Zwei Arbeiter leisten Widerstand
Anton Hummler wurde am 12. Februar 1908 in St. Gallen in der Schweiz geboren. Er war das älteste von zehn Kindern, was ihn früh lehrte, Verantwortung zu übernehmen. Nach der Schule arbeitete er sechs Jahre als Landarbeiter. 1927 kam er nach Stuttgart als Maschinenarbeiter zu Bosch, wo er sich zum Maschineneinsteller qualifizieren konnte. Im Zuge der Weltwirtschaftskrise war er mehrere Jahre arbeitslos, bis er bei Bosch wieder eine feste Anstellung fand. Zusammen mit seiner Frau Frieda hatte er einen Sohn und zwei Töchter, denen er ein liebevoller Familienvater war. Von Bekannten wie von Arbeitskollegen wurde er wegen seiner Zuverlässigkeit, seines Fleißes und seines freundlichen Wesens geschätzt.
1929 war Anton Hummler dem Thälmann nahen Arbeitersportverein “Rote Sportler” beigetreten und entwickelte sich, durch die Arbeitslosigkeit unterstützt, zum überzeugten Antifaschisten. 1930 schloss er sich dem “Kampfbund gegen den Faschismus” sowie der KPD an. Hitler, so war ihm nach dem Lesen von “Mein Kampf” klar geworden, bedeutete Krieg.
Max Wagner wurde am 25. Oktober 1899 als Sohn eines Schlossers in Oberesslingen geboren. Er hatte insgesamt sechs Geschwister. Nach der Schule lernte er Steindrucker. Im Juli 1917 wurde er eingezogen und kam im Frühjahr 1918 an die Westfront. Nach einer Verwundung lag er sechs Wochen im Lazarett, kam zurück an die Front und geriet im August 1918 in englische Gefangenschaft. Erst im Oktober 1919 war der Erste Weltkrieg für ihn zu Ende, und er konnte wieder heimkehren. Wagner arbeitete nun als Steindrucker und Hilfsarbeiter, von 1936 bis 1939 war er Ankerwickler bei Bosch. Dann wurde er wegen einer Erkrankung zu 70 % erwerbsunfähig geschrieben. Er bekam eine kleine Rente, die er durch Heimarbeit aufzubessern versuchte. Er war verheiratet und hatte aus erster Ehe zwei Kinder.
Als Steindrucker war er Mitglied des gewerkschaftlichen Berufsverbands gewesen. Außerdem war er im Arbeiter-Radfahrverein “Solidarität”. Im Jahr 1930 trat er der KPD bei.
Anton Hummler und Max Wagner kannten sich wohl schon vor 1933. 1937 oder 1938 – Anton Hummler wohnte damals in der Moltkestr. 43/1, der heutigen Bebelstraße im Stuttgarter Westen und Max Wagner ein paar Häuser entfernt in der Nr. 29/2 – dürften sich beide, die den gleichen Weg zur Arbeit hatten, auch angefreundet haben.
Ungefähr zu dieser Zeit kaufte sich Max Wagner für 340 Reichsmark ein Philips-Rundfunkgerät, mit dem er ausländische Sender hörte, was er trotz Verbots nach dem Ausbruch des Zweiten Weltkriegs 1939 weiter tat. Zuerst allein, dann zusammen mit Anton Hummler und anderen, die sich vor allem samstags bei ihm zum Kartenspiel trafen. Über die Nachrichten von Londoner, Moskauer und anderen Sendern wurde diskutiert, denn oft standen sie im Widerspruch zu deutschen Nachrichten. Sie wurden aufgeschrieben und weitergegeben. Der Kreis um Anton Hummler und Max Wagner bestand bald aus rund 30 Personen. Ab 1942 fand das gemeinsame Radiohören ein Ende. Die Gruppe traf sich nun öfters zum Sonntagsspaziergang: Die Männer gingen voraus und politisierten, wobei Wagner über ausländische Radionachrichten berichtete. Die Frauen mit den Kindern hielten derweil Abstand, so dass sie die Gespräche nicht verstanden, aber warnen konnten, wenn jemand von hinten kam.
