Über das Leben der Famile Sussmann wissen wir heute nur wenig. Heinrich Sussmann geboren 1879 war ein bekannter Unternehmer und Teilhaber der Firma Gebr. „Sussmann, Schuhfabrikation und –handlung“ in der Hauptstätterstraße 87. Heinrich und seine Frau Erna Sussmann, geb. Schnaier lebten seit dem Jahre 1913 mit großem Hausstand hier in der Seestraße 66 im Erdgeschoss des Anwesens. Heinrich Sussmann starb am 13.06.1930. Er wurde hier in Stuttgart auf dem Pragfriedhof bestattet. Die Sussmanns müssen recht wohlhabende jüdische Schwaben gewesen sein.
Am 29. März 1909 wurde ihre Tochter Ilse geboren. Sie hatte keine Geschwister. Ilse Sussmann ging in Stuttgart zur Schule und machte hier einen Abschluss als kaufmännische Angestellte. Nach dem Tode ihres Vaters wohnte sie auch weiter bei ihrer Mutter in der Seestraße 66. Später gibt sie an, dass sie schon am 31.12. 1934 aus Gründen der Rassenzugehörigkeit aus ihrem Beruf als Sekretärin entlassen worden sei. In der Seestraße 66 lernte sie Erwin Wirth, Hausbewohner im ersten Stock, kennen; später wird sie ihn heiraten. Damit war sie nach der Rechtsstellung der Nazis jüdische Ehefrau in einer „Mischehe“ mit „arischem“ Ehemann und blieb zunächst von direkter Verfolgung verschont.
Erna Sussmann, geb. Schnaier, wurde am 06.07.1884 in Memmingen geboren. Sie heiratete im Jahre 1908 und bezog im Jahre 1913 mit ihrem Mann und der vier-jährigen Ilse die Wohnung im Erdgeschoss in der Seestraße 66. Als Hausfrau und Fabrikantengattin wird sie ein zurückgezogenes Leben geführt haben. Den Aufstieg der Nazi-Partei erlebte sie als Witwe in der Seestraße 66. Mit den Rassegesetzen des Jahres 1935 wurden die Repressalien gegen sie und alle, die sich zum mosaischen Glauben bekannten immer schlimmer. Bereits ab Januar 1935 musste Erna Sussmann – wie alle jüdischen Frauen – ihrem Vornamen den zweiten Vornamen Sara hinzufügen. Längst vorher war es allen Juden verboten worden, öffentliche Verkehrsmittel zu benutzen, Theater, Konzerte oder Kinos zu besuchen, Reisepässe waren ebenso eingezogen worden wie Führerscheine, Kraftfahrzeuge ebenso wie Radios.
Am 11. November 1938 erfuhr sie in ihrer Wohnung vom Brand der Synagogen im ganzen Deutschen Reich. Auch die Stuttgarter Synagoge wurde ein Raub der von SA-Horden gelegten Flammen. Der Nazi-Staat machte sich dies zu Nutze und forderte von den Juden im Reich als Sühne für die in der Pogromnacht zerstörten Werte („Reichskristall-Nacht“) die so genannte „Judenvermögensabgabe“. Für Vermögende bedeutete dies 25% der nachweisbaren Finanzmittel in mehreren Raten zu überweisen. Eine Milliarde Reichsmark sollen so in die Kasse des Reiches fließen. Für Erna Sussmann setzt die Gestapo die Rate für auf 29.500 RM fest. Diese Summe hatte sie in vier Halbjahresraten zu überweisen.
Zwei Seiten eines Briefes von Ilse Wirth an Familienangehörige, Adressat, Datum und Unterschrift sind hier nicht bekannt. Auszug aus Wiedergutmachungsakten Ludwigsburg.
Viele Verwandte ihrer Familie hatten Deutschland bereits verlassen. Nach der Pogromnacht erkannte auch Erna Sussmann die Zeichen der Zeit: Noch im Januar des Jahres 1939 gab sie ihre zweite Wohnung in der Schottstraße 90 auf. In fünf großen Holzcontainern („Lifts“) schaffte sie den gesamten Hausstand aus der Schottstraße 90 mit Hilfe der Stuttgarter Spedition BARR, MOERING & Co zu einer vermutlich verwandten Familie nach London. Auch der PKW der Familie wurde für 433 RM nach dort verschifft. Doch sie blieb weiter in Deutschland, wohnt wieder in der Seestraße 66, teilt dann das Schicksal der vielen noch verblieben Stuttgarter Juden. Zu Beginn des Krieges im Herbst 1939 gab es keine Chance mehr, das Land zu verlassen.
Sie trägt wie alle Juden ab 1. September 1941 in der Öffentlichkeit den sog. „Judenstern. Allerdings hatte sie es anders als der Großteil der jüdischen Mitbürger zum nur fußläufig erreichbaren Judenladen in der Seestraße 39 nicht weit, er lag nur schräg gegenüber. Doch Sortiment, Preise und Vorräte dort stellten eine weitere Schikane dar. Das Finanzamt zwingt alle ihre Wertgegenstände aus Gold, den ererbten Schmuck und das Tafelsilber in der städtischen Pfandanstalt Königsstraße 10a abzuliefern und erhält dafür in Reichsmark nur den reinen Materialwert ersetzt. Später schätzte die Tochter Ilse Wirth den Wert auf 2376,–RM, überwiesen wurden dafür 201 RM. Über dieses Geld konnte Erna Sussmann nicht einmal mehr verfügen, es landete auf einem Sperrkonto.
Ihre Tochter gab nach dem Krieg zu Protokoll, dass ihre Mutter, Erna Sussmann, am 12.7.1942 von der Gestapo aus ihrer Wohnung in der Seestraße abgeholt, ins Hotel Silber verbracht und von dort am 13.7.1942 in das Konzentrationslager Auschwitz deportiert worden sei. Weitere Lebenszeichen von Erna Sussmann sind nicht bekannt. Das Anwesen Seestraße 66 wurde beim Bombenangriff vom 16. Juli 1944 völlig zerstört.
Nach dem Krieg stellte ihre Tochter Ilse Wirth im Rahmen der sog. „Wiedergutmachung“ einen Antrag, dem konnte das Gericht nur stattgeben, wenn sich amtlich belegen ließe, dass ihre Mutter nicht mehr lebt. Nach einer ergebnislos verlaufenen Suchaktion in den Stuttgarter Zeitungen wurde Erna Sussmann mit dem Datum ihrer Deportation, d.h. dem13.07.1942 24:00 Uhr vom Gericht für tot erklärt. Über ihren Leidensweg und gewaltsamen Tod im KZ Auschwitz weiß ihre Familie nichts.
Mit der Verlegung eines Stolpersteins an ihrem früheren Wohnort in der Seestraße 66 wollen wir ein Zeichen setzen, dass sie nicht vergessen wird.
Recherche und Text: 2o12/Tanja Schönherr, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Nord.
Geschichtswerkstatt S-Nord c/o Jupp Klegraf, Wartbergstraße 30, 70191 Stuttgart.
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart.