Das Haus Dillmannstr. 19 verdankt sein Entstehen dem Verein Jüdisches Schwesternheim Stuttgart. Der im April 1905 gegründete Verein unterstützte jüdische und nichtjüdische Kranke in Stuttgart und der Region ungeachtet ihrer finanziellen Situation durch häusliche Krankenpflege und Krankenbesuche, wozu er jüdische Frauen eigens zwei Jahre lang zu Krankenschwestern ausbilden ließ. Der Leitspruch des ?Jüdischen Schwesternheims Stuttgart? lautete: ?Auf den Werken der Menschenliebe steht die Welt?.Die Schwestern lebten ähnlich wie Diakonissen in einer Gemeinschaft, geführt von einer Oberschwester. Den Anfang machte eine Wohnung in der Heusteigstr. 43a, nach fünf Jahren wurden größere Räumlichkeiten in der Neckarstr. 15 bezogen. Jede der anfangs drei, im Jahr 1910 acht Schwestern, bekam freie Kost und Logis sowie ein kleines Gehalt.
Damit jeder die Pflege der Schwestern in Anspruch nehmen konnte, ohne sich als Almosenempfänger fühlen zu müssen, wurden keine Gebühren erhoben. Von begüterten Familien wurden allerdings größere Spenden erwartet. Geld- und Sachspenden kamen auch von Mitgliedern des Vereins, von jüdischen Gemeinden in Stuttgart oder Ulm sowie von jüdischen Einrichtungen. Auch die Stadt Stuttgart und das württembergische Königshaus unterstützten den Verein.
Schon in den ersten neun Monaten nach Vereinsgründung und Aufnahme der Krankenpflege bzw. von Krankenbesuchen leisteten die Schwestern 1152 Krankenbesuche bei 119 Kranken und 637 Pflegetage bei 42 Kranken in Stuttgart, Ludwigsburg und Ulm. 612 Krankenbesuche betrafen auch 54 Nichtjuden, 94 Pflegetage fanden bei 10 Nichtjuden statt. Im Jahr 1908 führten die Schwestern bereits 2133 Krankenbesuche und 1135 Pflegetage durch.
Bereits seit 1910 sparte der Verein für ein eigenes Heim. Am 19. September 1913 konnte ein Grundstück in der Dillmannstr. 19 erworben und dank einer billigen Hypothek der württembergischen Invaliden- und Altersversicherung (heute LVA) sofort mit dem Bau begonnen werden. Am 1. Oktober 1914 sollte dieser bezogen werden, doch da war der Erste Weltkrieg ausgebrochen. Der Verein stellte sofort alle Kräfte in den Dienst für Deutschland: in ihrer Mehrzahl gingen die Schwestern in Lazarette an der Front, das neue Haus wurde eilends in ein Lazarett umgewandelt, das die restlichen Schwestern versorgten.
Erst nach 4 ½ Jahren konnte das Lazarett im April 1919 wieder aufgehoben werden. Das Jüdische Schwesternheim Stuttgart hatte bis dahin im Heeresdienst 14.370 Pflegetage geleistet. Das Gebäude wurde kurz renoviert und wieder instand gesetzt, damit die Schwestern sich wieder ihrer eigentlichen Aufgabe, der Krankenpflege, widmen konnten. Dann kam die Inflation der 20er Jahre. Nur mit großen Anstrengungen und durch zusätzliche Spenden überlebte das Jüdische Schwesternheim, denn alle Reserven, selbst für die Altersversorgung der Schwestern, waren vernichtet.
In den 30er Jahren wurden die Schwestern kaum noch in nichtjüdische Haushalte gerufen, bald nach Hitlers Machtergreifung war dies ohnehin verboten. Die Reichskristallnacht 1938 markierte schließlich den Anfang vom Ende: ständig gab es nun Schikanen. Das Haus wurde zum Massenquartier für ältere jüdische Mitbürger. 1941 musste es schließlich innerhalb von 12 Stunden geräumt werden. Die Bewohner kamen erst in das ?Jüdische Altersheim? in der Heidehofstraße, anschließend in ein Massenlager nach Dellmensingen. Am 22. August 1942 kehrten sie nach Stuttgart zurück, wo von einem Sammellager auf dem Killesberg aus rund 1000 jüdische Menschen nach Theresienstadt deportiert wurden. Darunter waren auch vier Krankenschwestern, von denen zwei in Auschwitz und eine in Maly Trostinec ermordet wurden. Gesundheitlich schwer geschunden überlebte nur eine der Krankenschwester Theresienstadt. Eine weitere Schwester war bereits im Dezember 1941 nach Riga deportiert und dort ermordet worden. Seit dem 10. November 2006 erinnern 4 Stolpersteine in der Dillmannstraße 19 an die 4 Schwestern – Elsa Erlebacher, Else Landsberger, Fanny Oppenheimer und Erna Strauß.
Autor: Wolfgang Kress von Initiative Stuttgart-West
Ausführlich berichtet Wolfgang Kress über das Jüdische Schwesternheim und das Schicksal von Elsa Erlebacher, Else Landsberger, Fanny Oppenheimer und Erna Strauß in dem im Herbst im Markstein-Verlag erschienenen Buch “Stuttgarter Stolpersteine- Spuren vergessener Nachbarn”. Dort findet sich auch ein Verzeichnis der Quellen zur Geschichte des Jüdischen Schwesternheims