Amalie Mathilde Reif wurde am 10. Oktober 1867 als zweitjüngstes von sieben Kindern in Hollenbach geboren. Sie lebte bis 1941 unverheiratet in ihrem eigenen Haus mit Hof und Gemüsegarten in der Sickstraße 55 in Stuttgart-Ost, bis 1939 mit ihrer nicht-jüdischen Haushälterin Hanna. In den 1930er Jahren wurde sie in den Schulferien von ihren Nichten und Neffen aus Creglingen besucht.
Ihr „Lieblingsneffe“ Alfred Landauer (Oren) wohnte während seiner weiterführenden Schulzeit im Stuttgarter Realgymnasium (heute Zeppelingymnasium) bei ihr. Alfred Landauer legte als Jahrgangsbester 1932 sein Abitur ab. An der Technischen Hochschule Stuttgart durfte er nur zwei Semester studieren, bevor das NS-Regime Juden den Zugang zum Studium verweigerten.
Um vor den Judenverfolgungen des nationalsozialistischen Regimes zu fliehen und gemeinsam mit ihrer Schwester Lina Gutmann, geb. Reif, in die USA auszuwandern, musste Amalie das Haus im April 1941 zum niedrigen Preis von 30.000 RM (tatsächlicher Wert vermutlich etwa 144.000 RM) verkaufen. Der Käufer, der Kaufmann Johannes Henke, erklärte später, sie habe dabei verhindern wollen, dass hochrangige Parteifunktionäre der NSDAP das Haus übernahmen.
Zu der geplanten Ausreise sollte es nie kommen: 1942 wurde Amalie in ein Zwangsaltersheim in Dellmensingen umgesiedelt, in dem von Februar bis August 1942 insgesamt 128 Juden und Jüdinnen zumeist aus Stuttgart untergebracht waren. Nach der Auflösung des Altersheims wurden die Bewohner:innen zurück nach Stuttgart gebracht, wo sie vom Killesberg/Nordbahnhof aus am 22.8.1942 nach Theresienstadt deportiert wurden. In einer letzten Meldung heißt es, dass Amalie von Theresienstadt aus am 26. September 1942 „nach Osten zur Vergasung“ gebracht wurde. Vier Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurden Amalie Mathilde Reif schließlich für tot erklärt. Ihre Schwester Lina starb am 7. Januar 1943 im KZ Theresienstadt. Amalie Reifs Nichten und Neffen konnte größtenteils in die USA oder nach Palästina/Israel auswandern, wo mehrere ihrer Angehörigen heute noch leben.
Zum Gedenken an Amalie Mathilde Reif wurde am 21. Februar 2025 ein Stolperstein an der Adresse ihres Hauses in der Sickstraße 55 in Stuttgart-Ost verlegt.
Recherche: Gudrun D. Greth, Christa Linkenheil-Achouche und Gerhard Naser
Text: Sophie Heinig
Stolpersteinpaten: Familie Frank F. Höfer
Quellen:
StAL EL 402-25 Bü 660
StAL FL 300-38 I Bü 2002
StAL FL 300-33 I Bü 15400
Auswanderungslisten und Marxlisten – Arolsen Archives
Naser, Gerhard (Hg.): “Lebenswege Creglinger Juden“. Bergatreute: Eppe 1999.
Foto: Naser, Gerhard (Hg.): “Lebenswege Creglinger Juden“. Bergatreute: Eppe 1999.