Menü Schließen

Theodor Decker, Schönbühlstr. 78

Theodor Hans Decker
wurde am 10. Januar 1901 in Stuttgart-West als unehelicher Sohn von Elise Decker in Stuttgart geboren, die angeblich von einem Adeligen geschwängert worden war.
Seine Mutter war eines von sieben Kindern des aus Münsingen stammenden Schreiners Johannes Decker und seiner Frau Maria, die 1859 nach Stuttgart gekommen waren, wo Johannes Arbeit in der Klavierbauerfirma Schiedmaier fand. Als ledige Mutter eines Kindes galt sie schnell als das „schwarze Schaf“ in der Familie und wurde verstoßen. 1912 – 1915 wohnte Elise Decker mit ihrem Sohn in der Rötestraße im Stuttgarter Westen, 1915 – mitten in der Armut des 1. Weltkriegs – bezogen sie eine Wohnung in der Kolonie Ostheim im Kanonenweg, der heute Haußmannstraße heißt. Heute würde man Theodor Decker als „Kindersoldat“ bezeichnen – er nahm am 1. Weltkrieg in Afrika in der „Schutztruppe Deutsch-Südwestafrika“ teil, die die deutsche Kolonie gegen Südafrika verteidigen sollte. Möglicherweise politisierte dieser brutale Kriegseinsatz den Jugendlichen.
Nach Kriegsende 1918 zogen Theodor Becker und seine Mutter um in die Rotenbergstraße 60 nach Ostheim – in den “Roten Osten“.
Von 1922 bis 1923 arbeitete Theodor Decker bei der Reichspost, danach als Telegrafenarbeiter. Er wurde als Betriebsrat gewählt und erwarb sich hohen Respekt bei seinen Kollegen.
1925 heiratete Theodor Decker seine Frau Gertrud, die mit bei seiner Mutter einzog. Sie bekamen zwei Söhne. Die Familie konnte 1931 in eine der neu gebauten Wohnungen in der Schönbuchsiedlung einziehen. Dort, vor dem Haus Schönbühlstraße 78 erinnert seit 2009 ein Stolperstein an Theodor Decker.
Theodor Decker wurde wegen seiner Mitgliedschaft in der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition (RGO) am 7. März 1933 auf der Grundlage §4 des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“ fristlos entlassen und verhaftet.
Theodor Decker aus dem Stuttgarter Osten war Mitglied der Kommunistischen Partei Deutschland (KPD) und in der Revolutionären Gewerkschafts-Opposition aktiv. Sein Genosse Karl Pfizenmaier, der von der Gestapo bei Verhören auch zu Theodor Decker befragt wurde, machte keine Aussagen zu dem Weggefährten – dass beide bei einer KPD-Mitglieder-versammlung im “Hirschen” in Gablenberg gesehen worden waren, war schon aktenkundig, die Mitgliedschaft im Rotfrontkämpferbund ließen die beiden sich nicht nachweisen.
Als roter Betriebsrat bei der Reichspost hatte Theodor Decker Einblick in die neue Rundfunkübertragungstechnik. Die Kommunisten Theodor Decker und das spätere SED-Politbüromitglied Kurt Hager erarbeiteten die Idee, die Übertragung von Hitlers Rede von der Stuttgarter Stadthalle über den Rundfunk am 15. Februar 1933 zu unterbinden – vermutlich als Aktive des Stuttgarter Rotfrontkämpferbunds.
Das sogenannte Kabelattentat wurde konspirativ vorbereitet und handstreichartig durchgeführt: Das Übertragungskabel, das von der Stadthalle über die Werderstraße oberirdisch am Haus Nr. 20 geführt wurde, wurde am Ende der Rede um 21: 17 Uhr von Alfred Däuble, der auf die Schultern von Hermann Medinger geklettert war, mit einem Axthieb in 4 Meter Höhe durchtrennt, während die Genossen Wilhelm Breuninger und Eduard Weinzierl Polizisten und Passanten ablenkten. Im Stuttgarter Süden entwarfen die Genossen Willi Bohn und Hans Rüß in der Wohnung des Naturfreunds Karl Maier ein Flugblatt, das über das „Kabelattentat“ informierte.
