Am Dienstag, den 1.Juli 2016, wurden um 9 Uhr 40 in der Seestraße 112 in Stuttgart-Nord zwei Stolpersteine zum Gedenken an Moritz Rosenthal und Irma Rosenthal, geb. Selz verlegt.
Moritz Rosenthal wurde am 16.1.1874 in Heilbronn geboren. Seine Eltern waren Max Rosenthal (1842-1881) und Fanny Rosenthal, geborene Harburger (geb.1849 in Bayreuth, gest. 1925 in Berlin). Moritz Rosenthal hatte drei Geschwister: Klara Rosenthal (verheiratete Helfft, geb. 1873); sie wurde von Berlin aus am 23.1.1943 nach Theresienstadt deportiert und am 16.5.1944 in Auschwitz ermordet. Willy Rosenthal wanderte 1888 im Alter von 18 Jahren in die USA aus. Über das Leben von Julius Martin Rosenthal (geb. 1875) ist nichts bekannt.
Moritz’ Mutter Fanny Rosenthal zog 1882, ein Jahr nach dem Tod ihres Mannes, mit ihren vier Kindern in ihre Heimatstadt Bayreuth. Moritz Rosenthal erwarb dort einen Realschulabschluss und wurde danach in der Handelsakademie zum Bankkaufmann ausgebildet. 1908 zog er nach Stuttgart in die Reinsburgstraße 102, zwei Jahre später zunächst in die Hölderlinstraße 60 und dann 1913 in die Hölderlinstraße 57.
Inzwischen Bankvorstand bei der Württembergischen Vereinsbank, heiratete Moritz Rosenthal im Mai 1914 Irma Selz. Sie wurde am 13.12.1882 in München als Tochter von Adolf Selz, „Königlicher
Sensal“ (Börsenmakler) und Mitinhaber des Bankhauses Fränkel und Selz geboren. Ihre Mutter Sofie war eine geborene Epstein.
1918, im letzten Kriegsjahr, zogen die Rosenthals in die Seestraße 112 und wohnten dort in einer 7-Zimmer-Wohnung im 3. Stock des Hauses. Hier wurde am 6. Januar 1920 Ernst Rosenthal, ihr einziges Kind, geboren.
Anfang 1931 wurde Moritz Rosenthal Bankdirektor beim Stuttgarter Kassenverein.
1934 wurde Moritz Rosenthal wegen seiner jüdischen Abstammung vom Stuttgarter Kassenverein entlassen: von einem Tag auf den an-deren wurde er zum „Bankdirektor i.R.“
Mit der sog. Machtergreifung der Nationalsozialisten am 30. Januar 1933 und nach ersten Boykotten und Ausschreitungen gegen jüdische Mitbürger begann – legalisiert insbesondere durch die „Nürnberger Gesetze“ von 1935 – deren systematische Verfolgung mit dem Ziel, das Deutsche Reich „judenfrei“ zu machen. Juden wurden diskriminiert, schikaniert, ausgeraubt und am Ende deportiert und ermordet.
1935 gelang es den Rosenthals, ihren 15-jährigen Sohn Ernst nach London ausreisen zu lassen, und auch für sich selbst planten sie ihre Auswanderung. Sie gaben ihre Wohnung in der Seestraße auf; ein Teil der Möbel wurde in der Spedition Paul v. Maur eingelagert.
Moritz Rosenthal mietete sich 1936 im Hotel Am Kräherwald 195 ein. Seine Frau zog im April des gleichen Jahres zu ihren Geschwistern nach München und lebte dort bis Mai 1940. Ihrem Bruder Eugen Selz und ihrer Schwester Julie Selz, vh. Szolny, gelang 1939 – anders als ihrer Schwester Chlotilde – die Auswanderung nach England bzw. in die USA.
1938 zog Moritz Rosenthal – vermutlich nicht freiwillig – in eine Par-terrewohnung in der Gaußstraße 8A. Dort musste, so ist zu vermuten, im Mai 1940 auch Irma Rosenthal einziehen – das jahrelange Warten auf eine Auswanderungserlaubnis war vergeblich gewesen. Noch im gleichen Jahr wurden beide zunächst in ein „Judenhaus“ zwangseinquartiert (Hauptmannsreute 7), bis sie dann im April 1942 in ein Zwangsaltersheim nach Haigerloch (Im Haag 241) „umgesiedelt“ wurden.
Am 19. August 1942 wurden Moritz und Irma Rosenthal zusammen mit 134 anderen Juden aus Haigerloch und weiteren 942 Juden aus ganz Württemberg und Hohenzollern in ein „Sammellager“ zum Stuttgarter Killesberg gebracht und von dort drei Tage später vom Nordbahnhof aus nach Theresienstadt deportiert.
Das ihnen verbliebene Vermögen wurde am 21. August 1942 einge-zogen.
In Theresienstadt kam Moritz Rosenthal am 27. Mai 1943 im Alter von 69 Jahren ums Leben. Als Todesursache wurde “Entbehrung“ angegeben.
Irma Rosenthal wurde von Theresienstadt aus am 9. Oktober 1944 nach Auschwitz deportiert und dort, 61-jährig, ermordet.
Moritz und Irma Rosenthals Sohn Ernst, nach dem Krieg als Radioingenieur in London tätig, blieb ledig. Er starb 1988 im Alter von 68 Jahren.
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Staatsarchiv Stuttgart, Stadtarchive Stuttgart, Heilbronn, Bayreuth, München
Text+Recherche: Ute Ghosh, Am Kräherwald 93, 70192 Stuttgart, Tel. 0711/ 25 73 610