Cilli Levi geb. Gummersheimer – Lebensstationen bis 1939
(1) 22 Jahre in Heilbronn [1877 – 1899]
Cilli Levi wuchs in Heilbronn auf. Die Schreibweise ihres Vornamens ist nicht eindeutig gesichert: Cilli, Cilly, Zilli? Ihr Vater, Seligmann Gummersheimer – 1842 geboren, verheiratet mit Elise Thalheimer, – betrieb in Heilbronn eine Fruchthandlung, die er später zu einer Landproduktenhandlung erweiterte.
Im Juli 1899 heiratete Cilli Gummersheimer den zehn Jahre älteren Pferdehändler
Liebmann Levi aus Haigerloch.
(2) 36 Jahre in Hechingen [1899 – 1935]
Im August 1899 zog Cilli Levi mit ihrem Mann nach Hechingen, in ein Haus, das ihm und
seinem Bruder Max gehörte. Ein halbes Jahr nach diesem Umzug, im Februar 1900, starb ihr Vater im Alter von nur 58 Jahren in Heilbronn. Einen Monat später wurde ihre Tochter Irma geboren und drei Jahre darauf, im April 1903, ihre zweite Tochter, Margarete.
Im April 1920 starb, erst 52-jährig, ihr Mann. Im Dezember 1921 heiratete ihre Tochter
Irma in Öhringen Julius Thalheimer, den Mitinhaber der ein Jahr zuvor gegründeten Firma „Gebr. Thalheimer OHG, Lacke und Farben“. Dort wurde Cilli Levis erstes Enkelkind, Ilse Thalheimer, im Juni 1923 geboren.
Auch Cilli Levis Tochter Margarete zog nach Öhringen. Sie hatte im Juli 1927 Leopold Einstein geheiratet, der dort Buchhalter in der väterlichen Schuhfabrik war. Im November 1928 kam Doris Einstein zur Welt, Cilli Levis zweites Enkelkind.
Cilli Levi blieb in Hechingen zurück, allein, verwitwet und nicht berufstätig. Erst im
Februar 1935 zog sie zu ihrer Tochter Irma Thalheimer nach Öhringen.
(3) 1 Jahr in Öhringen [1935/36]
1933 setzte in Deutschland die systematische Ausgrenzung, Entrechtung und Verfolgung
der Juden durch die Nationalsozialisten ein. Die skrupellose finanzielle Ausplünderung
der jüdischen Bevölkerung und der Boykott aller jüdischen Geschäfte und Unternehmen
führten zum Untergang auch der Lacke- und Farbenfabrik der Brüder Berthold, Arthur und Julius Thalheimer in Öhringen. Sie wurde 1935 „arisiert“ und 1938 im Handelsregister gelöscht.
In dieser sorgenvollen und angstbedrohten Situation beschloss Julius Thalheimer, mit seiner Familie nach Stuttgart zu ziehen. Auch Cilli Levi sollte dorthin mitkommen. Es gelang ihm, für sie und seine Familie zwei Wohnungen in der Seestraße 95 zu mieten und sein Haus in Öhringen zu verkaufen.
(4) 3 Jahre in Stuttgart [1936 – 1939]
Im Februar 1936 bezogen Cilli Levi und die drei Thalheimers ihre Wohnungen im
1. Stock der Seestraße 95. In dem fünfgeschossigen Haus wohnten noch sechs weitere
Familien bzw. Einzelpersonen; alle, den Berufsangaben nach zu urteilen, „gut bürgerlich“ situiert: Kaufmann, Handelsvertreter, Oberlehrer, Steuerinspektor, Werkmeister, Ingenieur. Ein Aufatmen für Cilli Levi, ein Hoffnungsschimmer? Es sollte ganz anders kommen.
Abschiebung in Zwangsaltersheime 1939 – 1942.
Im April 1939 bestimmte ein Reichgesetz über die Mietverhältnisse mit Juden, dass diese nicht mehr mit „Ariern“ unter einem Dach wohnen durften, sondern in „Judenhäuser“ umziehen mussten. Dazu erklärte der Stuttgarter Oberbürgermeister Dr. Strölin im Januar 1942, dass auf Grund dieses Gesetzes von den 721 Wohnungen mit teilweise
jüdischen Bewohnern „bisher rd. 600 Wohnungen dem Wohnungsmarkt zur Unterbringung
arischer Familien zugeführt“ worden seien und dass die angelaufene „Freimachung
jüdischer Altersheime und deren Umwandlung in städtische Altersheime“ den Wohnungsmarkt noch weiter entlasten werde.
Ziel dieses Gesetzes war es, Wohnorte möglichst „judenfrei“ zu machen. Insbesondere alte und gebrechliche jüdische Bürger wurden in Ortschaften mit einem ehemals hohen Judenanteil „evakuiert“ oder auch in kurzfristig errichtete Altersheime „verbracht“. „Judenhäuser“, „Judenorte“ und (Zwangs-)“Altersheime“ waren organisatorische Vorstufen für die seit 1941 von den Nationalsozialisten propagierte „Endlösung der Judenfrage“.
Auch Cilli Levi geriet in dieses Räderwerk: sie wurde nacheinander in vier Zwangsalters-heime abgeschoben.