Im Oktober 1942 wurde Anton Hummler zu den Trillkewerken in Hildesheim, einem Boschbetrieb, versetzt. Auch hier führte er antifaschistisch gesinnte Kollegen zusammen und gewann sie dafür, den russischen Zwangsarbeiterinnen im Werk moralische und materielle Hilfe zukommen zu lassen, beispielsweise sammelte er verbotenerweise Wäsche und Lebensmittel, auch bei den Freunden in Stuttgart.
Hummlers Abneigung gegen die Großindustrie, die Hitler weiter hofierte, wurde 1943 bestätigt, als die Schichtzulagen gestrichen wurde und der Druck auf die Arbeiter dadurch erhöht werden sollte, dass ihr Lohn von der Mitarbeit der russischen Zwangsarbeiterinnen abhängig gemacht wurde – arbeiteten diese nichts, sollten die Arbeiter auch nichts bekommen. Er sehnte sich nach dem Ende des Faschismus, nach einem friedvollen demokratischen Deutschland, in dem die arbeitende Bevölkerung mit ihrer Stimme den Ausschlag gab.
Schon 1932 hatte er bei einem sportlichen Wettkampf in Stuttgart den Berliner Heinz Bogdan kennen gelernt. Seit 1937 war der lockere Kontakt fester geworden. Hummler und Bogdan, der Leiter einer Widerstandsgruppe in Berlin war, trafen sich nun regelmäßig in Stuttgart oder Berlin und tauschten Informationen aus. Bogdan regte jetzt einen engeren Zusammenschluss der alten Sportskollegen an, die Zeit dafür sei reif.
Max Wagner und Emil Erath, der ebenfalls zur Gruppe gehörte, sowie Anton Hummler besuchten im Juni 1943 Heinz Bogdan in Berlin. Bogdan bat sie dabei den jüdischen Zahnarzt Dr. Walter Glaser in die Schweiz zu schmuggeln. Erath wollte dies übernehmen, da er entsprechende Kontakte habe. Glaser, der untergetaucht war, um der Deportation zu entkommen, kam im August 1943 mit falschem Pass nach Stuttgart und wohnte bei Max Wagner. Mit Erath fuhr er dann weiter, wurde aber aufgegriffen und nach Berlin überstellt. Im Oktober 1943 wählte er im Jüdischen Krankenhaus in Berlin den Freitod.
Von Glasers Schicksal wusste niemand in Stuttgart, denn Erath war ein Spitzel der Geheimen Staatspolizei. Es war schon im Herbst 1940 bekannt gewesen, “dass verschiedene ehemalige Kommunisten des westlichen Stadtteiles in Stuttgart den Besuch eines gleichgesinnten Genossen aus Berlin empfangen haben, von dem angenommen wurde, dass seine Reise nach Stuttgart dem illegalen Aufbau einer kommunistischen Organisation diene”, weshalb Erath in die Gruppe eingeschleust worden war. Nun wurde die Überwachung abgebrochen. Anton Hummler und Max Wagner sowie alle, die Erath getroffen hatte, wurden Ende September 1943 in Berlin, Stuttgart und Hildesheim verhaftet, wenige Tage nachdem Bogdan in Stuttgart über die politische Lage und die Bildung einer kommunistischen Gruppe referiert hatte.
Das Hören ausländischer Sender mussten Wagner und Hummler einräumen, doch ansonsten gaben sie nur das zu, was die Gestapo ohnehin wusste, vor allem nannten sie keine weiteren Namen. Die Bildung einer kommunistischen Gruppe konnte ihnen zwar nicht nachgewiesen werden, doch ihre Rettung bedeutete dies trotzdem nicht, denn allein das Gespräch darüber, sah der NS-Staat schon als staatsgefährdend an. Andere allerdings konnten gerettet werden: Hummler gelang es, in eine Socke seiner nach den Verhören blutverschmierten Kleidung einen Zettel zu schmuggeln: “Erath ist der Verräter.” Seine Frau hatte die Kleidung im Gefängnis abgeholt und den Zettel gefunden. Die Aktivitäten ihres Mannes waren ihr natürlich nicht völlig fremd, doch wusste sie nicht, wen sie nun warnen sollte. Also schrieb sie einige Zettel mit diesen Worten und warf sie nachts in die Briefkästen von Bekannten. Erst nach dem Krieg erfuhr sie, dass sie damit tatsächlich Erfolg gehabt hatte.
