Elisabeth Stein wurde am 27.2.1895 in Stuttgart in der Werastr.6 als „Tochter aus gutem Hause“ geboren. Ihr Vater Max Stein war Rechtsanwalt und öffentlicher Notar mit einem Büro in der Kanzleistraße 1. Der Vater starb bereits 1907, als sie und ihre vier Jahre ältere Schwester noch zur Schule gingen. Während die Schwester Martha nach dem Abitur Medizin studierte, machte Elisabeth Stein in Stuttgart ein Sprachexamen in Englisch und Französisch. Nach dem 1. Weltkrieg war sie am Reform-Realgymnasium und in der Heidehofschule aushilfsweise als Sprachlehrerin tätig. Damals lebte sie (ab 1910) noch mit ihrer Mutter Flora Stein zusammen in der Hohenheimerstr. 3.
Die Mutter starb 1927 und Elisabeth Stein bekam im gleichen Jahr eine Stelle als Auslandskorrespondentin bei der Allianz-Lebensversicherung in Stuttgart. 1928 trat sie aus innerer Überzeugung zur evangelischen Kirche über. Im Jahre 1931 zog Frau Stein in die Bau- und Heimstättenwohnung, Am Weißenhof 36, 1. Stock. Wegen verschiedener körperlicher Leiden behindert, lebte sie dort jahrelang zusammen mit ihrer Hausgehilfin Else Lindemann.
Mitte 1937 wird Elisabeth Stein von der Allianz wegen ihrer jüdischen Abstammung gekündigt. Sie hat nun kein regelmäßiges Einkommen mehr. Bald darauf verliert sie auch ihre Wohnung, die der Bau- und Heimstättenverein kündigt, weil sie als Jüdin nicht mehr in einem Haus mit Ariern wohnen darf. Sie muss nun zwangsweise in ein so genanntes „Judenhaus“ in die Zellerstraße in Stuttgart-Süd umziehen. In diesen Häusern mit jüdischen Besitzern hausten viele Familien und Einzelpersonen bis zu ihrer Deportation auf engstem Raum zusammen. Das bekannte Stuttgarter Pfarrerehepaar Elisabeth und Rudi Daur (er war lange Pfarrer an der Markuskirche, sie Gemeinderätin der SPD in Stuttgart) konnte sich 1960 noch gut an Elisabeth Stein erinnern: „Das blasse und schmale Fräulein mit schwarzer Brille lernten wir 1939 kennen. Sie war damals erst 44 Jahre alt, wirkte aber nach einer schweren Tumoroperation viel älter und war infolge eines Starleidens körperlich hilfsbedürftig. Obwohl fast blind, erbot sie sich für Arbeiten für die Kirchengemeinde und war zu allen freudig, ja dankbar bereit.“
Ab 1939 muss Elisabeth Stein zwangsweise den Vornamen „Sara“ annehmen und eine Judenvermögensabgabe von 4000.-RM bezahlen. Ihre sämtlichen Wertsachen hatte sie bei der Pfandleihe in Stuttgart abzuliefern. Für einen Silberleuchter, ein silbernes Armband, zwei Perlenringe, einen Brillantring und eine Brosche erhielt sie eine Gutschrift von 104.- RM, die sie aber nicht einlösen konnte. Auch ihren Rundfunkapparat musste Frau Stein abliefern und sie durfte keine öffentlichen Veranstaltungen, Kinos oder Gaststätten mehr besuchen. Als Jüdin durfte sie auch Straßenbahn und andere öffentlichen Verkehrsmittel nicht mehr benutzen und Stuttgart nicht mehr ohne Sondergenehmigung verlassen.
Ab 1941 musste Frau Stein den gelben Judenstern auf der Kleidung tragen. Zu dieser Zeit gab es in ganz Stuttgart nur noch einen Laden in der Seestraße, in dem Juden ihre Lebensmittel kaufen durften.
Februar 1942: Weil die Wohnungen der Stuttgarter Juden für Rüstungsarbeiter der Heinkel-Werke vorgesehen sind, wird die Deportation forciert. Elisabeth Stein wird deshalb in ein Zwangsaltersheim im Schloss Weißenstein(Ostalb) umgesiedelt. Ihr letztes Bankgutaben von RM 588.- wird eingezogen.
