Erich Strobel – Gewerkschafter und Widerstandskämpfer aus Stuttgart-Wangen.
„Du, deine Angehörigen und Erichs Freunde, Ihr habt die Nachricht vom Tod Erichs erhalten. Trotzdem ihr nun seit acht Jahren von ihm getrennt seid, ist es hart für Euch, aber mindestens ebenso hart ist es für uns, seine Kameraden, die wir seine Gefangenschaft teilten. Unter uns lebte er; er war ein Teil unserer Gemeinschaft und wir spüren schmerzlich das Fehlen seiner Gegenwart, seiner mitreißenden und sprühenden Geistesart und seiner, einem Motor zu vergleichenden Energie, die nie nachließ, wenn es möglich war, anderen zu helfen und sie mitzuziehen durch die dunklen Jahre der Zuchthaus- und Schutzhaftzeit.“
Dies schrieben Mitgefangene Erich Strobels nach dessen Tod im März 1943 aus dem KZ Dachau an seinen Bruder Albert nach Stuttgart-Wangen. Und so können wir uns heute den rotblonden Erich Strobel vorstellen: als hilfsbereiten, von tiefer Mitmenschlichkeit geprägten jungen Mann, der sich stets für andere eingesetzt hat.
Der Grundstein hierfür wurde in der Familie Strobel, gelegt, in die Erich am 20. Mai 1914 als letztes von sechs Kindern hineingeboren wurde. Der Vater Albert Wilhelm Strobel und seine Frau Wilhelmine Strobel geb. Brecht legten Wert auf eine christliche Erziehung. Am 25. März 1928 wird Erich konfirmiert. Wahrscheinlich noch im gleichen Jahr beginnt er nach dem Ende der Schulzeit eine Kaufmannslehre bei der Tintenfabrik Biesinger in Untertürkheim.
Die schweren Jahre, die auf die Weltwirtschaftskrise folgten machten auch Erich Strobel zu einem der Millionen Arbeitslosen. Er selbst bekam nach dem Anschluss seiner Lehre nicht einmal eine Unterstützung. Aber er warf nicht die Flinte ins Korn. Im Keller des elterlichen Hauses in der Laupheimer Str. 10 versucht er mit anderen Arbeitslosen einen Lebensmittelhandel aufzubauen. Sie füllen Gewürz- und Teemischungen ab, was Erich den Spitznamen ‚Mate‘ einbrachte. In dieser Zeit trat er in die Angestellten Gewerkschaft ein und wurde dort als ehrenamtlicher Funktionär tätig.
Inwieweit Erich Strobel auch (partei-)politisch engagiert oder gebunden war, läßt sich heute nicht mehr mit Sicherheit sagen. Aber im Freundeskreis und auch innerhalb der Familie galt Erich als „Kommunist“. Das war damals durchaus kein Schimpfwort, sondern charakterisierte ihn als Menschen, der für eine gerechtere und menschlichere Gesellschaft eintrat. Diese Idee war im ‚roten‘ Wangen, wo Erich aufgewachsen war, weit verbreitet. Dort ging der einfache Mann selbstbewusst zum Arbeitersportbund oder spielte Schach im Arbeiterschachbund. Möglich, dass Erich Strobel auch dazugehörte. Noch aus dem Gefängnis heraus erkundigt er sich brieflich nach sportlichen Ereignissen und teilt erleichtert mit, dass er weiter Schach spielen könne.
Als die Nationalsozialisten 1933 an die Macht kamen – Erich war mittlerweile in das Lebens- und Genußmittelgeschäft seines Bruders Albert eingetreten – schließt er sich sofort der Widerstandsbewegung gegen die Diktatur an, denn der Kampf für eine menschliche Gesellschaft war jetzt notwendiger denn je.
Die Widerstandsbewegung in den Neckarvororten zählte nach der Erinnerung von Erwin Holzwarth ungefähr hundert Köpfe, meist junge Menschen der Jahrgänge 1910 bis 1915. Etwa 30 Männern und Frauen bildeten den aktiver Kern. Mindestens acht davon – Erwin Holzwarth, Eugen Maier, Ernst Zobel, Arthur Bengs, Walter Schmid, Gottlob Häusser, Otto Weber und Erwin Münkle – stammten wie Erich Strobel aus Wangen, wie die Gerichtsakten belegen.
