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Adolf und Lina Schäfer, Elisabethenstraße 40

Adolf Schäfer und seine Ehefrau Lina, geborene Marx, wohnten mehr als zehn Jahre lang in dem Haus Elisabethenstraße 40. Geboren wurden sie in Hainsfarth bzw. in Massbach.

Hainsfarth ist heute eine Gemeinde mit rund 1450 Einwohnern bei Nördlingen im bayrischen Schwaben. Sie war bis zu Beginn des 19. Jahrhunderts im Besitz des Öttinger Fürstenhauses, das es aus finanziellen und wirtschaftlichen Gründen erlaubte, dass sich hier spätestens im 15. Jahrhundert viele jüdische Händler und Handwerker niederließen. Anfang des 19. Jahrhunderts waren mehr als die Hälfte der Einwohner von Hainsfarth Juden (1811/12: 474), doch dann setzte wie in vielen anderen Landgemeinden die Abwanderung in größere Städte und die Auswanderung ein. Im Jahr 1852 waren noch 28% (372) Juden und 1910 nur noch 10% (99). Es haben beispielsweise die Schauspielerin Therese Giehse und der Gründer des Münchner Bankhauses Aufhäuser familiäre Wurzeln in der eher liberalen jüdischen Gemeinde in Hainsfarth.

Massbach ist ebenfalls eine Landgemeinde und gehört mit heute rund 4500 Einwohnern zum unterfränkischen Landkreis Bad Kissingen, rund 50 Kilometer von Würzburg entfernt. Erstmals ist hier im 15. Jahrhundert die Rede von Juden. Ihren Höchststand hatte die jüdische Gemeinde im Jahr 1837 mit 180 von insgesamt 1172 Einwohnern (15%). Wie in Hainsfarth nahm auch hier die jüdische Gemeinde durch Ab- und Auswanderung im weiteren 19. Jahrhundert stark ab. Mitte der 1920er Jahre wurden nur noch 31 jüdische Gemeindeglieder gezählt.

Adolf Schäfer wurde am 21. Mai 1875 in Hainsfarth geboren und ist hier aufgewachsen. Er hatte eine Schwester und zwei Brüder, die alle älter waren. Sein Vater Josef (1834-1884) war Kaufmann, seine Mutter Adelheid, geb. Holzinger (1842-1920), stammte aus einer Feuchtwanger Textilkaufmannsfamilie. Auch Adolf Schäfer hat eine Ausbildung als Kaufmann absolviert, allerdings ist darüber nichts Näheres bekannt. Seit November 1914 lebte er in Stuttgart. Sein Beruf war nun “Reisender”, also Vertreter, mit Kunden in Deutschland, Österreich und der Schweiz. In Stuttgart wohnte er in einer Pension bzw. in Untermiete, erst Ludwigstraße 30, dann Schloßstraße 37, und schließlich Hohestraße 3.

Lina Schäfer, geborene Marx, erblickte am 3. August 1879 in Massbach das Licht der Welt. Sie hatte drei Brüder und drei Schwestern, von denen eine älter war. Vater Max Abraham (1852-1924) war Metzgermeister. Mutter Fanny, geborene Ehrlich, (1855-1915) stammte aus einer Kaufmannsfamilie aus Gleicherwiesen im Landkreise Hildburghausen. Im Pass von Lina Schäfer, ausgestellt im Januar 1924 vom Bezirksamt in Bad Kissingen, steht als Berufsangabe Modistin, also Hutmacherin.

