Wir wissen nicht, wie Wilhelmine, „Mina“ Weinheim, den Großteil ihres Lebens verbracht hat. Sie wird am 26.10.1871 in Freiburg im Breisgau geboren. In Stuttgart steht sie ab 1938 im Adressbuch, als „Weinheim W Frl.“ (Fräulein), zu diesem Zeitpunkt ist sie schon 67 Jahre alt und bewohnt einen Teil des EG des Hauses Danneckerstr. 37. 1 Der Fabrikant und Hausbesitzer Heinrich Bernheim, Teilhaber der „Mechanischen Buntweberei Bronnweiler“,2 bewohnt den ersten Stock und wird auch im Erdgeschoss genannt. 3 Ging „Mina“ ihm als Hilfe zur Hand? Oder hatte sie ihre Räume im Erdgeschoss gemietet? Wir wissen es nicht.
Vom Fabrikanten Bernheim wissen wir, dass er 1939 nach England emigrieren konnte. 4 Wilhelmine „Mina“ Weinheim blieb oder musste bleiben, steht von Anfang an auf den Stuttgarter Deportationslisten und wird – 70jährig – am 28.2.1942 gezwungen, in ein jüdisches Zwangsaltersheim nach Dellmensingen 5 bei Ulm umzuziehen, wo man in einem alten heruntergekommenen Schloss ein sogenanntes „Jüdisches Wohnheim“ eingerichtet hatte. 6 Im August 1942 wird sie nach Stuttgart zurückgebracht, wo die Schwestern des »Jüdischen Schwesternheims« rund 950 alte Menschen jüdischen Glaubens aus diesen so genannten »Altersheimen« an mehreren Orten in Württemberg auf ihre Deportation vorbereiten mussten. Alle werden am 22. August 1942 vom Durchgangslager Killesberg aus über den inneren Nordbahnhof nach Theresienstadt deportiert. Begleitet werden sie u.a. von Elsa Ruth Rieser, die sich so erinnert 7: »Es war ein Transport von rund 1200 Menschen. Schon unterwegs sind viele gestorben. Im Viehwagen eingepfercht, am Boden etwas Stroh und ohne Verpflegung, war die Fahrt eine Qual. Endlich landeten wir auf dem Dachboden einer Kaserne. Tausende lagerten auf den Steinböden ohne Unterlage…«
Fast den taggleichen Deportationsweg hatten andere alte Menschen aus ihrer unmittelbaren Nachbarschaft, für die bereits Stolpersteine verlegt sind, z.B. Fanny Haarburger (Danneckerstr. 36, Stein in der Sandberger Str. 26, gest. Dellmensingen), Pauline „Bonna“ Spier aus der Stitzenburgstr. 2 (Stein), ermordet in Ausschwitz, Emma Hess (Danneckerstr. 34, Sandberger Str. 26 (Stein), gest. Dellmensingen)
und ihr Bruder, der Rechtsanwalt Dr. Ludwig Hess (Zwangs- “Altersheim“ in Dellmensingen, gest. in Theresienstadt).
Wilhelmine Weinheim erlag den unmenschlichen Bedingungen im
Ghetto Theresienstadt am 16. April 1943 im Alter von 71 Jahren.
Recherche und Text: 2012/Klaus Steinke, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Mitte.
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart (Ausschnitt Adressbuch). Postkartensammlung Klaus Steinke. Foto Stolperstein: Gebhard Klehr.
Spender/Paten für das Kleindenkmal: „Schwabenstreichgruppe Danneckerplatz“, vertreten durch Guido Kuhn, Stuttgart.