(5) 12 Monate in Heilbronn-Sontheim [1939/40]
Heilbronn-Sontheim, die erste dieser vier Leidensstationen, war für Cilli Levi vielleicht noch mit einer kleinen Hoffnung verbunden, kehrte sie dabei doch in ihre Vaterstadt zurück. Außerdem hatte ihr Schwiegersohn Julius Thalheimer sie dort für 6.000,- RM mit einem „Heimaufnahmevertrag“ eingekauft, abgeschlossen mit dem „Israelitischen Landesasyl- und Unterstützungsverein“. In diesem Vertrag hieß es: „Um zu ermöglichen, daß auch künftig Minderbemittelte und Hilfsbedürftige“ in den Jüdischen Alters- und Siechenheimen „verbleiben bzw. in sie aufgenommen werden können, ist es Pflicht all derjenigen Heiminsassen, die noch über hinreichende Mittel verfügen, durch ihre Pflegegelder nicht nur die Kosten ihres eigenen Heimaufenthalts zu decken, sondern darüber hinaus zu dem Unterhalt ihrer bedürftigen Mitinsassen beizutragen.“ Das klang beruhigend nach einem gesicherten Lebensabend und beruhigte möglicherweise auch Irma Thalheimer, die mit Mann und Tochter im April 1940 in die USA fliehen konnte. Warum Cilli Levi nicht mit ihnen geflohen ist – wir wissen es nicht.
Das Jüdische Altersheim „Wilhelmsruhe“ war 1907 eingeweiht worden. Es verfügte über 78 Plätze, war aber 1939/40 mit bis zu 140 aufgenommenen Personen völlig überfüllt.
Ab November 1940 wurde es geräumt, weil rückgeführte Volksdeutsche aus den verschiedenen „Ostgebieten“ dort untergebracht werden sollten.
(6) 10 Tage in Herrlingen [1940]
Von Heilbronn-Sontheim aus wurde Cilli Levi am 18.11.1940 nach Herrlingen abgeschoben und schon zehn Tage später weiter nach Stuttgart transportiert.
In Herrlingen hatte es ein jüdisches Landschulheim gegeben, das Anfang 1939 nach
nationalsozialistischen Repressalien aufgelöst worden war. An seiner Stelle wurde dort ein jüdisches Altersheim eingerichtet. Es verfügte über etwa 70 Plätze, doch wurden dort mehr als 150 Personen zusammengepfercht. Im August 1942 wurden die Bewohner nach Theresienstadt und weiter direkt in die Vernichtungslager nach Auschwitz und Treblinka deportiert.
(7) 14 Monate in Stuttgart, Heidehofstraße 9 [1940 – 1942]
Am 28.11.1940 wurde Cilli Levi von Herrlingen aus zwangsweise in das Jüdische Altersheim Heidehofstraße 9 in Stuttgart eingewiesen. Es war 1936 eröffnet worden und in kürzester Zeit drangvoll überfüllt. Weil die Stadt Stuttgart bald nach Kriegsbeginn bestrebt war, die jüdischen Altersheime zu „arischen“ Heimen zu machen, wurden alle Bewohner Anfang Januar 1942 in das heruntergekommene Schloss Eschenau bei Heilbronn abgeschoben.
Einen Monat zuvor war Cilli Levis Tochter Margarete Einstein mit ihrem Mann und ihrer 18-jährigen Tochter Ilse ebenso wie Irmas Schwager August Thalheimer mit Frau und zwei Kindern aus Öhringen über Stuttgart nach Riga deportiert worden. Sie alle wurden in Riga ermordet. Ob diese Schreckensnachricht Cilli Levi noch erreicht hat – wir wissen es nicht.
(8) 7 Monate in Eschenau [1942]
Das schon jahrelang leerstehende Schloss in Eschenau wurde ab Anfang Dezember 1942 von der Dorfgemeinde auf Kosten der Stadt Stuttgart notdürftig als jüdisches Altersheim instand gesetzt, mit Zäunen und Maschendraht gegen die Außenwelt abgeschottet und an die Jüdische Kultusgemeinde Württemberg weitervermietet. Die hygienischen Bedingungen waren katastrophal, die medizinische Versorgung völlig unzureichend, die 93 Bewohner – 80% von ihnen waren über 70 Jahre alt – litten unter den fehlenden privaten Rückzugsmöglichkeiten, den Ausgehverboten, der vollkommenen Isolierung, den deprimierend eintönigen Tagesabläufen, vor allem aber auch unter Hunger und Kälte. Zwölf von ihnen starben zwischen Januar und August 1942.
Ermordung in Treblinka
Am 19. August 1942 wurde Cilli Levi mit den übrigen Heimbewohnern von Eschenau aus in das „Sammellager“ auf dem Stuttgarter Killesberg „verschubt“. Am 22. August 1942 wurde sie mit weiteren 1.077 jüdischen Menschen vom Stuttgarter Nordbahnhof aus nach Theresienstadt deportiert. Vier Wochen später, am 26. September 1942, wurde sie weiter transportiert nach Treblinka und dort ermordet. 1959 hat das Amtsgericht Stuttgart den 30. September 1942 zu ihrem Todestag erklärt.
Recherche und Text: Initiativkreis „Stolpersteine für Stuttgart-Nord“, www.stolpersteine-stuttgart.de, Ansprechpartner für diese Verlegung: Dr. Wolfgang Harder, Im Schüle 12, 70192 Stuttgart, Tel. 0711/ 259 88 67, <wolfgang.harder@arcor.de>
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg; Stadtarchive Stuttgart, Heilbronn, Hechingen, Öhringen; Gemeindearchiv Obersulm; Stadt Öhringen:w „Jüdische Bürger in Öhringen“, 1993; M.Ulmer/M.Ritter: „Das jüdische Zwangsaltenheim Eschenau und seine Bewohner“, 2013