Aktivisten aus diesem Umfeld sorgten bereits 1933 für Aufsehen. Sie verhinderten die Ausstrahlung einer Hitler Rede aus der Stadthalle beim Neckartor auf dem Marktplatz in Stuttgart, indem sie das Übertragungskabel mit einem Beil durchtrennten. Der bereits erwähnte Erwin Holzwarth war daran beteiligt. Es scheint möglich, – gerüchteweise wird das bis heute in der Familie kolportiert – dass Erich Strobel, seinem Schulkamerad und langjährigem Freund Erwin dabei geholfen hat.
Nach dieser spektakulären Aktion versuchte die Gruppe durch selbst hergestellte Flugschriften gegen die Nazi Diktatur zu mobilisieren. Diese verteilte man in Arbeiterbezirken wie dem Wallmer in Untertürkheim oder an besonders belebten Plätzen in Stuttgart. Um nicht erwischt zu werden, mußte die Gruppe bei der Verteilung große Vorsicht walten lassen. Dabei war man besonders erfinderisch wie sich Erwin Holzwarth erinnert: „die Flugschriften wurden in Weidenkörben unter Säcken versteckt. Zuunterst befand sich ein Päckchen Schwarzpulver. Diese unscheinbaren Körbe wurden beim Hauptbahnhof, am Schlossplatz oder beim Wilhelmsbau abgestellt. Mittels einer Zündschnur sorgte das explodierende Schwarzpulver für die Verteilung der Flugblätter in der weiten Umgebung.“
Mitglieder der Widerstandsgruppe hängten auch Plakate auf und malten Parolen an die Wände, die die Hintermänner des Reichstagsbrandes entlarvten. Gerichtlich belegt ist eine solche Aktion in der Nacht zum 1. August 1935 auf der Neckarbrücke nach Untertürkheim.
Wegen der Gleichschaltung von Presse und Rundfunk war die Gruppe darauf angewiesen, Informationen, die sie zum Teil unter Lebensgefahr aus dem Ausland nach Deutschland schmuggelten, im Verborgenen auszutauschen und zu diskutieren. Dazu unternahm man gemeinsame Wanderungen im Schurwald oder in den Stuttgarter Wäldern. Holzwarth bezeichnet in diesem Zusammenhang rückblickend seinen Freund Erich als „einen der aktivsten und zuverlässigsten Widerstandskämpfer.“ Allerdings sei er auch „recht impulsiv gewesen und habe die Nazis provoziert.“
Aber nicht solche Provokationen wurden der Gruppe zum Verhängnis, sondern ein V-Mann, den die Geheime Staatspolizei in die Bewegung einschleusen konnte. Dieser verriet der Gestapo ein geheimes Treffen von Mitgliedern der Widerstandsbewegung, das als Faschingsball getarnt in einem Gablenberger Cafe stattfand. Dort machte die Gestapo Fotos von allen Teilnehmern, auf deren Grundlage 26 Mitglieder der Bewegung im Juni 1936 verhaftet wurden – unter ihnen auch Erich Strobel. Zu allem Unglück wurde in einer Obertürkheimer Wohnung die Schreibmaschine gefunden, auf der die meisten Flugblätter getippt worden waren.
Mit der Verhaftung beginnt für Erich Strobel ein fast sieben Jahr währendes Martyrium in den Gefängnissen und Lagern der Nazis – fast ein Viertel seines Lebens. Von Juni 36 bis zum Prozeßbeginn im März 38 wird Erich Strobel im Untersuchungsgefängnis in der Büchsenstraße festgehalten. Am 24. März 1938 wurden achtzehn Widerstandskämpfer vom OLG Stuttgart wegen „Vorbereitung eines hochverräterischen Unternehmens“ zu langjährigen Zuchthausstrafen verurteilt. Erich Strobel bekommt vier Jahre Zuchthaus. Leider sind die Unterlagen dieses Prozesse vernichtet worden, so dass die genauen Tatvorwürfe nicht mehr rekonstruiert werden können. Aus partiell erhaltenen Abschriften der Urteilsbegründung geht hervor, dass den Angeklagten die Herstellung und Verbreitung einer sog. „Faltbootbroschüre“ zur Last gelegt wurde. Offensichtlich waren die Widerstandskämpfer auch in der Tarnung ihrer Informationsschriften sehr erfinderisch: Sie gaben sie als Bauanleitung für die Herstellung eines Faltbootes heraus. Durch Verfolgung und Krieg ist leider kein einziges Exemplar ihrer Druckschriften erhalten geblieben.
