Regina Abendstern, geborene Pappenheimer, kam am 14. September 1881 in Oberdorf bei Bofingen auf der Ostalb zur Welt. Schon als junge Frau zog sie nach Stuttgart, wo 1903 und 1904 ihre Söhne Martin und Otto geboren wurden. Reginas Mann Samuel verstarb 1923, über ihn ist nichts weiter bekannt.
Ob er ihr das Vermögen hinterlassen hat, dem sie ihre gut-bürgerliche Existenz verdankte, oder ob Regina selber bereits wohlhabend geboren wurde, ist nicht belegt. Sie bewohnte eine geräumige Wohnung im eigenen Haus, schon damals in einer guten Lage (Hoppenlaustraße 17, ehemals Äußere Büchsenstr. 107). Als die Verfolgung durch die Nazis einsetzte, spielte dieser Besitz eine möglicherweise tragische Rolle. Zunächst hatte Regina Abendstern ihre Immobilie nämlich für ihre Kinder erhalten wollen und war deswegen trotz aller Schikanen in ihrer Heimatstadt geblieben.
In den späten 1930er Jahren wurden immer mehr Personen jüdischer Herkunft in Reginas Wohnung zwangseinquartiert, bis sie ihre Möbel einlagern und für den 31. Oktober 1939 ihren Umzug nach Manchester vorbereiten ließ. In England lebte seit 1938 ihr älterer Sohn Martin zusammen mit seiner Frau Hanna. Die beiden waren 1936 vor dem Nazi-Terror erst nach Luxemburg, dann nach Großbritannien geflohen. Reginas Flucht ins britische Exil scheiterte an der fehlenden Erlaubnis der britischen Behörden. In Deutschland war sie dank ihres Vermögens immerhin in der Lage, die horrenden Gebühren zu zahlen, welche das Naziregime von den terrorisierten Auswanderungswilligen verlangte. 1940 hatte sie von ihrem Bruder ein Paket Wertpapiere geschenkt bekommen, das auf 24.000 Reichsmark taxiert wurde (nach heutigem Wert etwa 170.000 €).
Sie machte einen weiteren Versuch, aus Nazi-Deutschland zu entkommen. Laut den Unterlagen ihres Umzugsunternehmens war für April 1940 der Transport ihrer Umzugskisten via Rotterdam nach New York vorgesehen. Auch dieser Plan scheiterte. Statt in die rettenden USA musste Regina kurz nach ihrem 60. Geburtstag im Herbst 1941 in ihren Geburtsort Bofingen ziehen; kurz zuvor hatten die Behörden verfügt, dass sie den Judenstern tragen musste. Die Gestapo hatte sich bei Reginas Zwangsumsiedlung das Verfügungsrecht über die wertvolle Wohnungseinrichtung gesichert, und die Möbel von einem Händler namens Kaupp verkaufen lassen. Anfang Dezember 1941 wurde Regina Abendstern über den Stuttgarter Killesberg nach Riga deportiert, dort im KZ Jungfernhof interniert, und höchstwahrscheinlich am 26. März 1942 von lettischen SS-Männern im Bikernieki-Wald bei Riga erschossen. Zusammen mit ihr ermordete die SS an diesem Tag 1600 bis 1700 jüdische Deportierte, die zu schwach waren für Zwangsarbeit.
Reginas jüngerer Sohn Otto, geboren am 5. November 1904 in Stuttgart, lebte vor dem Krieg in Luxemburg. Aus geschäftlichen Gründen war er in Brüssel, als die deutsche Wehrmacht im Mai 1940 die Benelux-Staaten überfiel und blitzartig besiegte. Die deutschen Besatzer forderten alle Ausländer auf, sich polizeilich registrieren zu lassen. Otto Abendstern folgte diesem Befehl, anders als seine Frau und sein Sohn, die in Frankreich untertauchten und den Krieg überlebten. Otto dagegen wurde am 10. Mai 1940 ins belgische Internierungslager St. Cyprien verschleppt, weiter in die französischen Lager Gurs und Drancy, und von dort mit dem Transport 19, Zugnummer 901-14 nach Auschwitz. Dieser Zug kam am 14. August 1942 in Birkenau an, von da an verliert sich Ottos Spur in der Shoah.
In Stuttgart wurde unterdessen das Haus der Familie Abendstern durch alliierte Luftangriffe vollständig zerstört. Regina hatte das Grundstück unter dem Druck der Verfolgung und im Hinblick auf ihre geplante Flucht ins Exil am 2. August 1939 verkauft. Nach dem Krieg verzichteten ihre Erben auf die Rückgabe des Grundstücks, die damaligen Eigentümer erstatteten ihnen im Jahr 1951 lediglich 5000 DM.
Auch die Bundesrepublik zeigte sich auf einschlägige Weise knauserig. Im sogenannten „Wiedergutmachungsverfahren“ wurde die Massenerschießung von Bikernieki am 26. März 1942 als Regina Abendsterns Todeszeitpunkt angenommen – obwohl es keinen Be-weis gibt, dass sie tatsächlich dabei zu Tode kam. Die Alternative wäre gewesen, das Kriegsende am 8. Mai 1945 als Todesdatum anzusetzen, was die Bundesrepublik weitaus mehr Entschädigung gekostet hätte.
Es blieb bei einer Entschädigung für sechs Monate Freiheitsentzug von Regina Abendstern, zahlbar an die Nachfahren der Ermordeten – amtlicher Wert: 900 DM.
Am 28. April 2017 wurden in der Hegelstraße 24 Stolpersteine für Regina und Otto Abendstern verlegt. Dieser Ort wurde gewählt, weil das Wohnhaus und die Adresse in der Hoppenlaustraße 17 (ehemals Äußere Büchsenstraße 107) nicht mehr existieren.
Recherche: Franz Hergenröder, Jennifer Lauxmann-Stöhr, Stolperstein-Initiative Stuttgart-Mitte
Redaktion: Andreas Langen, Stolperstein-Initiative Stuttgart-Mitte
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart