Das Ehepaar Fischer gehörte zu den polnischen Juden, die seit Ende des 19. Jahrhunderts vor den Pogromen und Verfolgungen in Osteuropa nach Westen geflohen waren.
Max Fischer, Jg. 1888, und seine Frau Jaha, geb. Pottscher, Jg. 1889, erscheinen im Jahr 1912 erstmals wohnhaft in Stuttgart. Im Gegensatz zu den meisten anderen eher armen „Ostjuden“ war das noch junge Ehepaar (24 bzw. 23 Jahre alt) wohl nicht unvermögend, da sie es sich leisten können, im Jahr 1913 in den neuen Kaiserbau am Marienplatz einzuziehen. Damit gehören sie zu den Erstbewohnern dieses prächtigen Baus, der erst am 4. Oktober 1912 festlich eröffnet worden ist. Die Fischers wohnen im 2. Stock über dem Eingang Tübinger Straße 111. Im unteren Geschoss gibt es einen Verlag, einen Kinematographen und das Geschäft eines Dekorationsmalers.
Der Kaufmann Max Fischer betätigt sich seit 1926 als Schaufenster-Dekorateur, von denen es damals in Stuttgart noch nicht allzu viele gibt. 1925 kauft er das Mietshaus Benckendorffstraße 5 (Heslach), wohnt aber weiterhin im Kaiserbau. Über das Leben der Fischers vor der Verfolgung ist leider nichts bekannt, in den Akten des Ludwigsburger Staatsarchivs ist von einem Sohn Hermann die Rede, der in die USA fliehen konnte, sein Erbe (Mietshaus) aber nicht angetreten hat.
Das traurige Ende der Eltern, Max und Jaha Fischer, beginnt am 28.10.1938 mit der Ausweisung der polnischen Juden nach Polen. Diese hatten seither unbehelligt mit ihren polnischen Pässen in Deutschland gelebt, bis die polnische Regierung am 6.10.1938 eine Verordnung erließ, nach der diese Juden ausgebürgert werden sollten, wenn sie nicht bis zum 30.10.1938 nach Polen kämen und ihre Pässe mit einem Prüfungsvermerk versehen ließen. Um einer möglichen Ausbürgerung aus Polen zuvorzukommen, verfügte das Gestapo-Amt in Berlin am 27.10.1938, die polnischen Juden sofort festzunehmen und über die polnische Grenze abzuschieben. In Stuttgart wurden die in ihren Wohnungen Verhafteten im Polizeigefängnis in der Büchsenstraße gesammelt und am 28.10.1938 an die polnische Grenze bei Bentschen, polnisch Zbaszyn, gebracht, wo sie aus den Zügen heraus auf freiem Feld ausgesetzt wurden.
Bis die Polen nach anfänglicher Weigerung die Menschen in einer alten Kaserne internierten, vegetierten diese im Niemandsland. Ob Max und Jaha Fischer im Lager bleiben bis zu dessen Auflösung im August 1939 oder gleich in Richtung Korbielow (Geburtsort) südlich von Krakau weiterziehen, weiß man nicht. Sie haben sowieso keine Chance, ihren Verfolgern zu entkommen, die ihnen nach der Besetzung Polens durch die Deutschen ab dem 1. September 1939 folgen. Die Spur verliert sich 1942 in Krakau, der Hauptstadt des Generalgouvernements, wie das besetzte Polen bezeichnet wurde.
Im Ghetto von Krakau, wo früher 3000 Einwohner gelebt und die Nazis jetzt 15.000 Juden zusammengepfercht hatten, waren Erschießungen wie überall an der Tagesordnung — so wird die letzte Nachricht über das Ehepaar Fischer, niedergelegt im Stuttgarter Hauptstaatsarchiv, der Wirklichkeit entsprechen: „1942 in Krakau erschossen.“
Für den Sohn Hermann Fischer, der am 28. Oktober 1938 nach Polen abgeschoben wurde, im Dezember 1938 zurückkehren und dann im Januar 1939 in die USA ausreisen konnte, wurde 2020 ein Stolperstein verlegt, wo seit 2009 bereits zwei Steine an seine Eltern erinnern, die 1942 im Ghetto von Krakau erschossen wurden. Angeregt hatte den Stolperstein Tom Oppenheimer aus New York, dessen Vater damals den jungen Hermann Fischer aufgenommen und als Fotograf beschäftigt hatte. Über den Menschen Hermann Fischer berichtete bei der Zeremonie zur Verlegung Joachim Maier aus Schriesheim, Irma Glaub von der Stolpersteine-Initiative Stuttgart-Süd hatte das Schicksal des Ehepaars Fischer erforscht.
Verlegung in der Tübinger Straße 111 (Fotos: Elisabeth Tielsch-Saur)
Recherche und Text: Irma Glaub, Stolperstein-Initiative Stuttgart-Süd, 2009/2020