Gerhard Eggensperger wurde nur 1 Jahr und 10 Monate alt. Er wurde von den Nazis ermordet, weil er das Down-Syndrom (Trisomie 21) hatte. Ein Stolperstein in der Beethovenstr. 26 in Stuttgart-Botnang (Verlegung 10:00 Uhr) wird künftig an das Schicksal des kleinen Jungen erinnern. Der Kölner Künstler Gunter Demnig, Initiator des europäischen Kunst- und Erinnerungsprojektes, kommt dafür am 26. November 2024 wieder nach Stuttgart. Insgesamt sechs neue Erinnerungssteine wird Demnig an diesem Tag in der Landeshauptstadt verlegen.
Offiziell gestorben ist Gerhard Eggensperger im November in der Landesheilanstalt Eichberg im Rheingau an Masern, schrieb der Anstaltsdirektor damals den trauernden Eltern. „Es ist eine charakteristische Erscheinung, dass solche Kinder gerne Erkältungs- und Infektionskrankheiten anheimfallen, weil ebenso wie die Schwäche des Gehirns auch eine Minderwertigkeit der Schleimhäute und vitalen Energie diese Krankheit kennzeichnen“, ergänzte sein Stellvertreter empathiefrei. „Gerhard war gesund, er hat gelacht. Er hatte nur andere Augen“, erinnert sich dagegen seine Schwester Jahrzehnte später.
Gerhard Eggensperger ist ein Opfer des Euthanasie-Programms der Nazis, ebenso wie die Zuffenhäusener Willy Rettich, der mit 42 Jahren ermordet wurde (Verlegung 10:50 Uhr in der Wattstr. 20), und der 18jährige Herbert Fröhlich (Verlegung 11:10 Uhr in der Bönnigheimer Str. 34). Systematisch wurden damals Menschen mit geistiger und körperlicher Beeinträchtigung umgebracht. Historiker schätzen ihre Zahl auf mindestens 250.000. Rettich lebte in der Heil- und Pflegeanstalt in Stetten/Remstal. Fröhlich in der Anstalt Mariaberg bei Gammertingen. Beide Männer wurden im September bzw. Dezember 1940 nach Grafeneck, das einstige Jagdschloss der württembergischen Herzöge, verlegt und dort am selben Tag noch getötet. Grafeneck steht für Euthanasie-Morde: Allein von Januar bis Dezember 1940 werden dort über 10.600 Menschen ermordet.
Auch heute ist es nicht selbstverständlich, dass Menschen mit kognitiven Einschränkungen gewaltfrei und selbstbestimmt leben können. Es müssen dabei nicht immer gleich Steine fliegen, wie in diesem Frühjahr in Mönchengladbach. Ein Ziegelstein zerschlug die Eingangstür der Lebenshilfe. „Euthanasie ist die Lösung“, stand auf dem Wurfgeschoss, ein Satz, der Angst und Schrecken verbreitet hat. Auch zuvor gab es bereits verbale und handgreifliche Attacken von rassistisch motivierten Tätern aus dem rechten Milieu, die stark verunsicherten. Dabei bedürfen Menschen mit Einschränkungen unserer besondere Unterstützung und keinesfalls Ausgrenzung oder gar Bedrohung.
In der Stöckachstr. 28 in Stuttgart-Ost hat Elisabeth Guttenberger, geb. Schneck gewohnt. Sie hat als einzige von mehr als 30 Familienangehörigen das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau II überlebt. Am 25. März dieses Jahres ist sie verstorben. Jetzt wird ein Stolperstein für Elisabeth bei denen für ihre ermordeten Eltern und Geschwister verlegt – Gunter Demnig führt so Familien an ihrem letzten freiwillig gewählten Wohnort zusammen. Die Zeremonie zur Verlegung beginnt bereits um 8:45 Uhr und wird musikalisch umrahmt von den Gitarristen Gismo Graf und Joshi Graf. Der Stolperstein für Elisabeth Schneck wurde dankenswerter Weise gespendet von der Klasse 10 des Gymnasium Korntal.
Elisabeth Schneck und ihre Geschwister waren in den 1930er Jahren Schüler der Ostheimer Grundschule – nach eigener Aussage ihre schönste Zeit. Als der Vater im November 1936 vor der nahenden Verhaftung gewarnt wurde, zog die Familie nach München in die Nähe von Angehörigen. Dort absolvierte Elisabeth eine Ausbildung in einer Konditorei. Im März 1943 wurde die Familie verhaftet und nach Auschwitz deportiert. Elisabeth kam mit Glück in die Schreibstube und musste dort tausende von Sterbemeldungen in das Totenbuch eintragen – auch die ihres Vaters, ihres kleinen Bruders und weiterer Angehöriger. Im April 1945 gelang ihr die Flucht. „Es ist mein größter Wunsch, dass die heutige und künftige Generation aus unseren schrecklichen Erfahrungen lernt, und dass Auschwitz nie wieder Wirklichkeit werden kann“ war ihre Schlussfolgerung, die ihr weiteres Leben prägen sollte.
