Auguste Elisabeth Margarete Königshöfer wird am 11. Oktober 1887 in Stuttgart geboren, als viertes und letztes Kind der Ehe von Dr. Oskar Königshöfer und Betty Königshöfer, geb. Bärlein.[1] Es ist eine tatkräftige und wohltätige Familie des gehobenen Bürgerstandes, die fünf Jahre nach dem dritten Kind ein „Nesthäkchen“ erhält.
Der Vater Dr. Oskar Königshöfer hatte am 1. Juli 1878 in der Böblinger Str. 36 eine private „Augenheilanstalt“ eröffnet, die eigentlich für Privatpatienten bestimmt war. Von Anfang an stand sie jedoch auch armen Augenkranken offen, die unentgeltlich behandelt wurden, allein 603 Bedürftige in den ersten eineinhalb Jahren.[2] Um noch besser helfen zu können, gründet er zusammen mit einigen Gönnern am 1. Januar 1883 die „Dr. Königshö-fer’sche Vereins-Augenanstalt für weniger bemittelte und Arme“, in deren Trägerverein auch so bekannte Stuttgarter Wohltäter wie Gustav Siegle und Eduard Pfeiffer engagiert sind. 1886, gut ein Jahr vor Margaretes Geburt, wird in Anwesenheit des württembergischen Thronfolgerpaares ein eigenes Klinikgebäude eingeweiht, seit 1892 darf sich die Klinik mit Erlaubnis von Königin Charlotte „Charlottenheilanstalt für Augenkranke“ nennen, deren ärztlicher Leiter Margaretes Vater bis zu seinem Tod 1911 ist. Die Klinik besteht bis heute, seit 1970 als „Charlottenklinik für Augenkranke“ (www.charlottenklinik.de), eine der großen Augenkliniken Deutschlands.
Am 6. September 1891 werden Mutter Königshöfer, vorher israelitischen Glaubens, und ihre vier Kinder in der Hospitalkirche in Stuttgart getauft und in die evangelische Landeskirche aufgenommen.[3] Margarete ist zu diesem Zeitpunkt fast vier Jahre alt. Viereinhalb Jahre später, 1896 stirbt ihre fünf Jahre ältere Schwester Johanna, ein Verlust, den der Vater „niemals ganz verwinden“ konnte.[4] 1898 wird der Vater Professor. Margaretes einziger Bruder Friedrich („Fritz“) studiert in Stuttgart Maschinenbau[5] und wird Eisenbahninspektor. 1900 wird ihr Vater gewählt als Vorstand des Vereins für freie Arztwahl. Es gelingt ihm die Durchsetzung der Einführung der freien Arztwahl in Stuttgart, ein bis heute andauernder bedeutender Fortschritt und bahnbrechend in Deutschland.
Das „Nesthäkchen“ Margarete wird drei Jahre später, am 26. April 1903 in der Hospitalkirche in Stuttgart konfirmiert, ihre sieben Jahre ältere Schwester Theodora heiratet im gleichen Jahr Leutnant von Mauch.[6]
Die Familie lebt nun direkt neben der Klinik, in der Elisabethenstr. 13. Der Vater wird 1908 Geheimer Hofrat und zählt den Württembergischen Hof und selbst das Königspaar zu seinen Patienten, die beide jedes Jahr ansehnliche Summen spenden und dafür sorgen, daß Erlöse aus Wohltätigkeitsveranstaltungen in die väterliche Klinik fließen.[7]
Am 10. April 1911 stirbt Margaretes Vater Geheimrat Prof. Dr. Oskar Königshöfer im Alter von 59 Jahren. Er hat „in der langen Zeit seiner Tätigkeit vielen Tausenden das Augenlicht wiedergegeben“, und war für seine wissenschaftliche und karitative Tätigkeit mit mehreren Orden ausgezeichnet worden und weit über die Grenzen Württembergs hinaus bekannt.[8]
1912 zieht die Geheime Hofratswitwe Betty Königshöfer vom Feuerseeplatz 14, 1. Stock in die Hohenheimer Str. 67, „Bel-Etage“ (1. Stock). Mit ihr die 24jährige Tochter Margarete, die in ihrem Paß aus dieser Zeit als „schlank, blond, graue Augen, ovales Gesicht“ beschrieben wird.[9] Bruder Fritz, mittlerweile Königlicher Regierungsbaumeister, vorher Feuerseeplatz 10, zieht ins Erdgeschoss, aber schon zwei Jahre später weiter nach Cannstatt, dann nach Ulm. 1917 heiratet er in Berlin, lebt dann in Halle an der Saale.[10] Margarete bleibt als einziges Kind bei ihrer Mutter. In die freigewordene Wohnung im Erdgeschoß der Hohenheimer Str. 67 zieht 1914 ein gewisser – das wird noch wichtig sein – „Friedrich Maier, Mechaniker, Autovermietung“.[11]
Als sich 1933 die Ludwig-Hofacker-Gemeinde aus der Leonhardsgemeinde ausgründet, werden auch Mutter und Tochter Gemeindemitglieder und besuchen die nahegelegeneLudwig-Hofacker-Kirche.[12]
Am 27. September 1936 stirbt 81jährig die Mutter[13], der die nicht berufstätige Margarete den Haushalt geführt hat. Die Tochter beginnt – wohl aus wirtschaftlichen Gründen, denn die väterliche Rente ist zuende – einige Zimmer der Wohnung an Pensionsgäste zu vermieten.[14] Weil von Margaretes Großeltern „drei oder mehr“ israelitischen Glaubens waren, wird sie durch die „Nürnberger Rassegesetze“ vom 15. September 1935 als „Volljüdin“ definiert und gerät, obwohl christlich erzogen, getauft und konfirmiert, von nun an in die grausame Verfolgung des Naziregimes.
