Die Familie Muniches gehörte zu den polnischen Juden, die schon lange in Deutschland mit polnischen Pässen lebten, die ihnen die polnische Regierung entziehen wollte, wenn sie nicht bis zum 30.10.1938 in Polen mit einem Prüfungsvermerk versehen wurden. Ehe der polnische Staat ihnen so die Rückkehr nach Polen verweigern konnte, wollte sich das NS-Regime von diesen “rassisch minderwertigen Elementen” befreien. Die polnischen Juden wurden sofort verhaftet, für Stuttgart im Polizeigefängnis in der Büchsenstraße gesammelt und am 28.10.1938 über die Grenze nach Polen abgeschoben. Diese Ausweisung hatte am 7. November das Attentat des polnischen Juden Herschel Grynszpan, dessen Eltern aus Hannover ausgewiesen waren, auf den Gesandtschaftsrat vom Rath in der deutschen Botschaft in Paris zur Folge, was von den Nazis als Anlass für den Pogrom am 9. November 1938 genommen wurde, der Beginn der offenen Judenverfolgung.
Baruch genannt Bernhard Muniches wurde 1879 im damals russischen Wilna (heute Vilnius in Litauen) geboren. Bald nach der Hochzeit 1904 mit Beila Berta Rabinowitsch müssen sie nach Stuttgart gekommen sein, denn seit 1906 ist Bernhard hier gemeldet, als Zigarettenmacher. Sie wohnen anfangs im Stuttgarter Osten, zwei Söhne werden geboren, Jacob 1907, Rubin genannt Rudolf 1913. Bernhard arbeitet sich langsam nach oben, 1915 führt er ein Zigarettengeschäft in der Vogelsangstraße und seit 1920 eine Papier-, Schreibwaren- und Zigarrenhandlung in der Liststraße Nr. 3. 1926 stirbt die Ehefrau und Mutter, ihr Grabstein steht heute noch auf dem Pragfriedhof, Israelitischer Teil.
Rubin genannt Rudolf Muniches wohnt bis zuletzt in der Wohnung Liststraße 3 bei seinem Vater. Nach der Schulzeit geht er in dem jüdischen Engros-Geschäft für Textilwaren und Nähzubehör Kahn & Weilmann in die Lehre und arbeitet später dort als kaufmännischer Angestellter bis zur Enteignung des Geschäfts 1936. Vergeblich sucht er nach einer neuen Arbeit und denkt auch an Auswanderung, wie er seinem älteren Bruder nach Palästina mitteilt. Dieser ist schon 1935 mit seiner Frau von Triest aus per Schiff nach Haifa geflohen und 1947 weiter nach New York gegangen.
Rudolf ist verlobt mit Klara Lampelz, der Tochter des Kaufmanns Henoch genannt Heinrich Lampelz und seiner Ehefrau Udel, geb. Fiskus. Sie sind auch wie die Muniches in Deutschland lebende Juden polnischer Staatsangehörigkeit, beide geboren im damals österreich-ungarischen Galizien, von dem ein Teil 1919 polnisch wurde. Klara wächst als Älteste von vier Geschwistern in der Rosenstraße in der Mitte Stuttgarts auf. Nach dem Besuch der Eberhard-Mittelschule lernt sie im Marienheim in der Katharinenstraße das Nähen. Bei Gutmann & Söhne, Mieder- und Korsettfabrik, fängt sie eine Lehre zur Korsettschneiderin an. Nach der Arisierung dieser jüdischen Firma wird sie bei der Nachfolge-Firma nur noch als Hilfsarbeiterin beschäftigt. Sehr jung lernt sie den sechs Jahre älteren Rudolf Muniches kennen und verlobt sich mit ihm. Zur Heirat in Stuttgart kommt es nicht mehr, im Alter von 19 Jahren wird sie mit der Familie ihres Verlobten plötzlich am 28.10.1938 nach Polen ausgewiesen; ebenso ihre Eltern und der jüngste, erst 1928 geborene Bruder Max. Die drei anderen Geschwister überleben in Palästina.
Bei der Polenaktion Ende Oktober 1938 werden die Menschen kurz vor der polnischen Grenze bei Bentschen, polnisch Zbaszyn, aus den Zügen heraus auf freiem Feld ausgesetzt; ihnen wird befohlen, über die Grenze zu laufen ohne sich umzusehen, sonst würden sie erschossen. Die Polen verweigern die Aufnahme, die Menschen vegetieren im Niemandsland, bis man sie in einer Kaserne interniert. Anfang 1939 ist ihnen eine vorübergehende Rückkehr nach Deutschland erlaubt, um ihre Vermögensverhältnisse zu ordnen. Die Familie Muniches bleibt in Polen, Klara heiratet hier Rudolf Muniches. Nach der Auflösung des Internierungslagers im August 1939 fährt die Familie nach Wilna, die Geburtsstadt von Baruch Muniches.
Dann versiegen die Nachrichten. Klaras Schwester Rosa Pickholz-Lampelz, die später in Tel Aviv lebt und die Wiedergutmachungs-Anträge stellt, sagt aus, sie habe noch Post aus Wilna bis etwa Juli 1941 erhalten.
Vermutlich fanden Baruch, Rubin und Klara Muniches in Wilna den Tod. Im einst viel besungenen “Jerusalem des Ostens” mit seiner liberalen jüdischen Gelehrsamkeit wurden nach dem Einmarsch der deutschen Wehrmacht am 24. Juni 1941 zwei Ghettos mitten in der Stadt eingerichtet für die über 70.000 Juden. Bereits in den ersten Wochen wurden Tausende erschossen, Zehntausende fanden in den Gruben im nahen Wald von Paneriai den Tod. Nach zwei Jahren, bis zum September 1943, waren beide Ghettos liquidiert.
Für Klara wird später der 8.5.1945 als Todesdatum festgesetzt. Für Rubin Rudolf ist dies der 31.12.1945.
Für Baruch Bernhard heißt es in Yad Vashem in Jerusalem: “Er starb in der Shoa.”
Recherche und Text: 2009 / Irma Glaub, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Süd.