Fred Uhlman war der einzige seiner engeren Familie der den Nazi-Terror überlebte. Geboren 1901 in Stuttgart, wuchs er ab 1913 im neu erbauten Haus Hölderlinstraße 57 auf. Sein Vater Ludwig, der mit seinen beiden Brüdern Oskar und Richard das väterliche Baumwollgeschäft betrieb, kaufte 1918 das Haus. Nach 1926 erscheint Fred Uhlman mit eigenem Namen im Adressbuch, auch noch lange nach seiner erzwungenen Flucht im März 1933.
Fred Uhlman machte als Schüler des Eberhard-Ludwigs-Gymnasiums 1920 Abitur, er studierte Jura und war nach seiner Promotion 1926 als Rechtsanwalt mit eigener Kanzlei in der Archivstraße tätig. Als Sozialdemokrat jüdischer Abstammung, der politisch verfolgte Genossen verteidigte, bekam er nach den Märzwahlen 1933 von einem Richter den Tipp, es sei JETZT in Paris sehr schön – das hieß, er stehe bereits auf einer Gestapo-Liste.
In seiner Autobiografie „The Making of an Englishman“, die 1960 in London herauskam, jedoch erst 1992 nach seinem Tod ins Deutsche übersetzt wurde, schildert er sein Leben, seine Herkunft und Familie, und seine Wandlung zum Engländer an der Seite seiner Frau, Lady Diana Croft, die er im April 1936 kennen lernte. Im November heirateten beide in London, sehr zum Missfallen des aus uraltem englischem Adel stammenden Schwiegervaters, der der Tochter „gesellschaftlichen Selbstmord“ prophezeite. Umso begeisterter war Uhlmans geliebte Großmutter Lina geb. Elsas, die in ihrem wohl letzten Brief dem Enkel einen „romanhaft glücklichen“ Lebensweg wünschte.
Die drei anderen Mitglieder seiner Familie, Vater, Mutter und Schwester, wurden unter Hitler ermordet. Besonders schmerzt das Schicksal der drei Jahre jüngeren Schwester Erna, einer lebenslustigen jungen Frau, die 1926 den wenig begüterten jungen Bankbeamten Otto Dietz aus Mannheim geheiratet hatte. Mutter Hannchen war entzückt von dieser romantischen Liebe, obwohl Vater Ludwig laufend Geld für den Lebensunterhalt zuschießen musste. 1939 ließ sich das Paar scheiden, zur Vermeidung beruflicher Nachteile für den nicht-jüdischen Ehemann, was für Erna fatale Konsequenzen hatte. Unter dem „Schutz“ eines „arischen“ Ehemanns hätte sie ungleich bessere Chancen gehabt, den Naziterror zu überleben. –
Foto 1905: Ludwig und Hannchen Uhlman mit Sohn Fred und Tochter Erna.
Ernas Lebensstil hatte in der Familie Uhlman schon immer Kritik hervorgerufen. Nach der Scheidung konnte sie nicht mehr richtig Tritt fassen; sie wechselte häufig die Adresse, machte mehrere Anläufe zur Emigration. Im Mai 1942 brachte sie in Stuttgart ihr einziges Kind zur Welt, dessen Vater unbekannt blieb. Ausgewählt aus einer von den Nazis aufgestellten Namensliste für jüdische Neugeborene – alle anderen mussten sich bereits „Sara“ und „Israel“ nennen – hieß die kleine Tochter Tana.
Ernas Onkel Oskar Uhlman, zu der Zeit bereits zwangsweise in ein „jüdisches Altersheim“ auf der Schwäbischen Alb (Tigerfeld) umgesiedelt, teilte Anfang Juni 1942 seinem Sohn Fritz in der Schweiz mit, „dass nunmehr auch Erna Dietz mit ihrem vier Wochen alten Kind nach Polen weggekommen ist.“
Die Eltern Ludwig und Hannchen Uhlman waren da ebenfalls schon in einem der „Altersheime“, in Dellmensingen bei Ulm.
Oskar Uhlman hatte als Witwer bis 1939 im Haus Hölderlinstraße 57 gewohnt, danach gezwungenermaßen im Kaisemer 25 im Haus seines Vetters Max Elsas, der in die USA emigriert war.
Nicht allzu weit davon entfernt in der Hegelstraße 62 wohnte seit 1934 die Mutter seiner verstorbenen Frau, Fanny Löwenthal, zunächst zusammen mit ihrer ebenfalls verwitweten Tochter Bella Dreyfus, die 1940 zu ihren Kindern nach den USA emigrierte. Oskar Uhlman hatte sie, übrigens eine Cousine seiner Mutter Lina, fast täglich besucht.
Am 22. August 1942, als Ludwig und Frau Hannchen, sowie Oskar Uhlman wohl schon auf dem Killesberg versammelt waren, sollte auch Fanny Löwenthal in der Hegelstraße 62 abgeholt werden. Dieser Aufregung war die fast 87jährige alte Dame nicht mehr gewachsen. Laut ihrem Totenschein starb sie um 17:30 Uhr an einem Herzschlag.(s. auch Löwenthal Fanny geb. Fellheimer, Hegelstr. 62)
Das Martyrium von Ludwig, Hannchen und Oskar Uhlman endete im Ghetto von Theresienstadt – alle drei erlagen 1943 den dortigen unsäglichen Zuständen, laut Zeitzeugen an Unterernährung und der Ruhr.
Martha Haarburger, eine Verwandte der Uhlmans, die Theresienstadt mit schweren gesundheitlichen Schäden überlebte, hat nach ihrer Rückkehr das Leben und Sterben dort eindrücklich geschildert.
Erna Dietz und ihr Baby haben nicht überlebt. Das Jewish Search Centre in London teilte 1946 auf Anfrage Fred Uhlmans mit: „Dietz, Erna wurde mit ihrem Kind Tana am 13.7.1942 nach Auschwitz deportiert. Weitere Untersuchungen sind noch nicht abgeschlossen“.
Das wurden sie auch nie. Der Verlauf dieser Deportation von Stuttgart aus ist heute noch unklar. In der Zeitschrift „Die Justiz“ vom August 1965 untersucht Alfred Marx das Schicksal der jüdischen Juristen. Zu Fred Uhlmans Schwester Erna bemerkt er: „Soviel bekannt geworden ist, hat sie sich mit ihrem Kind in Breslau unter den Zug geworfen“.
Recherche und Text: Susanne Bouché, Initiative Stuttgart-Nord
und Susanne Stephan, Initiative Stuttgart–West.
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg (auch Foto Oskar Uhlman u. Fanny Löwenthal), Stadtarchiv Stuttgart, übrige Fotos privat, Literatur: Fred Uhlman “„The Making of an Englishman“ 1960.