1938 wird Juden jede wirtschaftliche Tätigkeit gesetzlich verboten. Als Folge davon darf die 51jährige Margarete Königshöfer keine Zimmer mehr vermieten, ihre wirtschaftliche Grundlage bricht weg. Durch Anordnung vom 21.2.1939 müssen Juden alle Gegenstände aus Edelmetall abgeben. Im September 1939 ihren Radioapparat. Es mehren sich Gestapo-Schikanen. Am 13. Dezember 1940 scheitert Fräulein Königshöfers Selbsttötungversuch mit Schlafmitteln[15] in einem Stuttgarter Hotel. Sie wird ins Bürgerhospital eingeliefert, am 29. Januar 1941 wieder entlassen[16] und zwangsweise in die Rankestr. 44 in Sillenbuch einquartiert, in die kleine Doppelhaushälfte der Witwe Antonie Rosenthal[17], die noch rechtzeitig nach Skandinavien ausgewandert ist. In gleichen Hauses lebt die – wohl ebenfalls dort zwangseinquartierte – Elsa Wormser, die in Theresienstadt umkommen wird.[18]
Margarete Königshöfer beginnt, die evangelische Gemeinde in Sillenbuch zu besuchen. Im April 1941 wird auf Vorschlag der Wirtschaftsgruppe Einzelhandel ein Judenladen in der Seestr. 39 eingerichtet (hinter dem Katharinenhospital), als einzige Einlösemöglichkeit für die rationierten, bald mit „J“ abgestempelten Lebensmittelkarten. Die Benutzung der Straßenbahn ist für Juden gesetzlich verboten. Ab September 1941 müssen alle Juden sichtbar angenäht den Judenstern tragen. Auch Frl. Königshöfer ist der Weg von Sillenbuch nach Stuttgart zum Einkaufen im Judenladen nur noch zu Fuß möglich, fast zwei Stunden Fußweg nur in eine Richtung. Im Nazi-Propaganda-Film über den Stuttgarter Judenladen (Sept./Okt. 1941) ist sie dort in der Warteschlange zu sehen,[20,21] mit Judenstern.
Auf einem dieser erzwungenen Wege trifft sie Frau Emmy Maier, die Tochter des Mechanikers und Autovermieters, mit deren Familie sie in der Hohenheimer Str. 67 von 1914 bis 1939[22] in Hausgemeinschaft gelebt hat und erzählt ihr von ihrer Situation. 19 Jahre später, im Jahre 1960 wird Frau Maier diesen Brief schreiben:[23]
Im November 1941 bekommt Frl. Königshöfer in Sillenbuch behördlich mitgeteilt, daß sie ins „Reichskommissariat Ost“ umgesiedelt werde und sie sich am 27. November auf dem Killesberg einzufinden habe. Insgesamt 1000 württembergische Juden bekommen diese behördliche Anordnung zugestellt.
Das Pfarramt Sillenbuch macht den Versuch, Frl. Königshöfer – durch Fürbitte von Oberkirchenrat Reinhold Sautter, dem Beauftragten der Württembergischen Landeskirche für die Verhandlungen mit der Gestapo – von der Transportliste zu bekommen. Dieser setzt sich jedoch vergeblich bei Gestapo und bei General Osswald, dem Stuttgarter Stadtkommandanten für Frau Königshöfer ein[24] und so meldet auch sie sich in den überfüllten und chaotischen Messehallen auf dem Killesberg.
