Ein unbekanntes NS-Opfer aus Vaihingen an der Enz
Emil Wilhelm Strohhäcker wurde am 15. März 1903 in Vaihingen an der Enz geboren. Seine Eltern waren der Korbmachermeister Gustav Strohhäcker, 1871 in Großsachsenheim geboren, und Karoline Strohhäcker geb. Renner, 1873 in Heilbronn geboren. Die Familie, in der insgesamt acht Kinder heranwuchsen, wohnte in der Schloßstraße 5 (heute: Am Bergle 4); sie verzog 1928 nach Illingen.
Emil Strohhäcker, der bis 1926 bei seinen Eltern gemeldet war, erscheint hier als »Tagelöhner«. Er war zu dieser Zeit wohl bereits auf »Wanderschaft«, denn er wurde im Juni 1926 in München zu sechs Tagen Haft wegen Bettelei verurteilt. Er blieb auch in den folgenden Jahren ein „unsteter Geselle“, der, wie eine Auskunft des Stadtarchivs Augsburg vom 22. Februar 2024 ausweist, immer wieder in Augsburg wohnte, und zwar in der Weißstraße 1 (bei Huber), so vom 12. November 1928 bis zum 4. Mai 1929, wieder vom 2. Juni bis zum 16. Juni 1931 und, von Ulm kommend, ab dem 18. Mai 1932 – mit unbekanntem Auszugsdatum.
In Augsburg lernte er Magdalena Deiniger kennen, mit der er einen Sohn hatte, den am 12. April 1930 geborenen Rudolf, den er vor dem Amtsgericht als sein Kind anerkannte. Strohhäcker wohnte, laut Eintrag im Sterbebuch Mauthausen, zuletzt in Stuttgart, Ilgenstraße 10. Die Ilgenstraße, die, parallel zur Eichstraße, in der Nähe des Rathauses verlief, existiert nicht mehr, sie wurde 1955 aufgelassen und ist zum großen Teil überbaut. Da er hier nicht als Wohnungsinhaber gemeldet war, muss er zur Untermiete gewohnt haben. Als Wohnungsgeber kommt wohl in erster Linie der Mieter A. Kuhn in Frage, bei dem als Beruf »Reisender« angegeben wird; möglicherweise hatte ihn Strohhäcker in Augsburg kennengelernt.
Bei seiner Einlieferung in das KZ Sachsenhausen am 23. Juni 1938, die jedoch von Augsburg aus erfolgte, gehörte er zu einer Gruppe von 1627 als »Arbeitsscheue« bezeichneten Häftlingen – genaue Bezeichnung AZR (Arbeitszwang Reich); er erhielt die Häftlingsnummer 7136. Strohhäcker war wohl als Landstreicher aufgegriffen worden und trug im KZ den schwarzen »Winkel« der auch als „Asoziale“ bezeichneten Häftlinge.
Am 25. Januar 1940 wurde er von Sachsenhausen nach Mauthausen überstellt, wo er die Häftlingsnummer 279 erhielt und bereits am 10. April 1940 verstarb. Bei seiner Einäscherung wird in der Spalte Todesursache lediglich angegeben: »Keine Diagnose«. Im Sterbebuch allerdings wird eine Todesursache genannt, und zwar: »Herzinnenhautentzündung, Herz- und Kreislaufschwäche« – sicherlich eine der üblichen Phantasiediagnosen.
Drei oder vier seiner Geschwister wohnten später in Vaihingen an der Enz, die Mutter zog von Ensingen aus zunächst nach Horrheim, 1954 nach Roßwag und 1960 wieder nach Ensingen, wo sie 1965 starb.
(Bei Vorarbeiten zur Ortsgeschichte von Horrheim stieß der Autor auf den Fürsorgeantrag einer Karoline Strohhäcker, in dem von einem Sohn Emil die Rede war, der am 10. 4. 1940 im KZ Mauthausen gestorben war. Nachforschungen ergaben ein ungefähres Lebensbild des Genannten, von dem bisher nichts bekannt war.)
Am 26. November 2024 wurde in der Eichstraße 9 ein Stolperstein für Emil Wilhelm Strohhäcker verlegt.
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Bei der Verlegung hielt Dr. Manfred Scheck aus Vaihingen/Enz die folgende Rede:
Wir erinnern heute an Emil Strohhäcker, einen Mann, der vor 90 Jahren ein bescheidenes, man könnte auch sagen, unauffälliges Leben geführt hat, der sich keine Straftat zuschulden kommen ließ und dennoch von den nationalsozialistischen Machthabern 1938 in ein Konzentrationslager eingewiesen wurde. Er kam zunächst nach Sachsenhausen bei Berlin, dann nach Mauthausen in Österreich, wo er nach drei Monaten starb, wohl ein Opfer der brutalen Arbeitsbedingungen im dortigen Steinbruch.
