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Herman Seitz, Haußmannstr. 174

 
Hermann Rudolf SEITZ 
 
geboren am 24. März 1907 in Stuttgart 
ermordet am 30. November 1944 in Dachau 
als Mitglied der sogenannten „Schlotterbeckgruppe“ 
im Widerstand gegen den Nationalsozialismus
 
Am 30. November 1944 wurden in Dachau ermordet:
Gotthilf SCHLOTTERBECK, Jg. 1880 aus der Annastr. 6, Stuttgart-Untertürkheim und 
seine Frau Maria SCHLOTTERBECK, geb. KUGEL, Jg. 1885, 
deren Tochter Gertrud LUTZ, geb. SCHLOTTERBECK, Jg. 1910, die  zusammen mit ihrer kleinen Tochter Willfriede aus ihrer Wohnung Auf dem Haigst 6 evakuiert  war nach Grabenstetten auf der Schwäbischen Alb,
Erich HEINSER, Jg. 1920 aus der Stubaier Str. 74, in Stuttgart-Untertürkheim und
Emil GÄRTTNER, Jg. 1896 aus der Augsburger Str. 601, Stuttgart-Obertürkheim – Freunde und Kollegen von Hermann Schlotterbeck, sowie 
Sofie KLENK, geb. WIMMER, Jg. 1904, wohnhaft in der Manfredstr. 17a, Stuttgart-Untertürkheim,
die Verlobte von Friedrich Schlotterbeck, Else HIMMELHEBER, Jg. 1905, wohnhaft in der Adlerstr. 24, Stuttgart-Süd
Emmy SEITZ, geb. Ramin, Jg. 1904, wohnhaft in der Wartbergstr. 14, Stuttgart-Nord, deren Mann am 6. Febraur 1945 in Halle ermordet wurde und ihr Schwager 
Hermann SEITZ, Jg. 1907, wohnhaft in der Haußmannstr. 174, in Stuttgart- Ost
Hermanns jüngerer Bruder Theodor SEITZ, Jg. 1912, Ehemann von Emmy SEITZ, geb. RAMIN, der 1940 zur Wehrmacht eingezogen worden war, wurde am 16. Dezember 1944 verhaftet und am 6. Februar 1945 um 15 Uhr in Halle/Saale hingerichtet.
 
Hermann SCHLOTTERBECK wurde von einem Kollegen verraten, gefasst und in Welzheim schlimmster Folter unterworfen – er schwieg. Bei der Räumung des Lagers vor den heranrückenden Alliierten bei Riedlingen von den SS-Leuten Emil Held, Anton Dehm und Albert Rentschler, genannt „die Wildsau“, erschossen.
 
Friedrich SCHLOTTERBECK, der einzige Überlebende der Familie, schrieb 1945 bei seiner Rückkehr: 
„Einst war es ein Haus wie andere auch. Aber jetzt sind die Menschen, die darin lebten tot. Mit einem dreijährigen Kind bin ich übrig geblieben. Die anderen, Vater, Mutter, Schwester, Bruder, Braut und manchen guten Freund hat die Gestapo heimlich und feige ermordet. „Sippenhaft“ nannten sie es.“
 
Die Verhafteten wurden von der Gestapo schwer gefoltert. 
Am 27. November 1944 wurden sie aus den verschiedenen Gefängnissen in Stuttgart zusammengeführt und in Begleitung von Kriminalsekretär Kessler nach Dachau gebracht. Dort wurden sie ohne jegliche Gerichtsverhandlung am 30. November 1944 hingerichtet. Ihre Angehörigen wurden belogen, die Herausgabe der Leichen verweigert.„Gewiß, vom menschlichen Standpunkt aus ist das Geschick der Familie Schlotterbeck tragisch und bedauerlich. Aber es war staatspolitisch notwendig“ so ein Gestapomann.
 