Am 1. Dezember 1941 um 3 Uhr morgens werden die festgehaltenen Juden auf LKWs und zu Fuß zum Nordbahnhof gebracht und dort in völlig überfüllte Personenzüge verladen, in denen weder Fenster noch Türen zu öffnen sind und die Klo’s bald einfrieren. In drei Tagen und Nächten fährt der Zug bis Riga, dort werden die drei Uhr morgens Ankommenden mit Schlägen empfangen[25] und dem Lager Riga-Jungfernhof zugeteilt, „ursprünglich ein landwirtschaftliches Gut … die Baulichkeit bestand aus fünf kleinen Häusern, drei Scheunen und Stallungen. Alles war durch Kriegseinwirkung sehr heruntergekommen.“[26] Die Unterbringung erfolgt in heizungslosen Scheunen auf roh gezimmerten offenen Holzkojen, vier übereinander, die z.T. zentimeterdick mit Eis bedeckt sind.[27]
Hier verliert sich die persönlich nachweisbare Spur von Margarete Königshofer, die das Lager nicht überlebt hat.
Über das Schicksal der Deportierten schreibt Maria Zelzer: „Die für die kommende Frühjahrs-Fronarbeit Untauglichen mußten „abgegeben“ werden; es waren 1600 erwachsene Personen und 240 Kinder. Sie wurden am 26. März 1942 im Bickern’schen Hochwald bei Riga erschossen.“[28]
Quellen:
1 Stadtarchiv Stuttgart, Personenmappe „Oskar Königshöfer“
2 Festschrift 100 Jahre Charlottenklinik 1891-1991, S. 9
3 Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Kirchliches Familienregister Band 172
4 Med. Korrespondenzblatt d. württ. Ärzt. Vereins Jg 81, 1911 S. 423
5 Landesbibliothek, Verz. d. Stud. der Kgl. Techn. Hochschule WS 1900/1901
6 Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Kirchliches Familienregister Band 172
7 Festschrift 100 Jahre Charlottenklinik 1891-1991, S. 17
8 Medizinisches Korrespondenzblatt, S. 423
9 Staatsarchiv Ludwigsburg F 215 Bü 86
10 Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Kirchliches Familienregister Band 172
11 Div. Adressbücher der Stadt Stuttgart
12 Jubiläumsschrift 50 Jahre Ludwig-Hofackergemeinde 1950-2000 S. 4. Die dortige Nennung ihres Namens war für mich der Auslöser für diese Nachforschungen.
13 Landeskirchliches Archiv Stuttgart, Kirchliches Familienregister Band 172
14 Stadtarchiv, Handapparat Maria Zelzer, Brief von Fr. E. Maier v. 30.3.1960, auf Mikrofilm
15 Stadtarchiv, Aufnahmebuch der Psychiatrische. Abteilung. des Bürgerhospitals 1940
16 Ebenda, Aufnahmebuch 1941
17 Div. Adressbücher, Hinweise aus dem Brief von Frau Maier, siehe Fußnote 14
18 Siehe www.stolpersteine-stuttgart.de
19 Jupp Klegraf: Der Stuttgarter <>, Publikation von Stolpersteine Stuttgart-Nord.
20 Ausschnitte aus Standbildern des Films, letztere abgedruckt in Maria Zelzer: Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden, Bildteil.
21 Ich folgere das u.a. aus dem Vergleich mit dem Paßbild von 1915.
22 Div. Adressbücher der Stadt Stuttgart. Familie Maier lebte seit 1940 in der Einkornstr. 7 in Stgt-Ost
23 Stadtarchiv Stgt, Handapparat Maria Zelzer, o.g. Brief von Frau Emmy Maier
24 Stadtarchiv, Handapparat Maria Zelzer, Brief v. R. Sautter v. 16.3.1961, auf Mikrofilm
25 Hannelore Marx: Stuttgart Riga New York, S. 47 ff. Frau Marx fuhr im gleichen Zug wie Frl. K. Sie hatte 19 Jahre in der Stitzenburgstr. 17 gelebt und hat als einzige ihrer Familie überlebt.
26 Maria Zelzer: Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden, S. 225
27 Hannelore Marx: Stuttgart Riga New York, S. 47 ff.
28 Maria Zelzer: Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden, S. 225
Text und Bilder (eigene Sammlung): 10/2009 / Klaus Steinke, Initiative Stolpersteine Suttgart-Mitte.
Spender/Paten: Ev. Ludwig-Hofacker-Gemeinde, Stuttgart, vertreten durch Pfr. Schwarz und Pfr.in Stocker-Schwarz.