Welche Rechtsgrundlage verschaffte den Nazis die Möglichkeit für dieses Vorgehen? Ein kurzer Rückblick kann dies erklären: Im 19.Jahrhundert tauchte die Idee von einer Verbesserung der vererbten menschlichen Eigenschaften in Großbritannien auf und wurde unter dem Begriff Eugenik rasch populär und in Deutschland als Erbgesundheitslehre übernommen. Danach sollte der Genpool eines Volkes gezielt verbessert werden, und zwar einerseits durch Ausschaltung schlechten Erbmaterials und andererseits durch Förderung positiver Genfaktoren.
Zielte diese Vorstellung zunächst auf die Ausschaltung von Kranken, erfolgte im ‚Dritten Reich‘ eine Ausdehnung auf alle Gruppen in der Bevölkerung, die der Nazi-Ideologie von einer rassenideologisch perfekten Bevölkerung nicht entsprachen. Dabei gerieten neben den Behinderten und Kranken auch Menschen in den Kreis der Verfolgten, die dem Ideal des erbgesunden, arbeitsamen, stramm nationalsozialistisch denkenden Deutschen nicht entsprachen. Darunter fielen jetzt auch zahlreiche Männer, die ein unstetes, unangepasstes Leben führten und die man üblicherweise als Landstreicher bezeichnete. Sie waren seit Mitte des 19. Jahrhunderts häufig in ein Arbeitshaus eingewiesen worden, von denen eines auch in Vaihingen, dem Geburtsort Strohhäckers bestand. Im ‚Dritten Reich‘ wurden die jetzt als Asoziale diffamierten Männer ab 1937 in die Konzentrationslager eingewiesen, wo sie als eine eigene Häftlingskategorie geführt wurden, die einen schwarzen Winkel tragen mussten und von den anderen Häftlingen gemieden wurden, also isoliert blieben. Die Folge war laut den Erfahrungen von Eugen Kogon: Viele von ihnen überstanden den harten Daseinskampf im KL nicht (E. Kogon: Der SS-Staat, S. 48). Sie stellten daher in der Zeit vor dem Krieg die größte Opfergruppe dar.
Emil Strohhäcker wurde 1903 in eine arme Familie mit acht Kindern, von denen sieben heranwuchsen, hineingeboren – sein Vater verdiente den Lebensunterhalt als Korbmacher. In den Notjahren nach dem Ersten Weltkrieg erhielt Emil keine Möglichkeit, einen Beruf zu erlernen und lebte offiziell bis 1926 als Tagelöhner bei seinen Eltern. Doch bereits 1924 zog er als unsteter Geselle durch die Lande. Dabei lebte er auch vom Betteln und wurde 1926 dafür in München für sechs Tage inhaftiert. Immer wieder machte er in Augsburg Station, wo er Magdalena Deiniger kennenlernte, mit der er 1930 einen Sohn Rudolf hatte. In Augsburg lernte er wohl auch den »Reisenden« A. Kuhn aus Stuttgart kennen, in dessen Wohnung Ilgenstraße 10 er unterkam und wo er wohl verhaftet wurde. Die Straße wurde 1955 aufgelassen und überbaut; wir stehen hier an der Stelle des einstigen Hauses.
Im Dezember 1937 erschien ein »Grunderlass« zur »vorbeugenden Verbrechensbekämpfung«, auf dessen Grundlage Menschen, denen asoziales Verhalten vorgeworfen wurde, zur »Vorbeugehaft« in Konzentrationslager eingewiesen werden konnten. Im Frühjahr und Sommer 1938 kam es daraufhin zu zwei reichsweiten Verhaftungswellen gegen »Arbeitsscheue«, in deren Folge auch Strohhäcker am 23. Juni 1938 mit einer Gruppe von 1627 als »Arbeitsscheue« bezeichneten Männern in das KZ Sachsenhausen eingeliefert wurde. Seine Häftlingsnummer war 7136. Weshalb er am 25. Januar 1940 in das KZ Mauthausen überstellt wurde, ist nicht bekannt, womöglich wollte man ihn loswerden. Dass er bereits am 10. April starb, weist darauf hin, dass er bereits sehr geschwächt in Mauthausen ankam. Die im Sterbebuch genannte Todesursache »Herz- und Kreislaufschwäche« stützt, sofern keine der häufig angewandten Fantasiediagnosen vorliegt, die Vermutung.
Seine Mutter beantragte im Alter von 80 Jahren eine Elternrente, da ihr Sohn sie unterstützt habe. Ob sie damit Erfolg hatte, ist nicht bekannt.
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Recherche und Text: Manfred Scheck – für Stolperstein-Initiative Stuttgart-Mitte
Quelle: Die zahlreichen Quellenbelege finden sich gesammelt im Stadtarchiv Vaihingen an der Enz, Signatur S 6/13