Linas Vater Max Abraham Marx war streng orthodoxer Jude und hielt nach den alten Traditionen mit peinlicher Gewissenhaftigkeit alle Gebote ein. Er war stets bestrebt, seine Kinder in gleichem Sinne zu erziehen. Selbst als Lehrlinge suchte er ausdrücklich nur Söhne von religiösen Eltern. Seine wenige freie Zeit benutzte er schon in der Jugend zur Vertiefung von jüdischen und profanen Wissenschaften. Über fünf Jahrzehnten versah er das Amt des Chasan (ehrenamtlicher Vorbeter) und des Bal-Tokeah (Schofarbläser). Er war im Ausschuss des bayerischen Rates der Juden und in diversen anderen Vereinigungen zur Förderung und Erhaltung des traditionellen Judentums. Seit jungen Jahren übte er ehrenamtlich die Funktionen eines Mohel (Beschneider) aus insgesamt bei 607 Knaben. Das Kissinger Rabbinat hatte seine Verdienste um die religiösen und profanen Institutionen der Gemeinde, des Distrikts und der gesamten Judenheit durch Verleihung des Titels Chawer (Ehrenrabbiner) gewürdigt. Da sein Sohn Moritz, der eigentlich die Metzgerei übernehmen sollte, im Ersten Weltkrieg gefallen war, übernahm diese Adolf Friedmann der Ehemann von Tochter Dora (geb. 1879), der in Stuttgart eine Metzgerei hatte.

[[Foto der Anzeige folgt]]

Diese Anzeige wurde am 8. April 1925 in der jüdisch-orthodoxen Zeitschrift “Der Israelit” veröffentlicht. Am Tag zuvor, 13 Monate nach dem Tod von Linas Vater, hatten Adolf Schäfer, mittlerweile Prokurist, und Lina Marx auf dem Standesamt in Stuttgart geheiratet. Trauzeugen waren die Brüder, der Buchhalter Max Schäfer und der Kaufmann Louis Marx. Beide kamen aus München.

Der Ausweis von Lina Marx wurde nach der Hochzeit einfach handschriftlich auf Schäfer umgeschrieben. Sie wohnten nun im Haus Reinsburgstraße 110, dritter Stock.

Wo sich Lina Marx und Adolf Schäfer kennengelernt hatten, ist genauso unbekannt wie fast alles aus ihrem Leben. Im Jahr 1927 setzten sie sich in einem notariell beglaubigten Testament als gegenseitige Erben ein und zogen von der Reinsburgstraße 110 in die Elisabethenstraße 40, und damit vom dritten in den ersten Stock. Eine frühere Nachbarin, damals ein kleines Kind, erinnert sich, zumeist an Erzählungen der Mutter, dass das Ehepaar Schäfer zurückgezogen lebte. Sie zeigten aber Interesse und waren aufmerksam. Im Haus wurden sie als sehr angenehm empfunden und als liebenswert angesehen, weshalb sie bald nur “Schäferle” genannt wurden. Für eine Nachbarin hat Frau Schäfer vermutlich auch einen Hut angefertigt, der noch lange gerne getragen wurde. Als für Juden die Situation immer schwieriger wurde, konnte das Ehepaar auf die Unterstützung ihrer Nachbarn zählen, beispielsweise mit Kartoffeln.

Es gibt kaum etwas über das Ehepaar Schäfer und nichts mehr von ihm. Darum ist es umso erfreulicher, dass sich im Nachlass von Felix Freund im Zentralarchiv für die Geschichte des jüdischen Volkes (CAHJP) in Jerusalem eine Karte erhalten hat, die uns freundlicherweise zur Verfügung gestellt wurde. Adolf Schäfer antwortet darin am 19. April 1940 seinem jüdischen Geschäftskollegen Felix Freund in Frankfurt (ermordet in Minsk), dass dieser und seine Frau gerne bei ihm in Stuttgart drei Tage wohnen können, bittet aber darum, die notwendigen Lebensmittelmarken (Brot, Zucker) mitzubringen. Er empfiehlt Felix Freund, mit den Straßenbahnlinien 6 oder 20 vom Hauptbahnhof bis zur Haltestelle “Moltkekaserne” zu fahren. Auf jedem Fall aber soll er den Zug mitteilen, mit dem er ankommt, damit auch jemand zuhause ist.

