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Jakob Preuß, Gablenberger Hauptstr. 29

Jakob Preuß, der jüdische Friseur von Gablenberg. Er wurde am 17. Januar 1905 in Wien geboren. Die Eltern waren nach dem Ersten Weltkrieg mit ihren Söhnen nach Stuttgart gezogen. Ihre österreichische Staatsangehörigkeit war in die tschechoslowakische umgewandelt worden. So wurde Jakob Preuß, der nur die deutsche Sprache beherrschte, zum tschechoslowakischen Passbürger gemacht.

1927 eröffnete er in der Gablenberger Hauptstraße 29 sein Frisörgeschäft. 1932 heiratete er Luise (“Liesl”) Schmid, Jahrgang 1911, mit der er nun zusammen das Geschäft betrieb. Sie wohnten in der Florianstraße in Ostheim. Die beiden sollen sich im Frisörsalon am Hauptbahnhof kennengelernt haben. Dort hatte sie das Handwerk gelernt. Oder war es beim Tanzen? Er soll ein gutaussehender junger Mann gewesen sein, zudem musikalisch wie seine Brüder, mit denen er in einer bekannten Kapelle flotte Tanz- und Unterhaltungsmusik spielte.


Das Foto zeigt die Brüder Preuß (v.li.n.re.): Leopold, Franz, Otto, Jakob Preuß. Bildquelle: Tomas Grauman

Jakob Preuß soll – so bestätigte im Wiedergutmachungsverfahren nach dem Zweiten Weltkrieg ein Innungsmeister aus Ostheim – “ein  sehr guter Damenfrisör gewesen sein”. Außerdem waren die beiden einfallsreiche und erfolgreiche Geschäftsleute. Jeden Montag wurden in ihrem Salon, in dem sie zuletzt sechs Angestellte beschäftigen konnten,  Rentner und Arbeitslose zu verbilligten Preisen bedient.  Montags wurde so das Geschäft zu einem lebhaften Treffpunkt.

Das muss die Gablenberger Konkurrenz gestört haben. Schon vor 1933 sei er antisemitischen Beschimpfungen ausgesetzt worden, berichtete er der Wiedergutmachungsbehörde. Er sei auch mit Prozessen wegen Preisunterbietung überzogen worden. Die Handwerkskammer bestätigte das nach Kriegsende nicht. Doch dass die Innung seine Zulassung zur Meisterprüfung verhindert hat, steht fest.

Am 1. April 1933 rief die NSDAP zum Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte auf. Geschäfte wurden mit gelben Punkten gekennzeichnet, auf die Schaufenster wurde mit roter Farbe “Jude” geschmiert, SA-Posten zogen gegen 10 Uhr vor die Eingänge, die NS-Presse hatte zuvor gedroht, dass Kunden beim Einkauf gefilmt und diese Aufnahmen öffentlich gezeigt werden. Im April und Mai wurde die Kampagne in zahlreichen Einzelaktionen fortgesetzt. So wurde am 22. Mai 1933 eine “Versammlung” vor dem Frisörgeschäft des Ehepaares Preuß in der Gablenberger Hauptstraße organisiert. Die Täter drangen mit Gewalt in das Geschäft ein, zerschlugen die Einrichtung und plünderten. Jakob Preuß wurde verhaftet, in “Schutzhaft” genommen, ins Gefängnis in der Büchsenstraße gebracht, mißhandelt, auf den Kopf geschlagen. Fortan war er schwerhörig.

Das Mitteilungsblatt der Frisörinnung schrieb am 2. Juni 1933: “Die Bestrebungen, das Friseurgewerbe von ungeeigneten, nicht auf dem Boden des Handwerks stehenden Elementen zu reinigen, werden fortgesetzt. Vor einigen Tagen mußte der Inhaber eines Friseurgeschäfts in Gablenberg in Schutzhaft genommen werden. Vor dem Geschäft hatte sich eine große Menge, hauptsächlich Friseure, versammelt, um gegen die unlauteren Methoden des Geschäftsinhabers, vor allem Preisunterbietungen, Protest zu erheben. Dieser hat sich dann aus freien Stücken bereit erklärt, sein Geschäft zu schließen. Er soll übrigens, wie man hört, früher als einflußreiches Mitglied der KPD betätigt haben.” 

Und das Stuttgarter Neue Tagblatt griff die Nachricht in der Sprache des NS-Kuriers auf: “Am 22. Mai schlossen sich die Tore eines berüchtigten Geschäftes, das auf die Existenz der Friseure des ganzen Stadtteils Gablenberg einen verheerenden Einfluß ausübte. Preuß – ein früheres maßgebliches Mitglied der KPD und zu allem Überfluß Jude – wurde, nachdem er darauf verzichtete, Stuttgart noch weiter mit seiner Tätigkeit zu beglücken, von der Polizei in pflegliche Obhut genommen. Das Firmenschild wurde unter ungeheurem Jubel und Beifall eingeholt.” 

Nur zur Klarstellung: für Mitgliedschaft und Aktivität von Jakob Preuß in der KPD gibt es keinerlei Anhaltspunkte oder Belege.

Ende Juni 1933 wurde er aus der Haft entlassen. Zweimal täglich sollte er sich auf dem Polizeirevier melden. Dem allen entzog er sich durch die Flucht in die Tschechoslowakei, um sich ein Visum zu beschaffen. Von dort floh er über Österreich und die Schweiz nach Frankreich, wo er sich mit seiner Frau traf und mit ihr in Le Havre das Schiff nach Brasilien bestieg. Ihre Tochter Lieselotte, die zunächst bei der Tante, Rosel Schmid, zurückbleiben musste, konnte später mit den Großeltern Preuß nach Südamerika folgen. 1934 wurde dort in Sao Paolo die zweite Tochter, Margot, geboren.

Es fiel Jakob Preuß schwer in Sao Paolo Fuß zu fassen, schwerhörig geschlagen, durch die Vertreibung traumatisiert, der Landessprache nicht mächtig. Irgendwann gelang jedoch der berufliche Wiedereinstieg. Er eröffnete ein Damenfrisörgeschäft, was sein ganzes Können erforderte, “um die anspruchsvolle Kundschaft der Weltstadt Sao Paolo zufriedenzustellen.” Das ist ihm offenbar gelungen und so konnte er es wieder “zu etwas bringen”,  Bis zu seinem Lebensende blieb er in Brasilien.

Nach ihm heißt das Buch “Der jüdische Frisör”, das 1992 begann, nach Spuren ehemaliger jüdischer Nachbarn im Stuttgarter Osten zu suchen.

Recherche und Text: Gerhard Hiller, Stolperstein-Initiative Stuttgart-Ost

An Jakob Preuß und an andere Verfolgte erinnerte ein StolperKunst-Stück  “Schweigen ist Silber”, das im November 2018 anlässlich der Eröffnung des “Hotel Silber” im Theater tri-bühne Premiere hatte. Mehr hierzu finden Sie hier.