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Siegfried Schwarzschild, Klopstockstr. 34 A

Siegfried Schwarzschild, nach dem ältesten Sohn des biblischen Noah auch Sem genannt, war ein “Westler” Er wurde am 11. März 1877 in Stuttgart-West geboren. Sein Vater war der Kaufmann Daniel Schwarzschild, der in der Ludwigstr. 83 A eine 1882 gegründete “Handlung in Metallen, Bergwerks- und Hüttenprodukten, Obstgroßhandlung” besaß. Die Mutter war Sofie, geborene Dampf. Siegfried bekam noch die drei Geschwister Heinrich, Gertrud und Elsa. Im Stuttgarter Westen aufgewachsen, dürfte er seine ersten Schuljahre in der Johannesschule am Feuersee zugebracht haben, denn die Schwabschule gab es damals noch nicht. Auch wenn sein weiterer Ausbildungsweg unbekannt ist, steht fest, dass er wie sein Vater und sein Bruder Kaufmann wurde.

1907, beim Tod des Vaters, lebte er als Kaufmann in Paris. Und nach dem Rückzug der Mutter führte er seit 1908 die väterliche Firma mit seinem Bruder Heinrich allein weiter. Die wirtschaftlich schweren Jahre nach dem Ersten Weltkrieg bewirkten, dass die Firma Daniel Schwarzschild 1929 den Geschäftsbetrieb einstellte. Erst 1935 konnte sie auch aufgelöst werden, nachdem sich für die zum Firmenvermögen gehörenden Häuser endlich ein Käufer gefunden hatte. In den 1920er Jahren hatte sich Siegfried Schwarzschild wohl ein zweites Standbein geschaffen. Vielleicht war auch nur die Sparte “Obstgroßhandlung” aus der väterlichen Firma ausgegliedert worden. Jedenfalls wird er jetzt zusätzlich als “persönlich haftender Gesellschafter der Firma Vereinigte Gemüse- und Obstgroßhandlung Ludwig Steiger u. Co.” bezeichnet, die zeitweise in der Hospitalstr. 22 war. Nachdem diese Firma sich umformierte, gründete Siegfried Schwarzschild wohl 1930 eine “Mostobstgroßhandlung”, wie im Stuttgarter Adressbuch nachzulesen ist. Die notwendigen Büroräume mietete er im dritten Stock des Gebäudes Königstr. 43 A.

Am 5. August 1909 hatten er und die sieben Jahre jüngere Josephine Einstein aus Stuttgart geheiratet. Kinderglück blieb dem Paar versagt, das gleich nach der Hochzeit eine Wohnung im Haus Johannesstr. 55 bezogen hatte. Bruder Heinrich lebte mit seiner Familie in der Johannesstr. 64. Nachdem die Firma Daniel Schwarzschild weitgehend abgewickelt war, zog es die beiden Brüder mit ihren Familien mehr an den Stadtrand, Heinrich in die Zeppelinstr. 21 B und Siegfried im Jahr 1932 in die Klopstockstr. 34 A, an der Ecke zur Steinenhausenstraße.

Als die Verfolgung der Juden durch die Nationalsozialisten immer einschneidender wurde, suchten Siegfried Schwarzschilds Geschwister in den USA eine sichere Zuflucht und wanderten aus. Er selbst konnte sich nicht dazu entschließen. Trotz guter Kenntnisse in Englisch und Französisch fürchtete er, in den USA keine Existenz mehr zu finden. Außerdem war er überzeugt, dass sich die Nationalsozialisten nur kurz an der Regierung halten würden. Doch das sollte sich als Irrtum erweisen.

Es müssen lange und vielleicht auch heftige Diskussionen im zweiten Stock des Hauses Klopstockstr. 34 A stattgefunden haben. Am Ende verließ Josefine Schwarzschild ohne ihren Mann Deutschland und wanderte im April 1939 auf Anraten von Verwandten nach Nordamerika aus. Josefine Stone, wie sie sich jetzt nannte, fand eine Stelle als Krankenpflegerin. Sie lebte in San Francisco unter bescheidenen Bedingungen, aber immerhin sie lebte. Ihre letzten Jahre verbrachte sie in einem jüdischen Altenheim, einem wirklichen Altenheim, wo sie gut versorgt wurde, und verstarb 1980 im hohen Alter von 96 Jahren

Vielleicht gab es noch einen weiteren Grund, warum Siegfried Schwarzschild in Stuttgart bleiben wollte. Den Wiedergutmachungsakten im Staatsarchiv Ludwigsburg lässt sich entnehmen, 1958 bestätigt von der Israelitischen Kultusgemeinde, dass Siegfried Schwarzschild spätestens seit Ende der 1930er Jahre in seinem Büro in der Königstr. 43 A halbamtlich ein sehr gut laufendes Reisebüro für die Jüdische Auswandererstelle mit zwei Angestellten betrieb. Zu dieser Zeit waren die jüdischen Mitbürger aus dem Geschäftsleben in Deutschland fast völlig herausgedrängt. Es war eigentlich undenkbar, dass Siegfried Schwarzschild deshalb seine Mostobst-Großhandlung noch 1939 führte, auch wenn dies im Stuttgarter Adressbuch weiterhin steht. Das Reisebüro musste er angeblich erst im April 1941 aufgeben, zu einem Zeitpunkt, als sich die jüdische Auswanderung ohnehin ihrem Ende zuneigte und ein halbes Jahr später ganz verboten wurde. Für einige offene Fragen hier wird sich wohl nie mehr eine Antwort finden lassen.

Ende 1939 wurde Siegfried Schwarzschild von der Stadt Stuttgart genötigt, seine Wohnung in der Klopstockstr. 34 A aufzugeben, denn das Haus war nicht in jüdischem Besitz. Er findet nun in der Militärstr. 35 (heute Breitscheidstraße) eine neue wesentlich kleinere Unterkunft. Doch auch von dort muss er umziehen, diesmal als Untermieter zu Familie Lissberger in der Kasernenstr. 13 (heute Leuschnerstraße). Hier wurde bis 1938 das Israelitische Gemeindeblatt hergestellt, im Hinterhaus hatte die orthodoxe Gemeinde ihre Beträume.

Mit jedem Umzug verschmälerte sich das Hab und Gut von Siegfried Schwarzschild allein schon, weil er immer weniger Platz hatte. Sein finanzielles Polster raubte der NS-Staat zunehmend über Zwangsabgaben. Und natürlich musste er auch den Judenstern tragen. 1942 wurde er schließlich zwangsweise nach Tigerfeld (Kreis Reutlingen) umgesiedelt, wo das frühere Amtshaus des Klosters Zwiefalten zum jüdischen Altersheim “umgewandelt” worden war.

Bald danach wird er von Stuttgart aus am 22./23. August 1942 nach Theresienstadt deportiert. Und weil er dort mit seinen 65 Jahren nicht schnell genug stirbt, wird er am 16. Mai 1944 auf die Fahrt in den Tod nach Auschwitz geschickt, wo sich seine Spur verliert. Nach dem Krieg wird Siegfried Schwarzschild auf den 31. Mai 1944 für tot erklärt.

Der Stolperstein wurde am 12. April 2011 verlegt.

Recherche und Text: Wolfgang Kress, Stolperstein-Initiative Stuttgart-West

Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg EL 350 I Bü 22275; Passakten F 201 Bü 422 /153, F 201 Bü 414 /18, u.a.