Auch Adolf Schäfer und seine Frau Lina mussten unter den verschiedenen Zwangsmaßnahmen des nationalsozialistischen Staats leiden und beispielsweise ab Herbst 1941 den Judenstern tragen. Am 9. Dezember 1938 ließen sie vorschriftsmäßig die Zwangsnamen Israel und Sara in ihre Pässe aufnehmen, was am 30. Dezember 1948 als “unwirksam” aus dem Trauregister gestrichen wurde, aber das erlebten die Eheleute nicht mehr: Zwangsweise mussten sie im Jahr 1940 in das überfüllte jüdische Wohnhaus Koppentalstraße 3 umziehen. Schließlich hatten sie sich dann auf der Sammelstelle am Killesberg einzufinden.

Am 26. April 1942 wurden Adolf Schäfer und seine Frau Lina zusammen mit rund 280 Juden aus Württemberg nach Izbica deportiert zu werden. Von dort ging es dann weiter in den Tod in eines der Vernichtungslager Belzec oder Sobibor. Von diesem Transport hat niemand überlebt.

Alle Geschwister von Adolf Schäfer, das waren seine Schwester Emma Neuburger mit ihren zwei erwachsenen Kindern und sein Bruder Sigmund, wurden in das KZ Theresienstadt oder das Getto Piaski in Polen deportiert und ermordet. Die Geschwister von Lina Schäfer dagegen, auch Schwester Dora mit Ehemann Adolf Friedmann, hatten Deutschland rechtzeitig verlassen und in den USA, Brasilien oder den Niederlanden überleben können.

Die Stolpersteine wurden am 23. Mai 2015 verlegt.

Recherche und Text: Margot Weiß und Wolfgang Kress, Stolperstein-Initiative Stuttgart-West

Quellen: Dieser Text basiert auf Unterlagen der Landesarchive in Ludwigsburg und Stuttgart, des Stadtarchivs Stuttgart sowie auf Informationen von www.alemannia-judaica.de über Massbach und Hainsfarth.
Für Auskünfte danken wir u.a. Gerhard Beck, Klaus Bub (Massbach) und Rolf Hofmann (Stuttgart, Harburg Project).

Literatur:
Verein Rieser Kulturtage e.V. und Gemeinde Hainsfarth (Hrsg.): Die ehemalige Synagoge Hainsfarth – ein Denkmal jüdischer Kultur im Ries 1860-1938-1996. Nördlingen 1996.
Herbert Immenkötter: Die israelitische Kulturgemeinde in Hainsfarth (Landkreis Donau-Ries) im 19. und 20. Jahrhundert. Augsburg 2002.

 

Vom Transit-Ghetto Izbica aus in die Vernichtungslager
Izbica, südöstlich von Lublin in Polen gelegen, war eingezwängt zwischen Bergen und einem Fluss. Nicht einmal ein Zaun war nötig, um Fluchten zu verhindern. Die Deportierten wurden in vorhandene Wohnungen gezwängt oder lebten auf den Straßen des ärmlichen Ortes. Es herrschten völlig verwahrloste Zustände, Toiletten waren weitgehend unbekannt. Die Verpflegung war äußerst knapp – 50 Gramm Brot und ½ Liter Suppe sollen es am Tag gewesen sein. Das Gepäck wurde nur anfangs den Deportierten ausgehändigt, sodass auch ein ungeheurer Mangel an Wäsche und Kleidung bestand.

Izbica war im Rahmen der “Aktion Reinhard” eines von mehreren “Vorzimmern der Vernichtung” in Ostpolen. Neben vielen Polen wurden von März bis Juni 1942 rund 17.000 Juden hierher deportiert. Wer nicht schon in lzbica starb, wurde mit den immer wieder abgehenden Bahntransporten in die Gaskammern der Vernichtungslager Belzec und Sobibor gebracht.