„Am Vormittag des 14.9.44 entfernte er sich ohne nähere Angaben über den Zweck seines Weggehens. Am 3.10.44 gegen 17 Uhr wurde seine Leiche in Stuttgart-Obertürkheim im Neckarkanal des Elektrizitätswerks unterhalb der Neckarbrücke gefunden. Die Verhandlungen vor der Wiedergutmachungskammer ergaben ein deutliches Bild der seelischen Belastungen, denen Herr Frankfurter dauernd ausgesetzt war. Daß tatsächlich Selbstmord vorliegt kann nicht bestritten werden. Den unmittelbaren Anlaß zum
Selbstmord mag zwar die hoffnungslose Lage nach dem Bombenangriff in der Nacht vom 12. auf den 13. September 1944 gegeben haben, aber den Hauptteil wird man den Verfolgungsmaßnahmen beimessen müssen.” Zitiert aus den Wiedergutmachungsakten.
Über die Jugend von Alfred Moritz Frankfurter * 10.12.1876 in Stuttgart wissen wir nichts.
Am 19.4.1924 heiratete er die “Arierin” Frieda Martha Sperrle(*26.11.1896 in Stuttgart) in Danzig.
Der Textilfachmann war Verteter der Frankfurter Firma Spitzen-Strauss und leitete deren Filiale in Danzig bis diese aufgelöst wurde. Moritz trat dann in die Firma Felix Goldstein ein, und wurde deren Teilhaber; dazu konnte Alfred Moritz 30 000 Danziger Golddukaten in die Firma einbringen. Sein Monatsgehalt betrug 1000-1500 RM. – Das Ehepaar Frankfurter lebte in bevorzugter Lage der Innenstadt von Danzig und beschäftigte einen Chauffeur und ein Dienstmädchen. Nach den dortigen Anfeindungen gegen Juden kehrten sie nach Stuttgart zurück. Moritz Frankfurter wollte eine Vertretung der Firma Spitzen-Strauss in Italien übernehmen, was sich aus verschiedenen Gründen zerschlug, auch , weil ihnen von antisemitischen Ausschreitungen in Italien von deutschen Rückwanderern berichtet wurde. In Stuttgart wurde er 1934 Auslandskorrespondent und Dolmetscher der Firma Roemer, Südfrüchteimport.
Herr Karl Roemer berichtete im Wiedergutmachungsverfahren, dass es für ihn schon in dieser Zeit zu gefährlich war, Herrn Frankfurter fest einzustellen und, dass er ihn aus seinem Privatvermögen bezahlte. Ab der Progromnacht 1938 konnte er Moritz Frankfurter gar nicht mehr beschäftigen, weil die Firma von der Gestapo überwacht wurde. Von 1935 bis 1943 war Moritz Frankfurter für die jüdische Gemeinde tätig. Er baute das jüdische Lehrhaus auf, das hauptsächlich für Auswanderer eingerichtet wurde.
Jüdisches Gemeindezentrum mit Synagoge, Hospitalstr. 36
Foto: G. Unglaub
Verwaltungsgebäude der israelischen Kultusgemeinde
Foto: Maria Zelzer
Daneben war er Buchhalter für die jüd. Wohlfahrt und für die jüd. Altersheime. Sein Gehalt kam auf ein Sicherungskonto. Jede Abhebung musste nachgewiesen werden. Nach Schließung des Lehrhauses und der jüd. Kultusgemeinde 1943 durch die Gestapo fand er bis zu seinem Tod Arbeit bei Keil & Kippenberger. Die Firma Goldstein in Danzig wurde arisiert. Moritz Frankfurter erfuhr nie wohin sein Vermögen gekommen war. Nachdem das Gemeindehaus ausgebombt wurde, zogen die Frankfurters zum Bruder der Frau in die Hackstr. 82. Am nächsten Morgen ging Moritz Frankfurter weg. Die seelischen Belastungen waren für ihn zuviel geworden, vielleicht wollte er auch seine Frau und deren Verwandten von der Belastung und Gefahr durch sich, den Juden, befreien. Seine Frau hatte treulich zu ihm gestanden, sich nicht scheiden lassen, wie ihr angetragen wurde. Stark abgemagert, sie hatte ihre Lebensmittelmarken mit ihrem Mann, der als Jude weniger Lebensmittelmarken erhielt und ab dem 18.9.1942 gar kein Fleisch, Fisch, Eier und Milch mehr bekam, geteilt, kam sie 1942 mit Magenbluten ins Krankenhaus. Was sie dort erleben musste schildert sie:
“Nach Vorausbezahlung und Abgabe der Lebensmittelkarten brachte mich eine Schwester zu Bett und betreute mich ca. eine Stunde. Die Arztvisite sollte beginnen, die Schwester kam ganz aufgeregt herein und sagte, ich müsse das Krankenhaus sofort verlassen, auf meine Frage: Warum? sagte sie, der Herr Direktor behandle mich nicht, weil ich Jüdin sei, ich müsse sofort heraus. Ich sagte, sie möchte dem Arzt sagen, dass das ein Irrtum wäre, ich sei keine Jüdin, sondern arisch, mein Mann wäre Jude, aber ich sei doch der Patient und nicht er. Sie ging und kam noch aufgeregter zurück, ich müsse das Bett sofort verlassen, der Herr Direktor begänne nicht eher mit der Visite, als bis ich draußen sei. Ich sagte, der Arzt möchte herein kommen und mir das selber sagen, ich möchte ihn sprechen und aufklären. Sie ging und kam weinend zurück. Der Herr Direktor schimpft so und schreit, er lasse sie entfernen, wenn sie nicht augenblicklich gingen. Für ihn sind sie eine Jüdin. „Mit Schmerzen, Fieber und heftigem Zittern, so dass ich mich nicht alleine ankleiden konnte, verließ ich das Krankenhaus.”
Nachdem Moritz Frankfurter trotz aller Schikanen versucht hatte ein sinnvolles Leben zu führen, sah er für sich am 14.9.1944 keinen anderen Ausweg mehr.
Recherche und Text: Barbara Heuss-Czisch und Jennifer Lauxmann
Quellen: Stadtarchiv Stuttgart, Staatsarchiv Ludwigsburg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart
Maria Zelzer: “Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden”
Bilder 1 und 2: Staatsarchiv, Ludwigsburg
Spender/Pate für das Kleindenkmal: Cordular Neidlinger, Ostfildern 4