Hermann Rudolf SEITZ war gelernter Installateur. Er arbeitete als Maschineneinsteller und Kraftfahrer. Sein Vater wurde als KPD-Mitglied bereits im Frühjahr 1933 im KZ Heuberg inhaftiert. Sein Elternhaus in Luginsland verließ er, als er die Kontoristin Emma Hildegard SCHMELCHER heiratete. Mit ihr zog er in das Haus, in dem auch Hans Gasparitsch mit seinen Eltern lebte, Emma SEITZ war im dritten Monat schwanger, als Hermann am 10. Juli 1944 an seinem Arbeitsplatz, der Firma Alfred Kettner – Autokühlerbau/ Benzintank-Fabrikation – in der Neckarstr. 221A „im Zusammenhang mit dem „Fall Schlotterbeck“ verhaftet wurde und nie wieder nach Hause kam.
 
Zusammen mit den Angehörigen und Freunden der Familie SCHLOTTERBECK wurde er am 30. November 1944 ermordet, knapp vier Wochen bevor seine Frau ihr gemeinsames Kind zur Welt brachte. Hermann Rolf SEITZ nannte die trauernde Witwe Emma SEITZ ihr Kind. Und auch dieses Kind blieb ihr nicht. Es starb am 18. März 1945 um 1:30 Uhr in der Stuttgarter Kinderklinik in der Türlenstraße – nur drei Monate nach seiner Geburt.
 
Wie war es zu der Verhaftungswelle mit zwölf ohne jegliche Anklage oder Prozess Ermordeten gekommen?
 
Der 1913 in Aufhausen geborene Eugen NESPER, der eine Zeitlang bei Familie Schlotterbeck gewohnt hatte und mit den Brüdern Schlotterbeck gemeinsam im Widerstand aktiv war, hatte sich von der Gestapo für als Doppelagent anwerben lassen und pendelte zwischen den Loyalitäten.
Schön als 16-jähriger Mechanikerlehrling war er in den Kommunistischen Jugendverband (KJVD) eingetreten und gehörte seit 1931 dem Rotfrontkämpferbund (RFB) an.
Im Januar 1933 wurde er wegen einer Schießerei mit SS-Leuten verhaftet und wegen Landfriedensbruch zu 6 Monaten Gefängnis verurteilt. Die Gestapo warb ihn als Spitzel an. 
 
1940 zur Wehrmacht eingezogen, lief Eugen NESPER 1942 an der Ostfront zur sowjetischen Seite über. In einer zehnmonatigen Ausbildung der Alliierten in Moskau wurde er zum Agenten ausgebildet, zuletzt vom britischen MI6. 
 
Am 8. Januar 1944 sprang er zusammen mit Hermann KRAMER bei Salmendingen/ Burladingen mit dem Fallschirm ab. Die Beiden wurden entdeckt, KRAMER verwundet, verhaftet und ermordet, NESPER konnte zunächst entkommen, wurde nach einem Besuch der Familie Schlotterbeck festgenommen.
 
NESPER lieferte der Gestapo Informationen über die „Schlotterbeck-Gruppe“. Als er im Juni 1944 von deren geplanter Verhaftung erfuhr, offenbarte er sich den Freunden und warnte Familie SCHLOTTERBECK. Einzig Friedrich SCHLOTTERBECK gelang die Flucht in die Schweiz. 
 
Auch Eugen NESPER floh am 4. Juni 1944 in die Schweiz. Bei seiner Flucht erschoss er einen deutschen Grenzbeamten.
 
Nespers doppelte Loyalitäten führten zur Verhaftung von zehn Menschen aus seinem Umfeld – Familie Schlotterbeck und Freunde – die am 30. November 1944 ohne Verfahren hingerichtet wurden, zwei weitere im Februar und April 1945. 
 
Nach der Flucht ihres Informanten Eugen NESPER versuchte die Gestapo fieberhaft an all seine Kontaktpersonen zu kommen.
 
