Verlegt am 9. Oktober 2010
Niemand darf wegen seiner Behinderung benachteiligt werden.
Artikel 3, Absatz 3 des Grundgesetzes der Bundesrepublik Deutschland
Nur wenig ist über das Leben von Lilly Röck bekannt. Geboren wurde sie am 19. November 1895 in Stuttgart und evangelisch getauft. Ihre Eltern waren Schlossermeister Johann Kaspar Röck und seine Frau Friederike. Johann Kaspar Röck war 1854 in Essingen bei Aalen geboren worden und hatte die 1858 geborene Leonbergerin Katharina Friederike Keppler im Jahr 1885 in zweiter Ehe geheiratet. Sechs Kinder hatte die Familie. Nur zwei Töchter waren am Leben geblieben. Johann Kaspar Röck starb 1927. Viele Jahrzehnte wohnte die Familie im Haus Schwabstr. 100.
Eine psychische Störung führte dazu, dass Lilly Röck im August 1929 für mehrere Wochen in das Bürgerhospital in Stuttgart musste. Nur kurz konnte sie wieder heim, kam dann aber erneut in das Bürgerhospital. Eigentlich war Lilly Röck seit Herbst 1929 für die Aufnahme in die württembergische Heilanstalt Winnental bei Winnenden vorgemerkt gewesen. Doch diese war überfüllt und hatte keinen freien Platz. Im Januar 1930 kam sie daher nach Bethel bei Bielefeld in die Psychiatrische und Nervenabteilung der Krankenanstalten der Westfälischen Diakonissenanstalt „Sarepta“.
Für die Familie, vor allem für ihre in Stuttgart lebende, damals schon 72 Jahre alte Mutter bedeutete dies, dass ein Besuch allein wegen der weiten Entfernung unmöglich war. Mehrfach bat Friederike Röcks Schwiegersohn, der mit Lillys älterer Schwester Elsa verheiratet war, deshalb um die Aufnahme in Winnental. Dies hätte man auch in Bethel begrüßt, weil selbst dort Platzmangel war. Erst im April 1935 gelang es für Lilly Röck einen Platz in Winnental zu bekommen. Die Kosten für den Heimaufenthalt hatte übrigens die Mutter zu tragen.
Dass Friederike Röck ihrer Tochter viel Liebe entgegenbrachte, zeigt ein Brief vom Februar 1936:
Liebe Lilli!
Hier schicke ich Dir Äpfel. Esse die fleckig sind zuerst.
Wie geht es Dir, ich habe schon lange nichts mehr von Dir gehört.
Ich hätte gerne auch wieder einmal was gehört von Dir, wenn es vom Bahnhof nicht so weit wäre zu Dir, dann hätte ich Dich schon längst besucht. So weit kann ich nicht laufen. Nun Gott befohlen.
Mit Gruß Deine Mutter.
Nach einem Paket mit Obst im Jahr 1935 berichtete die Pflegerin der Mutter, dass Lilly voll Freude Meine Mama hat mir Gutes geschickt gerufen und das Obst gerne gegessen habe.
Am 24. Juni 1940 fuhren die grauen Busse in Winnental vor. Lilly Röck, die arbeitsunfähig war, wurde, wie es damals hieß, im Rahmen der Maßnahmen des Reichsverteidigungskommissars in die Landespflege-Anstalt Grafeneck verlegt, wo sie noch am gleichen Tag ermordet wurde.
Recherche: Elke Martin; Ergänzung und Text: Wolfgang Kress