Die Geburtsheimat des Ehepaares Lewinnek waren die Ostprovinzen Deutschlands. Adolf Lewinnek wurde am 9.2.1879 in Tuchel in Westpreußen geboren; Lina Lewinnek, geb. Aron, kam am 1.5.1882 in Schlawe in Pommern zur Welt.
Eine Station auf dem Weg nach Stuttgart war Berlin, dort wurde 1913 der Sohn Manfred geboren. Mit ihrem dreijährigen Kind kamen sie 1916 nach Stuttgart, wohnten zuerst an der Liststaffel 2 und dann seit 1926 ununterbrochen bis 1939 in der Olgastraße 121.
Hausbewohner berichten später, dass die Familie hier eine tadellos eingerichtete Sechs-Zimmer-Wohnung im Hochparterre hatte, dazu eine Mädchenkammer im 4. Stock für die Hausangestellte. Es gab einen großen Bücherschrank, Herr Lewinnek habe viel gelesen.
Beruflich als Kaufmann tat sich Adolf Lewinnek schwer. Einmal handelte er mit Strumpfwaren- und Herrenartikeln in der Charlottenstraße, dann betrieb er in der Neckarstraße eine Partiewarenhandlung, worunter man sich Restposten- oder Schnäppchenverkäufe vorstellen muss.
1929 eröffnete er ein Betten- und Möbelgeschäft in der Eichstraße 19, Eingang Ilgenplatz. Dieses Altstadtviertel mit engen Gässchen an der Südseite des Marktplatzes hin zur Eberhardstraße gibt es so heute nicht mehr. 1935 gingen die Geschäfte so schlecht, dass er sich in der Nadlerstraße das Ladenlokal mit einem anderen teilen musste. Ein Zeuge in den Wiedergutmachungs-Verhandlungen nach 1945 sagte aus, Herr Lewinnek habe einfache Gebrauchsmöbel, auch alte, geführt, die nicht zu vollständigen Zimmern aufgebaut waren, sondern eng zusammengerückt standen. Er habe häufig draußen vor der Ladentür gestanden. Die Kundschaft kaufte meist per Ratenzahlung und Frau Lewinnek sei ständig unterwegs gewesen, um die Außenstände einzutreiben, was immer schwieriger wurde. Viele nutzten die Umstände und zahlten einem Juden nicht alles ab.
Adolf Lewinnek fing an, von der Substanz zu leben und sein Geschäft nach und nach zu Schleuderpreisen abzugeben. Zuletzt, 1938, reichte ein Raum in der Schlossstraße zum Unterstellen der restlichen Verkaufsware.
Der Sohn Manfred war verfolgungsbedingt arbeitslos, er wanderte im Juni 1938 nach Amerika aus. Auch Herr Lewinnek habe vom Auswandern gesprochen, sagen Nachbarn. Der größte Teil des Hausrats wurde durch die Spedition Barr, Moering & Co. in einen großen Lift (Umzugskiste) verpackt, adressiert an den Sohn in Buffalo, N.Y., USA. Es gibt ein langes „Verzeichnis über das gebrauchte Umzugsgut des Herrn Adolf Israel Lewinnek“ vom Juni 1939.
Lewinneks, die in der Olgastraße nur noch einen Raum bewohnten und die übrigen Zimmer untervermietet hatten, „haben zuletzt auf dem Stubenboden geschlafen. Sie warteten stündlich auf ihre Auswanderung“. Diese wurde durch den Kriegsausbruch verhindert. Der Umzugslift musste im November 1939 wieder von einem Dampfer im Hamburger Hafen gelöscht werden. Adolf Lewinnek hatte die Transport- und Lagerkosten von weit über 1000 RM für die Zeit von 1939-40 bezahlt; nun forderte die Spedition das Lagergeld für die Zeit von 1941-44 = 37 Monate nach von einem Verfolgten, der zur Zeit der Forderung längst nicht mehr am Leben war, aus heutiger Sicht ein bizarrer Vorgang.
Statt Fahrt nach Amerika wurden Lewinneks gezwungen, in die Werastraße 16 umzuziehen, in ein sogenanntes Judenhaus. Es gehörte einem Juden und wurde zu einer Art Ghetto für viele andere Juden gemacht. Ein Schlaglicht auf die damalige Situation werfen die späteren Äußerungen eines früheren Nachbarn: „Ich sah Frau Lewinnek einmal auf dem Wilhelmsplatz, als sie schon den Stern trug“ (seit 1.9.1941). Und: „In die Werastraße kam ich nicht“, der Besuch in einem Judenhaus war gefährlich.
1940 kam die Zwangsumsiedlung nach Buttenhausen auf der Münsinger Alb. In diesem Dorf mit einem ehemals hohen jüdischen Bevölkerungsanteil wurden nun Stuttgarter Juden in die Häuser der einheimischen Juden hineingezwungen, gesammelt für die Deportation.
Die Deportation erfolgte für Adolf und Lina Lewinnek, 63 und 60 Jahre alt, am 26. April 1942 nach Izbica, Distrikt Lublin. Von Buttenhausen wurden sie ins Sammellager auf dem Killesberg gebracht, vom Inneren Nordbahnhof aus ging die Fahrt nach dem von den Deutschen besetzten Polen. Izbica war ein vom Ghetto zum Durchgangslager umfunktioniertes Dorf. – Mit großer Wahrscheinlichkeit endete das Leben von Adolf und Lina Lewinnek in einem der Vernichtungslager im Osten Polens, in Belzec oder Sobibor.
Am 5. Oktober 2009 wurden für Adolf und Lina Lewinnek in der Olgastraße 121 Stolpersteine verlegt.
Recherche und Text: Irma Glaub, Stolperstein-Initiative, Stuttgart-Süd