Da die KPD zu diesem Zeitpunkt noch nicht verboten war, führten die anschließenden Verhaftungen zunächst zu relativ geringen Verurteilungen durch das Gericht, das berücksichtigte, dass die Wahlwerbung für die KPD im Rundfunk verboten war.
Unmittelbar nach der Machtergreifung der Nationalsozialisten ab 30. Januar 1933 begann die Verfolgung der politischen Gegner. Schon am 28. Februar 1933 rief das NS-Regime mittels der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ den Staatsnotstand aus und schuf am 24. März 1933 mit dem sogenannten „Ermächtigungsgesetz“ die Grundlagen zur Verfolgung und Inhaftierung Oppositioneller. „Schutzhaft“ war die Bezeichnung für die willkürliche Inhaftierung in zahlreiche neu geschaffene Konzentrationslager, von denen das KZ Heuberg bei Stetten am kalten Markt das erste war. Als Ende 1933 dieses Gelände von der Reichswehr benötigt wurde, verlegte man die Häftlinge ab November 1933 bis Juli 1935 auf den Oberen Kuhberg in Ulm, einen Teil der 1850 erbauten Bundesfestung Ulm.
Theodor Decker wurde zunächst im Oktober 1933 wieder entlassen und bekam 4 Wochen nach seiner Haftentlassung Arbeit bei Firma Robert Bosch in Feuerbach.
Dort an seinem Arbeitsplatz wurde er am 10. Dezember 1934 von der Gestapo erneut verhaftet – zunächst als Untersuchungshäftling und am 11. Juli 1935 ins Konzentrationslager Dachau als Häftling Nr. 7684 gebracht. Das Oberlandesgericht Stuttgart verurteilte Theodor Decker am 23. Oktober 1935 wegen Vorbereitung zum Hochverrat zu 3 ½ Jahren Zuchthaus und 5 Jahren Ehrverlust, danach wurde er unter Polizeiaufsicht gestellt. Die Haft trat er am 25. Oktober 1935 in Landesstrafanstalt Ludwigsburg auf dem Hohenasperg an, wo ihn seine Frau mit den beiden 4- und 10 Jahre alten Söhnen noch ein letztes Mal besuchte. Die Kinder sahen ihren Vater danach nie wieder.
In dieser Zeit musste Theodor Decker auch erfahren, dass seine Frau ein Verhältnis hatte mit einem Mann, von dem seine Söhne später erfuhren, dass er den Vater verraten hatte. Dieser Mann verweigerte die Bezahlung der Éntbindungskosten für das Kind, das er mit Theodor Deckers Frau gezeugt hatte. Der am 17. Januar 1936 geborene Sohn starb noch im Jahr seiner Geburt.
Dass die städtische Fürsorge nicht für die Familien politischer Gefangener eintrat, merkte Theodor Deckers Frau und seine Kinder schnell: Die Wohnung in der Lehmgrubenstraße 72 mussten sie nach der Verurteilung des Vater 1936 räumen und nach Cannstatt umziehen. Diese städtische Wohnung wurde ihnen dann auch wieder entzogen. Theodor Deckers Schwager, ein Nationalsozialist, sorgte dafür, dass seiner Schwester das Sorgerecht für ihre beiden Söhnen entzogen wurde. Die , Jungen kamen zunächst zur Großmutter in die Rotenbergstraße 60, dann ins Charlotten-Kinderheim und schließlich bis 1940 ins NS-Erziehungsheim Lichtenstern bei Schwäbisch Hall. Durch Briefe seiner Frau, die die Kinder dort auch besuchte, erfuhr Theodor Decker von den „Sippenhaft“-Methoden. Einsperren, Schläge mit Riemen und Nahrungsentzug waren die üblichen Strafen, mit denen der dortige Anstaltsvorsteher Pfarrer Beck die ihm anvertrauten Kinder „erzog“. Den Buben waren als Kinder eines politischen Häftlings eine angemessene Schul- und Berufsausbildung verwehrt.
