Josef Ottenheimer, (* 16.4.1882 in Ludwigsburg) und seine Frau Mina,
geborene Wertheimer (* 26.6.1880 in Kehl), lebten seit 1920 zusammen in Stuttgart, erst in der Olgastr. 66 EG, ab 1927 in der Hohenheimer Str. 10, 3. St., ab 1936 in der Danneckerstr. 12, 1. Stock. Sie hatten zwei Söhne, Erich Wolf, geb. am 7.1.1921 und Franz, geboren am 11.2.1926.
Der Kaufmann Josef Ottenheimer stammte aus einer alten Rexinger Familie, die seit dem 18. Jahrhundert in Württemberg lebte. Er hatte sich 1912 an der Firma W. Hofheimer Kehlleisten und Furnierhandlung beteiligt und diese gemeinsam mit Wolf Hofheimer (+1918) und Louis Rosenstock aufgebaut und in den wirtschaftlichen Erfolg geführt. Der Firmensitz war bis 1918 in der Hauptstätter Str. 86 c, dann in dem von der Firma erworbenen Haus und Höfen der Olgastr. 61, direkt am unteren Ende der Lorenzstaffel.
Das Jahreseinkommen der gutsituierten und fleissigen Familie lag vor 1933 bei 34000 Reichsmark.[1] In den Jahren nach 1933 verschlechtert sich die wirtschaftliche und familiäre Lage durch zahlreiche Nazigesetze und schikanöse Verordnungen.
1937 stirbt Josefs Vater Jakob. Seine 78jährige Mutter Johanna Lina
Ottenheimer zieht nach Stuttgart in die Hohenheimer Straße 10, 3. Stock.
Sie „hatte in der Inflationszeit ihr gesamtes Vermögen verloren und wurde von ihrem Sohn Josef erhalten“.[2] Bis 1938 sinkt das Familieneinkommen um etwa 50 %. Es gelingt, die 13 und 17jährigen Söhne Erich und Franz nach Israel auswandern zu lassen. Josef Ottenheimer wird am 15. November 1938 in Dachau für einige Zeit inhaftiert.
Ende 1938 oder zu Beginn des Jahres 1939 schreibt er, wieder aus Stuttgart, einen Brief an seinen Bruder Wilhelm nach New York, „daß er nicht länger allein unsere Mutter erhalten könne, mich vielmehr bitten müsse, zu ihrem Unterhalt beizutragen. Er begründet dies damit, daß er durch den ihm aufgezwungenen Verkauf des Geschäftes seine hauptsächliche Einkommensquelle verloren habe und noch dazu gerade jetzt mit einer hohen Steuer, der sogenannten Sühneabgabe belastet werde, die er mit 125 000 RM angab. Er bemerkte weiterhin, dass er, da in Deutschland die Dinge immer schlimmer würden, wohl in naher Zukunft auswandern werde. In diesem Falle – so fügte er hinzu – würde eine zweite Steuer in Höhe von vermutlich 100 000 RM erhoben werden“ [1], also insgesamt 2/3 des Erlöses aus dem „arisierten“ erzwungenen Verkauf des ehemals gutgehenden Geschäfts [3]. Josefs Mutter Lina zieht am 23.1.1939 zu ihrer Tochter Gertrud Schwarz nach Rexingen [4]. Josef und Mina versuchen auszuwandern und lösen dazu ihren gesamten Hausrat auf. Ein Möbelcontainer reist mit der Fa. Barr, Möhring & Co. ab in Richtung Israel, schafft es jedoch nur bis Triest [5]. Die Eltern dürfen nicht mehr zu ihren Kindern ausreisen.
Im November 1941 bekommt das Ehepaar Ottenheimer behördlich mitgeteilt, daß sie ins „Reichskommissariat Ost“ umgesiedelt werden und sie sich am 27. November auf dem Killesberg einfinden müssen. Insgesamt 1000 württembergische Juden bekommen diese Anordnung zugestellt.
Sie melden sich in den überfüllten und chaotischen Messehallen auf dem Killesberg und treffen dort auf die ebenfalls deportierte Schwester von Josef, Gertrud Schwarz aus Rexingen.
Am 1. Dezember 1941 um 3 Uhr morgens werden die festgehaltenen Juden auf LKWs und zu Fuß zum Nordbahnhof gebracht und dort in völlig überfüllte Personenzüge verladen, in denen weder Fenster noch Türen zu öffnen sind und die Klo’s bald einfrieren. In drei Tagen und Nächten fährt
der Zug bis Riga, dort werden die drei Uhr morgens Ankommenden mit Schlägen empfangen [6] und dem Lager Riga-Jungfernhof zugeteilt, „ursprünglich ein landwirtschaftliches Gut … die Baulichkeit bestand aus fünf kleinen Häusern, drei Scheunen und Stallungen. Alles war durch Kriegseinwirkung sehr heruntergekommen.“ [7] Die Unterbringung erfolgt in heizungslosen Scheunen auf roh gezimmerten offenen Holzkojen, vier übereinander, die z.T. zentimeterdick mit Eis bedeckt sind.[8] Hier verliert sich die persönlich nachweisbare Spur von Josef und Mina Ottenheimer und Gertrud Schwarz, die das Lager nicht überlebt haben.
Über das Schicksal der Deportierten schreibt Maria Zelzer: „Die für die kommende Frühjahrs-Fronarbeit Untauglichen mußten „abgegeben“ werden; es waren 1600 erwachsene Personen und 240 Kinder. Sie wurden am 26. März 1942 im Bickern’schen Hochwald bei Riga erschossen.“ [9]
Die 80jährige Mutter „Hannchen“ Lina wird aus Rexingen am 21.8.1942 nach Theresienstadt deportiert, von dort am 23.9. nach Treblinka und mit Gas ermordet. Die Söhne Erich Wolf (jetzt Uri Etan), zuletzt lediger Schreiner im Kibbuz Ihwet und Franz (jetzt Bezalel Etan), zuletzt lediger Landwirt im Kibbuz Nirin, sterben im Freiheitskampf um Israel, der ältere 24jährig am 26.11.1945, der jüngere 22jährig am 15.5.1948.
Quellen:
1 Wiedergutmachungsakten Staatsarchiv Ludwigsburg K 50 Bü 3185
2 eidessstattliche Versicherung Wilhelm William Ottenheimer 10. Okt. 1951, StaLubu
3 Im Adressbuch firmiert ab 1940 die Firma „Koch J, Eislingen/Fils Zweigniederlassung Stuttgart Furniere und Sperrholz“
4 Meldebuch Ortsarchiv Rexingen. Rexingen ist jetzt ein Ortsteil von Horb am Neckar
5 Er wird dort später durch das sich ausdehnende deutsche Besatzungsgebiet eingeholt und als jüdischer Besitz beschlagnahmt und nach Kärnten transportiert.
6 Hannelore Marx: Stuttgart Riga New York, S. 47 ff. Frau Marx fuhr im gleichen Zug. Sie hatte 19 Jahre in der Stitzenburgstr. 17 gelebt und hat als einzige ihrer Familie überlebt.
7 Maria Zelzer: Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden, S. 225
8 Hannelore Marx: Stuttgart Riga New York, S. 47 ff.
9 Maria Zelzer: Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden, S. 225
Recherche und Text: Klaus Steinke, Stuttgart
Quellen:
Landesarchiv Ludwigsburg
Bildnachweis: Staatsarchiv Ludwigsburg F 215 Bü 283
und weitere Hinweise s. Text-Fußnoten
Spender/Pate: Mayer, USA, (s. Abraham Rimpel und Tochter Rosa)