Verhaftungen und Verhöre mit brutalster Gewalt trafen Menschen, die mit ihm und seinen Wirtsleuten, der Familie SCHLOTTERBECK, in Verbindung gestanden hatten:
Das Ehepaar Maria und Gotthilf SCHLOTTERBECK, ihre Tochter Gertrud LUTZ, geb. SCHLOTTERBECK, ihren Sohn Hermann SCHLOTTERBECK, Else HIMMELHEBER, die Braut ihres Sohnes Friedrich SCHLOTTERBECK, dem die Flucht gelang, 
der technische Zeichner Erich HEINSER, Kodak-Kollegen und Freund von Hermann, wie Emil GÄRTTNER, Theodor SEITZ und seine Frau Emmy SEITZ, geb. RAMIN, Frida Schwille aus Pfullingen, der Wehrmachtsangestellte STÄBLER, Sofie KLENK, geb. WIMMER. 
 
Sie alle hatten Eugen NESPER beherbergt und mit ihm ihre schmalen Nahrungsmittelrationen geteilt.
 
Else HIMMELHEBER, die Verlobte von Friedrich SCHLOTTERBECK wurde bei ihrer Flucht in einem Zug auf der Strecke Donauwörth – Aalen verhaftet.
 
Hermann SCHLOTTERBECK, der sich versteckt gehalten hatte, wurde am 16. September 1944 nahe der Geroksruhe von Kollegen erkannt, verraten, verhaftet und ins Polizeigefängnis Welzheim in Einzelhaft gebracht und bei der Evaluierung des Lagers Welzheim ermordet. 
 
Friedrich SCHLOTTERBECK, der in die Schweiz fliehen konnte, nahm später Wilfriede Sonnhilde LUTZ, das am 2. August 1942 geborene Kind seiner ermordeten Schwester Gertrud und seines Schwagers Walter LUTZ, der am 2. Oktober 1942 als Wehrmachtssoldat in Russland fiel, zu sich.  
 
Der später als Haupttäter verurteilte Eugen NESPER wurde 78 Jahre alt. 
Der zuständige Gestapobeamte und Kriegsverbrecher Friedrich MUßGAY wurde im Mai 1945 verhaftet. Er erhängte sich in seiner Zelle im berüchtigten Gerichtsgefängnis Weimarstr. 20 in Stuttgart am 3. September 1946.
 
Hermann ABMAYRs Film „Sie kann ja nichts für ihren Vater“ zeigt die denkwürdige Begegnung von Wilfriede HESS, der Tochter der in Dachau ermordeten Gertrud LUTZ, geborene SCHLOTTERBECK, mit Ingrid HAGENLOCHER, der Tochter des Gestapobeamten Alfred HAGENLOCHER der sich nach 1945 lange als Kunstvermittler feiern und ehren ließ. 
 
Das Ehrenmal auf dem Untertürkheimer Friedhof wurde dieses Jahr neu hergerichtet. Friedrich SCHLOTTERBECK mahnte 1969 beim Gedenken an die Ermordeten mit den Worten von Bertolt Brecht: „Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch…“
 
Der Stolperstein wurde am 6.11.2023 in der Haußmannstr. 174 in Stuttgart-Ost verlegt.
Mitwirkende: 
Recherche/Text/Ansprache: Gudrun Greth, Stolperstein-Initiative Stuttgart-Ost
Musik:  Dominik Keller, Klarinette
Gedichtrezitation: Christoph Hofrichter, Schauspieler
Klasse 8a Waldorfschule Uhlandshöhe mit Lehrerin Barbara Kern
Grußwort:  Ilse Kestin, IG Metall
Moderation:  Caroline Hatje
Technik/Organisation: Walter Geisse, Karl-Heinz Greth
Podcast gedenkworte: Julie Hölzgen, Sprecherin und Hannes Keller, Technik – Akademie für  Gesprochenes Wort/Uta Kutter Stiftung Stuttgart
 
Quellen: 
Wiedergutmachungsakten im Staatsarchvi Ludwigsburg: StAL FL 300/33 I Bü 4018; StAL FL 300/33 I Bü 4918; StAL EL 350 I Bü 25007; StAL EL 350 I Bü 1825; StAL EL 350 I 1826
Bauz, Ingrid; Brüggemann, Sigrid; Maier, Roland (Hg.) (2013): Die Geheime Staatspolizei in Württemberg und Hohenzollern. Stuttgart: Schmetterling.