In der Eichstr. 9 in Stuttgart-Mitte wird um 9:25 Uhr ein Stolperstein für Emil Wilhelm Strohhäcker verlegt. Eigentlich hat er laut Sterbebuch Mauthausen zuletzt in der Ilgenstraße 10 in Stuttgart vermutlich zur Untermiete gewohnt, doch diese Straße – eine Parallelstraße zur Eichstraße – existiert nicht mehr. Strohhäcker wurde 1903 in Vaihingen an der Enz geboren. Seine Eltern, der Korbmachermeister Gustav Strohhäcker und seine Frau Karoline, hatten 8 Kinder. Emil Strohhäcker, der bis 1926 bei seinen Eltern gemeldet war, wird als „Tagelöhner“ geführt. Danach ging er auf „Wanderschaft“. In München wurde er 1926 zu sechs Tagen Haft wegen Bettelei verurteilt. In Augsburg hatte er einen Sohn mit Magdalena Deiniger. Im Juni 1938 kam Strohhäcker ins KZ Sachsenhausen. Er gehörte zu einer Gruppe von 1627 als „Arbeitsscheue“ registrierten Häftlingen. Anfang 1940 wurde er nach Mauthausen überstellt, wo er wenige Monate später starb. Die Todesursache ist unklar. In den Akten zur Einäscherung steht dazu: „Keine Diagnose“. Im Sterbebuch heißt es in der entsprechenden Rubrik: „Herzinnenhautentzündung, Herz- und Kreislaufschwäche“.
In der Föhrichstr. 63 in Feuerbach wird künftig auch an Wilhelm Friedrich Stähle erinnert (Verlegung etwa 10:25 Uhr). Der gelernte Maler und Tapezierer war Oberwachtmeisterbei der Luftschutzpolizei. Er war im Kaufhaus Breuninger im März 1943 zu Löscharbeiten nach einem Fliegerangriff eingesetzt. Anschließend wurde ihm „Plünderung“ vorgeworfen. Das SS- und Polizeigericht XI hat ihn am 5. November 1943 zum Tod verurteilt. Stähle wurde auf der Dornhalde erschossen. Belastet wurde Stähle von seinem Vorgesetzten Herbert Süsser, der den Diebstahl beobachtet haben will. Die Witwe von Stähle sprach in dem Wiedergutmachungsverfahren von einer Intrige. Klären lässt es sich nicht, weil die Akten vernichtet wurden. Entschädigt wurde Helene Stähle nie.
Anlässlich des 80. Jahrestags der Ermordung der „Schlotterbeck-Gruppe“ am 30. November 1944 im KZ Dachau findet am Sonntag, 24.11.2024 um 11:00 Uhr eine Matinée im Hotel Silber in der Dorotheenstraße 10 statt. Beim Podiumsgespräch mit dem Autor Bernd Burkhardt und dem Historiker Ulrich Widmann steht das Schicksal von Hermann Schlotterbeck im Mittelpunkt, der einige Tage vor Kriegsende nach monatelanger Haft und Folter im Konzentrationslager Welzheim in einem Wald in Riedlingen an der Donau erschossen wurde. Am Samstag, 30.11.2024 gibt es dann um 14:00 Uhr eine Gedenkfeier auf dem Friedhof Untertürkheim an der Gedenkstätte für die Familie Schlotterbeck.
STOLPERSTEIN-Verlegung mit Gunter Demnig am 26. November 2024
Am Dienstag, 26. November 2024 wird der Künstler Gunter Demnig, Initiator des europäischen Kunst– und Erinnerungsprojektes, wieder persönlich nach Stuttgart kommen, um sechs weitere Gedenksteine selbst zu setzen. Die angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung sein. Verschiebungen lassen sich nicht ausschließen, Änderungen sind möglich. Die Begleitveranstaltungen beginnen in der Regel früher.
Start der Zeremonie zur Verlegung des Stolpersteins für Elisabeth Guttenberger, geb. Schneck in der Stöckachstr. 28 im Stuttgarter Osten ist beispielsweise schon um 8:45 Uhr. Die Veranstaltung wird von den Gitarristen Gismo Graf und Joshi Graf musikalisch umrahmt.
Generell gilt: Wer eine Steinverlegung miterleben möchte, sollte auf jeden Fall frühzeitig vor Ort sein (bis zu 30 Minuten vorher) und die Mitteilungen der Stadtteil-Initiativen beachten!
Stolpersteine für Stuttgart am Dienstag, den 26. November 2024:
09:00 – 09:15 | Ost | Stöckachstr. 28 | 1 Stein für ELISABETH SCHNECK |
09:25 – 09:40 | Mitte | Eichstr. 9 | 1 Stein für EMIL WILHELM STROHHÄCKER |
10:00 – 10:15 | Botnang | Beethovenstr. 26 | 1 Stein für GERHARD EGGENSPERGER |
10:25 – 10:40 | Feuerbach | Föhrichstr. 63 | 1 Stein für WILHELM STÄHLE |
10:50 – 11:05 | Zuffenhausen | Wattstr. 20 | 1 Stein für WILLY RETTICH |
11:10 – 11:25 | Zuffenhausen | Bönnigheimer Str. 34 | 1 Stein für HERBERT FRÖHLICH |
Stolpersteine für Stuttgart: www.stolpersteine-stuttgart.de
StolperKunst – ein Projekt belebt Erinnerung: www.stolperkunst.de
Die Menschen hinter den Namen – Artikelserie: stuttgarter-zeitung.de – stuttgarter-nachrichten.de
Gedenken braucht Orte – ein Erinnerungsort für die Zukunft: www.hotel-silber.de
Stolpersteine in Europa – KunstDenkmal von Gunter Demnig: www.stolpersteine.eu
Veranstaltungen anlässlich der Ermordung der „Schlotterbeck-Gruppe“
24. November 2024: Der Mord an Hermann Schlotterbeck und die Rolle der Gestapo
Podiumsgespräch und Film-Einspieler
mit dem Autor Bernd Burkhardt und
dem Historiker Ulrich Widmann
Moderation: Hermann G. Abmayr
Matinée, Sonntag, 24.11.2024, 11:00 Uhr, Hotel Silber, Dorotheenstr. 10, Foyer
30. November 2024: Gedenkfeier auf dem Friedhof Untertürkheim
Samstag, 30.11.2024, 14:00 Uhr, Gedenkstätte für die Familie Schlotterbeck
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