Eigentlich hätte der ledige Julius Baumann 1939 mit einem der seltenen Einreisevisa nach England fliehen können. Er blieb, weil er der israelitischen Gemeinde versprochen hatte, das Ferienlager für die Kinder zu organisieren. Den jüdischen Kindern schuf er ein kleines Paradies der Freiheit und des Aufenthalts in guter Luft im Feuerbacher Tal, dem jüdischen Sportplatz. Mit eigener Hand grub er in langen Stunden ein bescheidenes Planschbecken für die Allerkleinsten und es wurde ihm nie zuviel, mit einem Eimer dasselbe frisch aufzufüllen. Er gehörte zu jenen seltenen Menschen, die, anscheinend selbst hilflos, doch noch Freude bereiten können.
Julius Baumann, geboren 1898 in Stuttgart, war von Beruf Kaufmann, ein hervorragender Sportler und zeitweise Schiedsrichter bei den “Stuttgarter Kickers”. Seit November 1935 bestand in Stuttgart die jüdische Sportschule von Alice Bloch in der Zeppelinstraße. Als die Schule geschlossen wird, übernimmt Baumann den Unterricht, der auch zur Vorbereitung für die Auswanderung dient. Sportlehrer war er noch bis nach 1939. In den Jahren der Verfolgung war er zudem Vorbeter in der jüdischen Gemeinde. Ein früherer Freund erzählte, dass Julius Baumann, da es Juden verboten war, u.a. ins Kino oder ins Theater zu gehen, einmal eine so genannte “Bunte Stunde” organisierte.
Eine Art Varieté, bei dem die Jugend sich beteiligen konnte. Sie fand in der Turnhalle Hospitalstraße 36 statt. Die Zuschauer, außer einem Gestapo-Beamten, waren jüdische Baumann VarieteStuttgarter.
Festgenommen und deportiert wurde er aber, weil er verbotenerweise mit Hilfe “arischer” Mitbürger Obst und Gemüse für hungernde Juden aus der Markthalle organisiert hatte und in der Turnhalle versteckte. Er wurde verraten. Der Gestapo-Mann, der ihn festnahm, tat diese Amtshandlung keinesfalls mit Überzeugung: “Mensch Julius, warum hast Du Dich in eine so dumme Sache eingelassen; jetzt muss ich dich verhaften!”
Julius kam zusammen mit sechs Angehörigen der jüdischen Gemeinde in KZ-Haft, die Männer nach Welzheim, die Frauen nach Rudersberg; alle kamen zurück, außer Julius.
Er wurde in das Konzentrationslager Mauthausen gebracht und dort, wie die übliche Nachricht lautete, am 1.10. 1942 “auf der Flucht erschossen”. Nur eine Woche nach seiner Verhaftung war vergangen, als die Asche in seiner Heimatstadt (Stuttgart) eintraf. Noch heute wird der Grabstein Julius Baumanns auf dem jüdischen Teil des Pragfriedhofs von ehrerbietenden Bürgern besucht.
Julius Baumann lebte von 1935-39 in der Oberen Bachstr. 29, heute: Eberhardstr. 35, der letzte frei gewählte Wohnort. Hier wohnte ebenfalls seine verheiratete Schwester Berta Levi (*31.01. 1894) die, wie ihr Mann Ernst Levi, in Riga umgekommen ist. Für den Schwager von Julius Baumann, Ludwig Levi, wurde am 29.09.2008 in der Leuschnerstr. 47 ein Kleindenkmal gesetzt.abc
Von Oktober 1939 bis Dezember 1941 musste er zwangsweise in dem Judenhaus in der Hospitalstr. 34 wohnen.
“Das Herz tut einem weh, wenn man daran denkt, wie dieser Mann nur für andere da war.” Sein Name darf nicht vergessen werden.
An Julius Baumann erinnerte 2019 ein StolperKunst-Theaterprojekt der Johann Friedrich von Cotta-Schule. Mehr Infos zum Projekt und einen Videoclip von der Aufführung finden Sie hier.
Recherche und Text: Gebhard Klehr, Barbara Heuss-Czisch und Jennifer Lauxmann
Quellen: Maria Zelzer: “Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden”, Stuttgart 1964
Leopold Marx: Mein Sohn Erich Jehoshua, Gerlingen 1996. Als Einlege-Blatt ist die Jüdische Ballade „In Memoriam Julius Baumann“ von Leopold Marx beigefügt.
Speder/Patin für Kleindenkmal: Barbara Döhl, Stuttgart