Kostgeberin mit Klavier – Friederike „Rickchen“ Bloch (1868-1942), Rotebühlstraße 1c
Friederike Bloch, geb. Wertheim, genannt Rickchen, war eine erfolgreiche Gastronomin. Gemeinsam mit ihrem Mann und zwei Söhnen betrieb sie von 1930 an ein vegetarisches Restaurant. „Gaststätte Bloch“ hieß der Betrieb so schlicht wie selbstbewusst – in guter Innenstadtlage, großzügig ausgestattet, bestens besucht. Tische mit Marmorplatten und ein Klavier zierten die beiden Gasträume, zwei Köche und fünf Angestellte arbeiteten in der „Kostgeberei“ – so die damalige Bezeichnung für ein vegetarisches Restaurant. Drei solcher Lokale existierten vor dem Krieg in der Innenstadt. Das der Familie Bloch blieb nach der Machtübernahme der Nazis eine der wenigen Stuttgarter Gaststätten, die Juden noch besuchen durften.
Eine Etage über dem Lokal lebte Familie Bloch in einer großzügigen, gut ausgestatteten Wohnung. Paula Dehbach, eine benachbarte Handwerkerin, erinnert sich an schöne Möbel, Teppiche, Gemälde und andere Kunstgegenstände. All das wurde am 9. November 1938 von Staats wegen zerstört. „Das Geschirr war haufenweise am Boden zerbrochen, die Gardinen zerschlitzt, die Möbel völlig zertrümmert, besonders das Klavier“, berichtet Paula Dehnbach.
Noch schlimmer hat die Gewaltorgie auf junge Augenzeugen gewirkt, so die damals neunjährige Gusti Schäfer, die das Geschehen ebenfalls verfolgte:
„In der Nacht fuhr ich erschrocken aus dem Schlaf hoch. Schreie – Befehle – berstendes Glas – was war das nur? Ich rannte zum Fenster. Was ich sah, war so grausam, dass ich auch heute noch zu zittern beginne, wenn ich mir diese Nacht in Erinnerung rufe.
Hinter unserem Haus, in der Marienstraße 6, war ein großer Hof, der die Verbindung zu den ersten Häusern der Rotebühlstraße herstellte. Dort befand sich eine jüdische Gaststätte, auch hier gingen die Fenster auf unseren Hof. In jener Nacht hörte ich die Frau – ich meine, sie hieß Bloch – so fürchterlich schreien, dass ich es nicht vergessen kann.“
Damals war Rickchen Bloch fast siebzig Jahre alt und bereits zwei Jahre verwitwet. Auch ihre Söhne Max und Ludwig konnten ihr nicht mehr beistehen: Max war schon vor der Pogromnacht ins KZ Buchenwald verschleppt worden und nach seiner Freilassung Richtung Haifa geflohen; sein Bruder Ludwig war im KZ Dachau inhaftiert, konnte aber später nach New York entkommen.
Warum Rickchen Bloch nicht fliehen konnte, ist ungewiss. Nach der Schreckensnacht des 9. November 1938 schickte der Staat zwar einige Kriminalbeamte, die das Wüten des Mobs der Form halber notierten, aber helfen musste sich Rickchen Bloch alleine.
Blick obere Königstrasse Richtung Süden, rechts Wilhelmsbau
Zwei Wochen hielt sie ihr Lokal geschlossen, organisierte sich neu, und eröffnete Mitte November 1938 erneut. Von diesem Zeitpunkt an bis zu ihrer Deportation im Sommer 1942 hielt sie ihre „Gaststätte Bloch“ in Betrieb. Dann wurde Rickchen Bloch ins Sammellager Killesberg gebracht, am selben Tag ihre Wohnung von Nazis ausgeräumt, eine arische Deutsche übernahm die Gaststätte. Als das gesamte Gebäude im Juli 1944 durch einen Bombenangriff zerstört wurde, lebte Rickchen Bloch schon nicht mehr: Sie war am 22. August 1942 von der Gestapo Baden-Württemberg nach Theresienstadt und dort am 29. September zum Vernichtungslager Treblinka, nordöstlich von Warschau, verschleppt worden. Das zuständige Amtsgericht Riedlingen erklärte daher nach dem Krieg den 1. Oktober 1942 zum offiziellen Todeszeitpunkt von Rickchen Bloch.
Ihre Söhne und deren Familien versuchten in den 50er Jahren, im Rahmen der so genannten Wiedergutmachung eine Entschädigung von 60.000 DM zu erlangen. In den Akten dazu heisst es: „Der Antrag auf Gewährung einer Entschädigung wegen Schadens am Leben (ist) zurückzuweisen.“ Weil Rickchen Bloch aber in Theresienstadt inhaftiert war und einen Judenstern tragen musste, wird ein „Schaden an Freiheit“ eingeräumt und wie folgt verrechnet: „150 DM je voller Monat, also 1.800 DM.“
Recherche: Jennifer Lauxmann, Text: Andreas Langen, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Mitte.
Anmerkung: der Gedenkstein liegt vor dem Einrichtungshaus Rotebühlstr. 1 (ca. 4 m vor Gebäude)
Quellen: Stadtarchiv Stuttgart, Staatsarchiv Ludwigsburg
Finanzierung des Gedenksteines: Gerhard Lentzen, Stuttgart u. a.