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Pauline und David Wälder, Klugestraße 2a / Ecke Reinsburgstraße

Rexingen, heute ein Teil von Horb, liegt ungefähr 40 Kilometer von Stuttgart entfernt. Seine 425 jüdischen Einwohner machten im Jahr 1885 fast die Hälfte der Rexinger aus. Einer von ihnen war David Wälder, der hier am 29. Juni 1883 als Sohn von Jakob Wälder und seiner Ehefrau Hannchen, geb. Löwenstein, zur Welt kam. Er hatte zwei ältere und zwei jüngere Brüder sowie eine jüngere Schwester. Die achtköpfige Familie wohnte in der Brühlstraße Haus Nr. 104, heute Freudenstädter Straße 17, praktisch gegenüber der Synagoge. Über die Ausbildung von David Wälder ist nichts bekannt. Seine beiden älteren Brüder übernahmen den Viehhandel des Vaters, weshalb er einen Beruf im Textilbereich wählte. Die Rexinger Firma M.W. Zürndorfer, ein Manufaktur-, Aussteuer- und Gemischtwarengeschäft mit Versandhandel hätte sich möglicherweise zur Ausbildung angeboten.

Gleich nach Ende des Ersten Weltkrieges heiratete David Wälder am 11. März 1918 in Worms die Andernacherin Bertha Sander, geb. am 30. Oktober 1888. Schon am 9. Dezember 1918 bekam die junge Familie mit Sohn Friedrich den freudig erwarteten Nachwuchs. Vermutlich im gleichen Jahr war die Familie in Stuttgart, in das Haus Klugestraße 2, damals Bismarckstraße 96, gezogen.

David Wälder war Textilkaufmann mit Vertretungen und einer Textilwarenhandlung. Er hatte einen gutbürgerlichen Kundenkreis und belieferte mit Wäsche vor allem große Hotels, u.a. in Freudenstadt und in Oberstdorf. Geschäftsreisen führen ihn in die Schweiz und nach Österreich. Das Geschäft muss gut gelaufen sein, denn in den 1920er Jahren sind Kuren in Bad Gastein und Karlsbad bekannt. Maria Nägele, eine Verwandte der Hausverwalterin Lina Emmert, erinnerte sich nach dem Krieg an den Geschäfts-/Lagerraum von Wälder im Haus Klugestraße 2. Noch Mitte der 1930er Jahre habe er 15-20 Ballen Anzug- und Mantelstoffe, Woll- und Steppdecken, sowie massenhaft Aussteuerwäsche geführt, ausnahmslos Qualitätswaren von bekannten Firmen. Erst mit der immer stärker werdenden Diskriminierung der Juden durch das NS-Regime verlor Wälder zunehmend Kunden und musste schließlich seine Firma aufgeben.

“Gutbürgerlich” beschreibt Lina Emmert die Wohnung der Familie Wälder, die aus fünf gut eingerichteten Zimmern mit zahlreichen Bildern und Perserteppichen bestand, auch ein Flügel des Traditionsunternehmens Schiedmayer gehörte dazu. Auf diesem hat wohl Sohn Friedrich das Klavierspielen erlernt. Nach der Rosenberg(grund)schule und der Schloss-Realschule besuchte er die Zepfsche Handelsschule. Danach wandte er sich der Musik zu und ging auf ein privates Konservatorium. Da Juden immer mehr aus dem Kulturleben ausgeschlossen wurden, machte er 1936-1938 bei der Firma Bäumler in Vaihingen eine Umschulung zum Automechaniker.

Wie wohl auch der Vater wurde Friedrich Wälder nach der Pogromnacht verhaftet und war vom 12. November 1938 bis zum 3. März 1939 im KZ Welzheim. Weil Juden nun keine Autos mehr besitzen durften, musste er den vom Vater finanzierten Opel Olympia verkaufen, besser gesagt: verschleudern. Der Wert war 2500 Reichsmark, doch er bekam nur 500. Alle Gegenstände aus Edelmetall hatten 1939 an die Städtische Pfandleihanstalt verkauft werden müssen – zu einem Bruchteil ihres Wertes. Und ihre Radios hatte die Familie ersatzlos abliefern müssen.