Am 4. August 1944, wenige Tage nach dem Stauffenberg-Attentat auf Hitler, fand der nichtöffentliche Prozess vor dem Volksgerichtshof in Potsdam statt. Von einem Verfahren, in dem es u.a. hieß “für derartige Volksschädlinge ist in unserer Volksgemeinschaft kein Platz mehr”, hatten Wagner und Hummler kein Recht zu erwarten. Niemand kümmerte sich darum, ob zeitliche Abläufe stimmig waren, so wurden Jahreszahlen in der Klage mehrfach verwechselt. So erkannte das Gericht am Ende “für Recht: Die Angeklagten Wagner und Hummler haben während des Krieges bis zum Frühjahr 1941 als alte Kommunisten im Rahmen einer Hörgemeinschaft fortgesetzt ausländische Sender abgehört. Wagner hat die Sendungen zum Teil auch verbreitet und das Abhören allein bis zum Herbst 1943 fortgesetzt. Dabei haben beide Angeklagten zugleich in illegaler Beziehung zu Berliner Kommunisten gestanden und die Bildung einer kommunistischen Zelle in Stuttgart erörtert. Sie werden deshalb wegen Vorbereitung zum Hochverrat und Feindbegünstigung zum Tode und lebenslangem Ehrverlust verurteilt.”
Ein bisschen Zeit gab man den Verurteilten noch, in der Hoffnung, dass sie doch noch Namen nennen würden, dann wurden die Gnadengesuche der Ehefrauen und Kinder sowie von Verwandten abgelehnt. Am 25. September 1944 erfuhren Max Wagner und Anton Hummler gegen 11 Uhr im Zuchthaus Brandenburg von der bevorstehenden Hinrichtung, die um 12.48 Uhr bzw. 12.50 Uhr stattfand. Laut Protokoll dauerte sie 7 bzw. 9 Sekunden. Man hatte es eilig, schließlich mussten an diesem Tag insgesamt 18 Männer hingerichtet werden. Die Kosten des Verfahrens hatten die Angeklagten zu tragen. Bei Max Wagner waren dies 100 Reichsmark, wofür sich die Staatskasse an dem beschlagnahmten Radiogerät schadlos hielt.
Anton Hummler und Max Wagner haben Widerstand gegen ein Unrechtsregime geleistet und dafür mit dem Leben bezahlt. Zwei Stolpersteine vor den Vorderhäusern der Bebelstr. 43/1 und 29/2, die am 24. September 2007, fast auf den Tag genau 63 Jahre nach ihrer Hinrichtung verlegt wurden, sollen die Erinnerung an sie wach halten. Adolf Klumpp, Der Kunsthistoriker Dr. Gottfried Hermann Wurz,
Paten der beiden Stolpersteine sind die drei Kinder von Anton Hummler.
Recherche und Text: Wolfgang Kress, Stolperstein-Initiative Stuttgart-West/ Oktober 2007
Im Rahmen des Projektes „Frage-Zeichen – Jugendliche im Gespräch mit Zeitzeuginnen des Nationalsozialismus“ wurde ein Film mit Heinz Hummler, Sohn von Anton Hummler produziert. Den Film finden Sie hier.
Bilder: Vor 35 Jahren: Vollstreckt. Niemals vergessen! Eine Dokumentation der VVN – Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg e.V., Stuttgart o. J.
Quellen:
Akten des Bundesarchivs Berlin, des Staatsarchiv Ludwigsburg und des Stadtarchiv Stuttgart.
Vor 35 Jahren: Vollstreckt. Niemals vergessen! Eine Dokumentation der VVN – Bund der Antifaschisten Baden-Württemberg e.V., Stuttgart o. J.
Willi Bohn, Stuttgart: Geheim! Frankfurt a. M. 1969.
Erinnerungen der Familie Hummler