Der Vaihinger Bürger Gottlob Häberle, der in dem Haus Kelterstraße 10/1 (heute Kelterberg) wohnte, war ein Gegner des Nationalsozialismus und wurde nach mehrjähriger Haft im Konzentrationslager Sachsenhausen kurz vor Kriegsende dort ermordet.
Häberle wurde am 7.10.1893 in Vaihingen geboren und wuchs hier mit 13 Geschwistern auf. Später verdiente er sich seinen Lebensunterhalt als Hilfsarbeiter. Aus dem 1. Weltkrieg kehrte er als Kriegsbeschädigter heim und bekam eine kleine Rente. 1921 heiratete er Anna Metzger, die aus der Gegend von Ravensburg stammte. Das Ehepaar wohnte zunächst in der Paulinenstraße 2 (heute Vaihinger Markt). Im November 1938 kaufte Häberle eine Doppelhaushälfte in der Kelterstraße, die er dann zusammen mit seiner Frau und Mietern bewohnte.
Vor der Machtergreifung Hitlers 1933 gehörte Häberle “linksstehenden Organisationen” an, wie es in einer Akte über ihn heißt. Er war außerdem Vorstand des Mietervereins Vaihingen und Mitglied des Kriegsbeschädigtenbundes.
Am 30.7.1934 wurde Gottlob Häberle “auf Antrag der Staatsanwaltschaft” vor dem Amtsgericht Stuttgart beschuldigt, er habe “andere, darunter einen Beamten, vorsätzlich und rechtswidrig beleidigt”. Er habe u. a. gesagt, dass der Vaihinger Bürgermeister Dr. Walter Heller und der NSDAP-Kreisleiter Wilhelm Fischer aus Vaihingen an Größenwahn leiden. Deshalb hatten Heller und Fischer Strafantrag gegen ihn gestellt. Häberle wurde zu 10 Tagen Haft verurteilt, die er im Gefängnis in Stuttgart absitzen musste.
Vor diesem Verfahren war der angeklagte Häberle übel behandelt worden. Aus einem Schreiben von Häberles Rechtsanwalt geht hervor, dass es damals in Vaihingen einen regelrechten Nazi-Terror gab. Häberle war auf die SA-Geschäftsstelle in Vaihingen zitiert und von dem NSDAP-Ortsgruppenleiter Hans Junginger angeschrien, niederträchtig beschimpft und geschlagen worden. Junginger war ein fanatischer “Nazi”, der Menschen öffentlich ohrfeigte, wenn sie den Hitlergruß nicht erwiderten. Eine Zeugin sagte beim Spruchkammerverfahren über die Entnazifizierung von Junginger nach dem Krieg aus: “Ich und mein Mann haben bei dem damaligen Gottlob Häberle die Striemen und blutunterlaufenen Stellen am Körper gesehen, als Junginger den kriegsbeschädigten Häberle geschlagen hatte.”
Im Mai 1935 wurde Gottlob Häberle zu einer weiteren Gefängnisstrafe wegen Beleidigung des NSDAP-Kreisleiters Fischer und des Ortsgruppenleiters Junginger verurteilt. Er hatte sich davor bei der Gauamtsleitung in Stuttgart und beim Amt für Volkswohlfaht in Vaihingen darüber beschwert, dass er von dem Ortsgruppenleiter in Vaihingen schikaniert werde. Am 9.5.1935 erschien in der Zeitung “Filder-Bote” ein Bericht über die Verurteilung Häberles, in dem dieser als notorischer Hetzer bezeichnet und seine Bestrafung als Warnung für andere dargestellt wurde.
Durch die Rechtlosigkeit im Dritten Reich konnte jeder, der so genannte “Ehrenmänner” kritisierte, leicht als “notorischer Hetzer” abgestempelt werden. Deutlich ist die Absicht des Zeitungsartikels zu erkennen: die Einschüchterung der Bevölkerung. Gottlob Häberle hielt aber nicht den Mund und gab nicht klein bei. Er legte Berufung gegen das Urteil ein. Die Strafe wurde am 30.9.1935 auf 10 Tage Haft reduziert, ihre Umwandlung in eine Geldstrafe abgelehnt. Der als Zeuge geladene Junginger hatte geleugnet, Häberle zuvor auf der SA-Geschäftsstelle geschlagen zu haben.
Die Auseinandersetzung Häberles mit den Vaihinger Repräsentanten des NS-Staates ging weiter. Inzwischen hatte Häberle den Ortsgruppenleiter Junginger wegen Amtsanmaßung angezeigt. Der Oberstaatsanwalt beim Landgericht Stuttgart stellte das Verfahren jedoch am 14.11.1935 ein. Im Sommer 1936 wurde Häberle in so genannte Schutzhaft genommen und kam für 3 Monate in das KZ Welzheim. Jemand hatte ihn wegen “fortgesetzter staatsabträglicher Äußerungen über führende Männer von Partei und Staat” denunziert.
Etwa 3 1/2 Jahre danach wurde Gottlob Häberle, als er bei Mietstreitigkeiten in seinem Haus über Verwaltungsbeamte des Vaihinger Rathauses geschimpft haben soll, wieder denunziert. Von diesen war ihm wiederholt mit Konzentrationslager gedroht worden. Er kam im Februar 1940 wegen angeblich asozialen Verhaltens für 15 Monate in das KZ Welzheim.
Am 30.4.1941 wurde Häberle aus dem KZ Welzheim entlassen. Man verhaftete ihn aber nach kurzer Zeit am 18.7.1941 wieder wegen so genannten “volksgemeinschaftswidrigen Verhaltens” und brachte ihn in das KZ Sachsenhausen. Jemand hatte zu ihm gesagt: “Ich bring’ Dich wieder dorthin, wo ich Dich schon einmal hingebracht habe.”
Im KZ Sachsenhausen blieb Gottlob Häberle bis zu seinem Tod mehr als 3 1/2 Jahre in Haft. Die Umstände seines Todes und das genaue Todesdatum sind nicht bekannt. Als letzte Nachricht ist über ihn, der die Häftlingsnummer 040253 hatte, laut russischem Staatlichen Militärarchiv in Moskau bekannt, dass er am 5.1.1945 im Krankenbau des Lagers war. Sein Todesdatum wurde auf 28.2.1945 festgelegt. Gottlob Häberle wurde offenbar, als das KZ Sachsenhausen wegen der heranrückenden russischen Armee geräumt werden sollte, wie zahllose andere Kranke von der “SS” ermordet. Im April 1945 wurden noch 33 000 Häftlinge zu einem Todesmarsch Richtung Nordwesten gezwungen, auf dem Tausende starben.
Als Nachtrag muss noch gesagt werden, dass Gottlob Häberle für seinen verzweifelten Kampf gegen den Nazi-Terror ein weiteres Mal nach dem Krieg verurteilt wurde, als seine verwitwete Frau vergeblich eine “Entschädigung für Schaden an Freiheit” beantragte. In dem Ablehnungsbescheid des “Landesamtes für die Wiedergutmachung Stuttgart” vom 25.6.1957 wurden dieselben Nazi-Begriffe benutzt, z. B. “Querulant” und “abträgliche Äußerungen”, wie in einer Entscheidung des Reichsministers des Innern vom 21.9.1942 über die Aufhebung von Gottlob Häberles Rente, da er sich “in staats-feindlichem Sinne betätigt hat”.
Recherche & Text: Dr. Karl-Horst Marquart