesitzer in die Ferdinand-Schill-Straße 59 gezogen waren und nun weiter dort wohnen bleiben konnten. Anfang der 1940er Jahre hatte Friedericke vor, in ein Altersheim zu ziehen, blieb aber dann doch bei ihrem ledigen Sohn Emil in Weilimdorf wohnen, der für sie sorgte.
Alle Familienmitglieder der Schumachers waren Mitglieder des Touristenvereins Die Naturfreunde in Weilimdorf und erklärte Gegner der Nationalsozialisten. Man kam im Haus Nr. 59 zum Radiohören der „Feindsender“ zusammen, nicht zuletzt auch bei Hans und Gertrud Müller, Mitglieder der KPD, und beide schon in der Vorkriegszeit gegen die Nationalsozialisten tätig u.a. durch Verbreitung von gegnerischen Schriften. Gertrud Müller stenografierte jetzt die deutschen Sendungen aus Moskau mit, tippte sie danach auf ihrer Schreibmaschine, vervielfältigte und verbreitete sie weiter. Und so gerieten natürlich die Schumachers, die Müllers und so manche Nachbarn unter die besondere Beobachtung der Gestapo wegen ihrer „defätistischen Haltung“ gegenüber dem Regime.

Abhören von „Feindsendern“
Ein Sprachrohr der NS-Propaganda war der Rundfunk. Die Menschen wollten jedoch Informationen erhalten, die nicht durch Propaganda gefärbt waren.
Am 1. September 1939, dem ersten Tag des Zweiten Weltkriegs, erließ Propagandaminister Joseph Goebbels die „Verordnung über außerordentliche Rundfunkmaßnahmen“. „Das Abhörverbot wurde durch Presseveröffentlichungen und Ankündigungen in Filmlichtspielen publik gemacht. Zeitungen berichteten über abschreckende Strafurteile. Mitte 1941 erhielten die Blockwarte den Auftrag, alle Wohnungen aufzusuchen und an den Rundfunkgeräten oder an den Bedienungsknöpfen eine Karte anzubringen, die folgende Warnung enthielt: „Das Abhören ausländischer Sender ist ein Verbrechen gegen die nationale Sicherheit unseres Volkes. Es wird auf Befehl des Führers mit schweren Zuchthausstrafen geahndet. Denke daran!“ Das Abhören wurde meist mit langen Freiheitsstrafen geahndet, Todesstrafen sind nur wenige bekannt.
Deutsche Nachrichten-Sendungen kamen aus verschiedenen Ländern. Die bedeutendsten waren BBC London, Radio Luxemburg und Radio Moskau.

Verhaftungen
Bereits im Juni 1942 wurden Hans und Gertrud Müller verhaftet wegen staatsfeindlicher Betätigung und Vorbereitung zum Hochverrat. Sie hatten versucht, Zwangsarbeitern im Lager Lehmgrube in Weilimdorf Nahrungsmittel zukommen zu lassen. Sie wurden denunziert, auch wegen des Abhörens von Feindsendern. Hans Müller wurde bei Verhören schwer misshandelt und war bis Kriegsende in Haft. Gertrud Müller blieb bis Herbst 1943 in Schutzhaft, dann war sie bis 30.4.1945 in KZ-Haft.
Friedericke Schumacher wird am 28.8.1942 im Alter von 72 Jahren verhaftet. Die Anklage lautet auf Vorbereitung zum Hochverrat wegen antifaschistischer Tätigkeiten und Verbreitung feindlicher Rundfunknachrichten. Es findet weder eine Gerichtsverhandlung noch eine Verurteilung statt. Ab 14. November 1942 ist sie im Amtsgerichtsgefängnis Schorndorf in Haft und kommt am 30. 12. 1944 in das Hilfskrankenhaus des Kreiskrankenhauses Schorndorf, wo sie am 1. Januar 1945 an den Folgen der Haft verstirbt, noch bevor ein Strafverfahren gegen sie eröffnet werden soll.
Ihr Sohn Erich Schumacher, Mitglied der KPO, wird am 11.9.1942 an seinem Arbeitsplatz verhaftet – wie noch viele andere Regimegegner am gleichen Tag. Einer von ihnen ist der Nachbar Anton Ruf. Der Grund seiner Inhaftierung sei die Verwicklung „des Ruf“ in ein Verfahren gegen Hans Müller und weitere etwa 72 Personen wegen Abhörens feindlicher Sender. Da die Gefängnisse in Stuttgart überfüllt sind, kommt Erich Schumacher In Gefängnisse in Esslingen und Backnang. Im Frühjahr 1943 wird er nach Stuttgart zum Verhör ins Hotel Silber gebracht, wo er schwer misshandelt und bewusstlos geschlagen wird. Im April 1945 wird eine größere Zahl von Gefangenen zu Fuß von Esslingen über Stuttgart nach Ravensburg in Marsch gesetzt. Sie werden nach etwa 5 Tagen am 25.4.1945 in Heudorf bei Riedlingen von französischen Truppen befreit.
Nach seiner Rückkehr bekam Erich Schumacher das Haus Nr. 59, ab 1946 Lindenbachstraße, wieder zurück. Er starb 1980. Sein Bruder Emil war als Soldat im Krieg und kam als Spätheimkehrer aus russischer Gefangenschaft am 17.5.1949 zu seiner Frau und seinen beiden Kindern, 5 und 7 Jahre alt, nach Feuerbach zurück. Er starb 1984.

Ein Stolperstein für Friedericke Schumacher wurde am 20. Mai 2009 in der Lindenbachstraße 59 verlegt. Es war der erste Stolperstein im Stadtbezirk Weilimdorf.

Recherche und Text: Heinz und Hildegard Wienand, Stolperstein-Initiative Feuerbach/Weilimdorf