Fritz Rothschild stammte aus einer Stuttgart Unternehmerfamilie. Er war Inhaber einer Textilfirma. Die NS-Ideologie zerstörte diese Existenz.
Seit den späten 1920er Jahren hatten die Rothschilds in der Stafflenbergstraße gelebt. Dann aber wechselten sie – höchstwahrscheinlich auf Druck der Nazis – ab Mitte der 1930er Jahre zwei Mal in relativ kurzen Intervallen innerhalb von Stuttgart den Wohnsitz. Der britische Historiker Daniel Lee hat recherchiert, dass sie an einer dieser kurzzeitigen Adressen zufällig Nachbarn des Gestapo- und SS-Mannes Robert Griesinger wurden. Die Eingangstüren Griesingers und Rothschilds waren fünf Meter voneinander entfernt.
Nach der Pogromnacht vom 9. November 1938 wurde Fritz Rothschild von der Gestapo verhaftet. Wie lange die Haft dauerte, ist nicht bekannt, wohl aber ihr Zweck als Instrument des Terrors: Der Inhaftierten waren vollkommen schutzlos, wurden teils gefoltert, teils ermordet.
Im August 1939 flüchteten Helene und Fritz Rothschild nach Paris. Ihr Sohn Hans Erich kam dorthin aus Lausanne, wo er zur Schule gegangen war – zum einen wegen einer hochkarätigen Bildung (Hans Erich beherrschte sieben Sprachen), zum anderen, um dem antisemitischen Terror in Deutschland zu entkommen. Doch der Krieg erreichte auch die Exilanten: Im Mai 1940 wurden die drei Rothschilds als deutsche Staatsangehörige im französischen Lager Gurs interniert. Hans Erich, damals 18 Jahre jung, verpflichtete sich zum Dienst in der französischen Fremdenlegion, woraufhin sein Vater aus dem Internierungslager freikam und nach Paris zurückkehrte. Auch Helene schlug sich dorthin durch, nachdem die Deutsche Wehrmacht in Frankreich einmarschiert war.
In Paris drohte Helene und Fritz unter deutscher Besetzung jederzeit der Tod. Daniel Lee hat herausgefunden, dass Fritz bis Februar 1944 noch für den Unilver-Konzern arbeiten musste. Helene berichtet, dass sie und ihr Mann in leer stehenden Büros hausten, notdürftig mit Nahrung versorgt durch heimliche Unterstützer, doch in ständiger Angst vor der Deportation.
Diese Befürchtung sollte sich schließlich bewahrheiten. Anfang Mai 1944 wurden die Rothschilds über Drancy nach Auschwitz deportiert. Am Tag ihrer Ankunft, dem 25. Mai 1944, wurde Fritz dort ermordet. Seine Frau Helene überlebte. Später hat sie im so genannten Wiedergutmachungsverfahren zu Protokoll gegeben:
“Wir wurden stehend im Viehwagen nach Auschwitz transportiert. Dort wurden wir getrennt. Ich habe meinen Mann niemals wiedergesehen. Ich wurde in einer Arbeitskolonne eingegliedert, von der täglich Menschen abgeholt wurden. Wir waren völlig ungenügend bekleidet, ohne Schuhe und mit unzureichender Ernährung. Ich musste auf Feldern, beim Straßenbau und auf Bauten arbeiten. Misshandlungen waren an der Tagesordnung, einmal wurde mir ein Zahn ausgeschlagen. Wir waren oft stundenlangen Appellen ausgesetzt, bei Regen und Kälte. Ende Dezember 1944 zog ich mir eine Lungenentzündung zu. Ich lag mit hohem Fieber in einer Baracke. Außerdem hatte ich eine Infektion am Bein, die von einer Mitverfolgten aufgeschnitten wurde, sich wieder entzündet und eiterte. Als ich schon jede Hoffnung aufgegeben hatte, wurden wir befreit. Am 27. Januar 1945 wog ich 35 Kilo.“
Helene hatte acht Monate Auschwitz durchgemacht. Danach war sie so traumatisiert, dass sie ihren eigenen Sohn zunächst nicht wiedererkannte.
Hans Erich war als Kämpfer der Fremdenlegion in Nordafrika von den Deutschen unter Rommel gefangen genommen und gefoltert worden. Knapp entging er dem Hungertod. Zeitlebens hinkte Hans Erich Rothschild beim Gehen, eine Folge der Misshandlungen.
Nach dem Krieg zeigte die Bundesrepublik den Rothschilds, wie vielen NS-Opfern, das kalte Gesicht einer bürokratischen Maschine. Das ist kaum verwunderlich, denn in vielen Stellen der Verwaltung und des politischen Apparates saßen Parteigänger der NSDAP, und eine antisemitische Grundhaltung war in der Bevölkerung immer noch weit verbreitet.
Nach langwierigen juristischen Verfahren zahlte die BRD schließlich einige Tausend DM und eine Witwenrente.
All dem zum Trotz haben die Rothschilds immer eine große Zuneigung zum Land ihrer Herkunft gepflegt. In den 1950er Jahren kamen sie ein erstes Mal kurz nach Stuttgart. Später machte Hans Erich 30 Jahre lang mit Frau und Tochter alljährlich Campingurlaub bei Rust, wo die Ursprünge ihrer Familie liegen.
1996 erhielt Hans Erich Rothschild in Stuttgart seinen deutschen Pass zurück, und zwar persönlich vom Stuttgarter OB Manfred Rommel, Sohn des vormaligen Wehrmacht-Generals Rommel.
Hans Erich Rothschild ist 1998 in England gestorben.
2020 haben die Witwe von Hans Erich, Christine Rothschild und ihre gemeinsame Tochter Helga, sowie weitere Familienangehörige an der Verlegung der Stolpersteine für Fritz, Helene und Hans Erich Rothschild teilgenommen.
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Recherche:
Jennifer Lauxmann-Stöhr, Andreas Nikakis, Wolfgang Kress, Andreas Langen
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart, Fam. Rothschild
März 2021, Stuttgart