Theodor Decker wurde am 15. April 1937 mit einem Sammeltransport ins Strafgefangenenlager „Aschendorfer Moor“ im Emsland bei Papenburg verlegt, in dem u.a. auch der spätere SPD-Bundestagsabgeordnete Fritz Erler im Moor arbeiten musste. Von dort aus wurde er am 3. November 1937 auf Anweisung des Volksgerichtshofs für eine Gegenüberstellung ins Zuchthaus Berlin-Plötzensee überstellt und dann am 3. Januar 1938 ins Gefängnis Berlin-Moabit verlegt. Es gelang der Gestapo nicht, Aussagen gegen Genossen aus ihm heraus zu prügeln oder ihn als Spitzel zu gewinnen – Theodor Decker blieb seinen hohen moralischen Werten und seiner Familie treu, die immer seine Hoffnung blieb. Er ging davon aus, dass das außereheliche Verhältnis seiner Frau aufgelöst sei, da sie ihre Scheidungsklage zurückgenommen hatte. Er freute sich auf seine Söhne, die er nach seiner Strafverbüßung am 23. Juli 1938 wiederzusehen hoffe.
Doch nach seiner Entlassung wurde Theodor Decker am 23. Juli 1938 vom Polizeigefängnis Stuttgart II aus ins sogenannte „Schutzhaftlager“ Welzheim verbracht und von dort aus über die Haftanstalt Augsburg am 3. September 1938 erneut nach Dachau, wo er die Häftlingsnummer 18528 erhielt. Weshalb er im KZ Dachau vom 19. bis zum 22. Oktober 1938 einen schlimmen Kommandanturarrest absitzen musste, wissen wir nicht. Vermutlich wurde er dann bis Ende März 1939 wieder in Welzheim in sogenannter „Schutzhaft“ gehalten, bevor er erneut ins KZ Dachau überstellt wurde.
Ab Anfang August 1938 – nach dem sogenannten „Anschluss Österreichs“ brachte die SS Gefangene aus dem KZ Dachau nach Mauthausen in Österreich. Die Männer mussten dort unter schlimmsten Bedingungen das Konzentrationslager und einen Steinbruchbetrieb errichten. Theodor Decker wurde am 27. September 1939 von Dachau ins Konzentrationslager Mauthausen überstellt, wo er am 17. Januar 1940 ermordet wurde.
Seine Frau Gertrud bekam am 17. Januar 1940 ein Telegramm aus dem Konzentrationslager Mauthausen auf dem stand: „EHEMANN HEUTE IM LAGER VERSTORBEN – NÄHERES DURCH POLIZEI – ZIEREIS LAGERKOMMANDANT“.
Der Lagerarzt schrieb als Todesursache Lungenentzündung, Kreislaufinsuffizienz und akutes Herz-Kreislaufversagen infolge Grippe auf den Totenschein.
Theodor Deckers Frau, die mittlerweile bei den Cannstatter Kugellagerwerken NORMA arbeitete, heiratete im selben Jahr den Mann, der ihren Ehemann denunziert hatte und mit dem sie fünf Jahre zuvor ein Kind hatte.
Dem älteren Sohn von Theodor Decker, dem Vater und Mutter genommen worden war, der nach einer schrecklichen Kindheit im NS-Erziehungsheim und nach der Lehre zur Wehrmacht eingezogen wurde und nach dem Krieg zunächst ohne Verdienst dastand und dann sein Geld mit Tätigkeiten verdienen musste, die nicht seiner Begabung entsprachen, lehnte die Landesbezirksstelle für die Wiedergutmachung den Anspruch auf Haftentschädigung für den Vater ab, da der Sohn zum damaligen Zeitpunkt das 16. Lebensjahr überschritten hatte.

Text: Gudrun Greth, Stolperstein-Initiative Stuttgart-Ost
Recherche: 2009 Harald Stingele; Nachrecherche 2020 Gudrun Greth
Stolpersteinverlegung: 2009, Schönbühlstr. 78, Stuttgart-Ost
Stolpersteinspende: Stolperstein-Initiative Stuttgart-Ost

Quellen:
Bundesarchiv Berlin: Strafakte Theodor Decker R 3017/31064
Bundesarchiv Berlin: Strafakte Karl Pfizenmaier (enthält Theodor Decker) R 3018/5788
Staatsarchiv Ludwigsburg StAL EL 350 I Bü 25161; StAL EL 350 I Bü 1360; StAL E 356 dV Bü 852 Blessing, Elmar (2009): Endstation Mauthausen. Der lange Leidensweg des Hans Theodor Decker. Stuttgart: Ziegelhaus
Schlenker, Rolf (2020): 1933 Ein Beil gegen Hitler. Tübingen: Silberburg