Nach der Verurteilung wird Erich Strobel nach Ludwigsburg überstellt. Von hier aus kommt er als Häftling 156/38 in das berüchtigte Lager Aschendorfer Moor bei Papenburg/ Ems – Lager 2 Baracke 8. In einem Brief datiert vom 24. Juli 1938 schreibt Erich nach Hause:
„Lieber Vater und Geschwister,
… Die Arbeit besteht darin, große Flächen Moor und Heide als Kulturland zu gewinnen. Ihr könnt mir glauben, daß es mir schwer gefallen ist und heute noch schwer fällt, die Arbeit zu verrichten.“
Erich Strobel war zu dieser Zeit ein junger Mann von vierundzwanzig Jahren aber als gelernter Kaufmann an keinerlei körperliche Schwerarbeit gewöhnt, und so müssen wir uns die Qualen als besonders extrem vorstellen, die ihm die Arbeit im Moor bereitet hat. Lediglich die Kameradschaftlichkeit unter den meist politisch Gefangenen, die Erich Strobel lobend erwähnte, mag ihm das Leben im Lager erleichtert haben. Ebenso wie vielleicht die Tatsache, daß sein Mitkämpfer Albert Huppenbauer aus Stuttgart Untertürkheim sein Schicksal als Gefangener teilen musste. Und so war Erich Strobel am Ende seiner Haftzeit kein gebrochener Mann. Am 31.März 1940 schrieb er nach Hause:
„Lieber Vater und Geschwister,
… Charly (gemeint ist Albert Huppenbauer P.S.-E.) wird diesen Monat am 24.4. entlassen. … Ich werde am 24. Juli 1940 entlassen. … Bei der Frage der Schutzhaft kommt es viel auf euch an. Ihr müßt alle Verbindungen spielen lassen. … Nicht, daß ihr meint ich werde schwach, nein umgekehrt. Aber ich muß unter allen Umständen raus, mein Platz ist nicht im Zuchthaus zur Zeit. Wenn Deutschland und damit Europa um seine Freiheit kämpfen, dann darf keiner zurückstehen, das Banner der Freiheit aufzurichten. Dieser Kampf ist mir heilig und jeder soll mithelfen so viel in seinen Kräften steht.“
Leider blieben alle Bemühungen seitens seiner Familie vergebens. Nicht zuletzt aufgrund seiner Unbeugsamkeit wird Erich Strobel nach Verbüßung seiner Haftstrafe in so genannte ‚Schutzhaft‘ genommen. Vom Moorlager Aschendorf kommt er ins KZ Welzheim und von dort als Häftling Nr. 24249 nach Dachau.
Somit war es ihm nicht vergönnt, ‚das Banner der Freiheit‘ wieder aufzurichten. Aber Erich Strobel blieb sich treu; bis zuletzt versuchte er seinen Mitgefangenen zu helfen so gut er konnte. Als in Dachau Anfang 1943 eine Typhus Epidemie ausbrach, isolierte Erich sich nicht von den Kranken, sondern versorgte sie mit Brot und Medikamenten soweit sie ihm zur Verfügung standen. Dabei muß er sich selbst infiziert haben. Am 9.März 1943 starb Erich Strobel in Dachau.
Recherche und Text: Peter Selig-Eder
An Erich Strobel erinnert die StolperKunst-Produktion “Familienabend” des Theaters LOKSTOFF!, die in der Wohnung der Familie seine Geschichte lebendig werden lässt.