Elisabeth Daur: „Als sie das erste Mal zum Abtransport nach Theresienstadt aufgerufen wurde, hatte eine Eingabe meines Mannes noch Erfolg. Aber im Februar 1942 war jede weitere Bemühung umsonst.“
Schon acht Wochen später, am 26.4.1942, wurde Elisabeth Stein von Weißenstein in das Sammellager in der ehemaligen „Ländlichen Gaststätte“ im Killesberg gebracht. Zusammen mit weiteren 277 Menschen, darunter die letzten jüdischen Kinder, wird sie von dort mit der Bahn nach Izbica in Polen deportiert. Izbica war ein kleines jüdisches Dorf in Polen südlich von Lublin, dessen ursprüngliche Einwohner ermordet wurden. Das 1942 eingerichtete Konzentrationslager diente als Durchgangslager für die Vernichtungslager Belzec, Sobibor und Treblinka. Den dorthin deportierten Personen wurde bereits in Lublin das Gepäck mit allen Wertsachen abgenommen. Die Versorgung und Unterbringung war katastrophal, nichtarbeitende Häftlinge bekamen 50 g Brot pro Tag. Viele starben an Hunger. Bis zum 2.11.1942 wurden alle Juden in die Todeslager gebracht oder vor Ort erschossen.
„Von diesem Transport ist niemand zurückgekehrt“, heißt es lapidar in einer Mitteilung der Jüdischen Kultusgemeinde Württemberg. Weil kein genaues Todesdatum vorliegt, wurde Elisabeth Stein zum 8.5.1945 (Kriegsende) formell für tot erklärt.
Text & Recherche: Jörg Kurz, Initiativkreis für Stolpersteine Stuttgart-Nord
Quellen: Einträge von Elisabeth Stein im Adressbuch Stuttgart:
1927-1931: Elisabeth Stein, Lehrerin, Hohenheimerstr. 3
1932-1938: Elisabeth Stein, Bankbeamtin, Am Weißenhof 36, I. Stock , rechts – Fernsprecher 26626. Sie lebte dort zusammen mit ihrer Hausgehilfin Else Lindemann, geb. 14.5.1906 in Brenz a.d. Brenz. Am 14.1.1938 setzt Elisabeth Stein Else Lindemann für ihre jahrelange Treue in einem handschriftlichen Testament zur Alleinerbin ein. Else Lindemann lebte 1967 als verheiratete Talmon-Gros in der Libanonstraße 39. Ihre Wiedergutmachungsansprüche vom 12.9.1967 wurden abgelehnt, weil sie mit Elisabeth Stein nicht verwandt war.
1938 musste Frau Stein zwangsweise ausziehen. und zog mit Else Lindemann in ein sogen. „Judenhaus“:
1939-1942: Elisabeth Stein, Stuttgart-S., Zellerstraße 8, II. Stock.
Die Schwester Dr. Martha Allinger, geb. Stein, geboren am 27.8.1891 in Stuttgart, hatte als Kinderärztin in Stuttgart, Schwarenbergstr. 133 eine Praxis. Sie trat 1931 auch als Buchautorin hervor („Gesundheit ist Leben“, W. Glass-Verlag, Berlin in zwei Bänden) und hielt auch medizinische Vorträge im Rundfunk. Das Buch erschien 1937 unter einem Pseudonym in einer weiteren Auflage. Sie war verheiratet mit Clemens August Hans Allinger, mit dem sie zwei Söhne hatte. Am 1. 7. 1933 verlor Frau Allinger wie alle jüdischen Ärzte die kassenärztliche Zulassung. Weil sie nun keine Existenz mehr in Deutschland hatte, wanderte sie am 4.10.1933 mit ihren beiden Söhnen nach Holland aus. Allerdings bekam sie auch in Holland keine Zulassung als Ärztin. Nach dem Krieg wohnte Martha Allinger in Amsterdam, van Eegenhaan 22. Sie bekam aus Deutschland eine Wiedergutmachungsrente von 429.- DM monatlich und verstarb am 12.07.1965 in Laren (Holland).
Ihre beiden Söhne:
Hans Clemens Bruno Allinger, geb. 4.7.1919 in Stuttgart, nach dem Krieg tätig als Handelsvertreter in Düsseldorf, Luisenstr. 45 (ledig). Hans Allinger stellte als gesetzlicher Erbe einen Wiedergut-machungsantrag für seine Tante Elisabeth Stein, der stattgegeben wurde.
Klaus Wolfgang Allinger, geb. 19.10. 1921 in Stuttgart – gestorben ohne Nachkommen am 26.9.1961 in Igmunden in Holland.
Recherche und Text: Jörg Kurz, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Nord.
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg und Stadtarchv Stuttgart