Als dann die Gestapo Friedrich Wälder direkt bedrohte, sollte er in drei Monaten nicht weg sein, verließ er mit Ehefrau Victoria am 15. Oktober 1939 Stuttgart, um zwei Tage später von Genua nach Chile auszuwandern – oder besser: “zu flüchten”. Das Geld dazu, die nötigen Devisen, hatte er sich von einem chilenischen Freund geliehen, der an der Technischen Hochschule in Stuttgart studierte, und von einem Onkel in Straßburg. Sein Umzugsgut war zwar von den Behörden genehmigt worden, doch blieb es am Brenner, an der Grenze zu Italien hängen und kam erst nach Genua, als das Schiff schon abgefahren war. Die Spedition lagerte die Kisten ein und führte dann zur Erstattung ihrer Kosten die Zwangsversteigerung durch. Durch Zahlung von US-Dollar für die weitere Lagerung oder die Verschiffung hätte er dies verhindern können, doch er hatte diese in Chile nicht. Friedrich Wälder verlor damit seine ganze Musikbibliothek und alle Noten. Die Versteigerung war erfolgreich, jedoch vom Überschuss sah er keine Lire.

Für David Wälder und seine Frau Bertha brachte das Leben harte Veränderungen. Weil die Stadt 1939 ihr Wohnhaus vom jüdischen Besitzer zum Umbau in ein Altersheim erwerben wollte, suchte er eilends eine andere Wohnung in der Marienstraße. Dann starb am 3. Mai 1940 seine Ehefrau Bertha, die auf dem Pragfriedhof beerdigt wurde. Im Februar 1941 zwang ihn die Gestapo, auch seine neue Wohnung aufzugeben. Ein möbliertes Zimmer im Erdgeschoss der Hohenstaufenstraße 17A wurde ihm zu gewiesen. Seine Wohnungseinrichtung lagerte er bei einer Spedition in Stuttgart ein. Ob er sie später noch Notverkaufen konnte oder ob das NS-Regime sie beschlagnahmte, ist nicht mehr feststellbar. Und drei weitere Kisten mit Hausrat gingen bei Lina Emmert im Krieg verloren.

David Wälder fand aber auch Trost, denn Anna Mak, damals Besitzerin eines kleinen Lebensmittelladens in der Klugestraße 12, versorgte ihn selbst dann noch nach Ladenschluss mit Lebensmitteln, als dies für sie gefährlich wurde. Und die Hausverwalterin Lina Emmert hielt ihm mit mehreren Besuchen die Treue. Schließlich heiratete David Wälder am 12. März 1941 in Andernach Pauline Cahn, geboren am 18. Mai 1887 in Neuwied. Sie hatte mit ihren Brüdern in Neuwied, Mittelstr.41, das Einzelhandelsgeschäft für Manufakturen, Herrenkonfektion, Seifen, Lichte und einschlägige Artikel der verstorbenen Eltern, die Firma Joseph Cahn, weitergeführt. Im November 1938 mussten sie das Geschäft schließen, nachdem in der Pogromnacht der Laden beschädigt, Glasscheiben zertrümmert, Waren und Hausratsgegenstände zerstört und geplündert wurden.

Zusammen mit Pauline musste David Wälder am 31. Oktober 1941 Stuttgart verlassen und zwangsweise nach Rexingen ziehen. Doch schon am 28. November 1941 hatten sie nach Stuttgart zurückzukehren, um am 1. Dezember 1941 vom Killesberg aus nach Riga deportiert und dort auch ermordet zu werden. Die beiden älteren Brüder von David Wälder wurden mit ihren Familien ebenso ermordet wie die Brüder von Pauline Wälder.

Nur Friedrich Wälder überlebte. Unter dem Namen Federico Waelder Sander machte er sich in Chile einen Namen als Pianist für Tanz- und Unterhaltungsmusik. Später wurde er ein renommierter Fotograf. Das künstlerische Talent vererbte er weiter. Sein Sohn Juan Waelder, David Wälders Enkel, lebt als anerkannter Bildhauer auf Mallorca, wo er gerade mit eigenen Arbeiten einen Skulpturengarten für ein großes Hotel einrichtet. Wer sich für seine Arbeiten interessiert, kann sich im Internet unter www.juanwaelder.com selbst ein Bild davon machen.

Text & Recherche: Wolfgang Kress (Stolperstein-Initiative Stuttgart-West)