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Elf weitere Stolpersteine erinnern an Nazi-Verbrechen

Der Künstler Gunter Demnig kommt für die Verlegung der Erinnerungssteine am 16. Mai 2024 wieder nach Stuttgart.

Die Stuttgarter Stolperstein-Initiativen sind weiterhin aktiv dabei, über die Schicksale von Menschen aufzuklären, die brutal von den Nationalsozialisten ermordet wurden. Mehr als 1000 Stolpersteine liegen bereits in Stuttgarter Straßen. Im Frühjahr 2024 werden weitere elf Gedenksteine verlegt. Der Künstler Gunter Demnig, Initiator dieses europäischen Kunst- und Erinnerungsprojektes, wird am 16. Mai persönlich zehn Steine verlegen. Am 18. Juni kommt der elfte Gedenkstein im Rahmen einer Gemeinschaftsverlegung hinzu.

Wie wichtig die Erinnerung an die Verbrechen des NS-Regimes ist, zeigen die aktuellen politischen Entwicklungen nur allzu deutlich. Trotz einer Vielzahl von deutschlandweiten Demonstrationen gegen antisemitische, rassistische und fremdenfeindliche Hetze ist der Einfluss rechtspopulistischer Parteien laut aktuellen Umfragen vor der im Juni anstehenden Europawahl sowie den Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg im September nach wie vor groß. Momentan bemühen sich die demokratischen Parteien, das Bundesverfassungsgericht als Hüterin des Grundgesetzes vor autokratischen Kräften zu schützen. Die Stolperstein-Initiativen wollen mit der Erinnerung an die Entrechteten in der NS-Zeit deutlich machen, dass Widerstand und Zivilcourage frühzeitig notwendig sind, wenn Hass und Gewalt um sich greifen und die demokratischen Grundwerte bedroht werden.

09:30 – 09:45 Uhr: S-Ost, Leo-Vetter-Str. 1 – 1 Stein für den Deserteur KARL KLETT:
In der Leo-Vetter-Straße 1 in Stuttgart-Ost erinnert künftig ein Stolperstein an Karl Klett. Der Maschinenarbeiter Klett, der bei Ausbruch des Krieges gerade 16 Jahre alt war, lebte dort mit seinen Eltern Karl Klett und Pauline geb. Rebmann sowie sechs Geschwistern. Er wurde zur Wehrmacht eingezogen und 1943 in Russland verwundet. Nach einem Heimaturlaub entschloss er sich, nicht an die Front zurückzukehren. Davon erfuhr seine Familie jedoch erst von der Kriminalpolizei. Daraufhin wurde die Mutter im März 1943 verhaftet, beschimpft und gestoßen bis sie zusammenbrach, wie Astrid Leberer und Gudrun D. Greth von der Stolperstein-Initiative Ost recherchiert haben. Pauline Klett blieb bis Ende September 1943 in Haft, obwohl ihr Sohn bereits im Juli 1943 in Wien verhaftet worden war. Im April 1944 verurteilte ihn ein Kriegsgericht wegen „Fahnenflucht“ zum Tod. Noch am selben Tag wurde er erschossen. Die Familie wurde am nächsten Tag per Telegramm benachrichtigt. Die Stadt Wien stellte der Familie sämtliche Kosten in Rechnung, dazu gehörten etwa Sarg, Papierkleid, Leichenwaschung sowie Friedhofsgebühren.

10:05 – 10:20 Uhr: S-Nord, Frühlingshalde 10 – 1 Stein für JOHANNA SCHWERSENZ:
In der Frühlingshalde 10 in Stuttgart-Nord wird künftig ein Stolperstein an Johanna Schwersenz geb. Gerst erinnern. Geboren wurde sie 1867. Sie wurde von den Nazis gedemütigt und entrechtet. 1941 wurde sie – wie eine Vielzahl anderer Stuttgarter Juden – gezwungen, ihre Wohnung zu verlassen und nach Haigerloch umzuziehen. Viele wurden von dort aus in Konzentrationslager verschleppt und ermordet. Johanna Schwersenz starb Anfang 1942.

10:30 – 10:45 Uhr: S-Mitte/S-Süd, Hauptstätterstr. 54 – 1 Stein für den dreijährigen ROLF HUGEL:
In der Hauptstätterstraße 54 – an der Grenze zwischen der Mitte und dem Süden Stuttgarts – hat Rolf Hugel gewohnt. Geboren wurde er 1940, im März 1943 wurde der Bub im Alter von drei Jahren ermordet. Sein Name wird in der Opferliste der „Kinderfachabteilung“ Eichberg im Rheinlandaufgeführt. Als angebliche Krankheit wird „Idiotie, LE (Lupus erythematodes)“ genannt. LE ist eine Autoimmunerkrankung, die häufig die Haut betrifft. Kinder mit Fehlbildungen oder Behinderungen galten in der NS-Zeit als lebensunwert. Etwa 5000 solcher Kinder wurden in sogenannten „Kinderfachabteilungen“ mit Medikamenten getötet; 39 davon wurden in Stuttgart ermordet, hat Karl-Horst Marquart von der Stolperstein-Initiative Stuttgart-Vaihingen herausgefunden. Wann Rolf Hugel in die „Kinderfachabteilung“ Eichberg im Rheinland eingeliefert wurde, ist nicht bekannt. Es gibt keine Krankenakte. Sein Grab auf dem Fangelsbachfriedhof in Stuttgart existiert noch.

10:55 – 11:35 Uhr: S-Mitte, Uhlandstr. 14 A – 4 Steine für ISAK, JOHANNA, FRITZ und CARRY FALK, 1 Stein für MEIER ROSENSTEIN, 1 Stein für FRIEDA SÜSS-SCHÜLEIN: In der Uhlandstraße 14 A in Stuttgart-Mitte wird Gunter Demnig sechs Steine für Isak Falk, Johanna Falk geb. Ebstein und ihre Kinder Fritz Falk und Carry Falk sowie für Meier Rosenstein und Tochter Frieda Süss-Schülein geb. Rosenstein im Beisein von Schüler:innen der Stuttgart American High School (Sponsoring der Steine für die Kinder Fritz und Carry) verlegen. Isak Löw Falk und seine Frau Johanna stammten aus Familien, die im Textilgeschäft tätig waren. Johannas Vater war um 1875 aus der Gegend von Oppeln nach Stuttgart gekommen. Isak Falks Familie stammte aus der Heilbronner Gegend. Seine Eltern starben früh, Verwandte ermöglichten ihm wohl eine Ausbildung. Ab 1919 ist er in Stuttgart. Isak und Johanna heirateten 1922, ein Jahr später wurde Sohn Fritz, 1925 Tochter Carry geboren. Von 1932 bis 1938 betreibt das Ehepaar ein Wäschegeschäft. Ab 1935 wohnen sie in der Uhlandstrasse 14 A im 3. Stock, haben Susanne Bouché von der Stolperstein-Initiative Stuttgart-Nord und Klaus Maier-Rubner von der Göppinger Stolperstein-Initiative recherchiert. Von 1938 an verschärfen sich die Verfolgungsmaßnahmen der Nazis. Die Kinder dürfen nicht mehr in öffentliche Schulen gehen, in kleineren Orten wird das Leben für Juden immer unerträglicher. Aus Schopfloch bei Ansbach zieht die Familie des langjährigen Religionslehrers Meier Rosenstein nach Stuttgart in die Wohnung von Familie Falk. Beide Familien müssen sich zeitweise die Wohnung geteilt haben. Im Mai 1939 nahm sich die verheiratete Tochter Frieda Süss-Schülein wegen des zunehmenden persönlichen und politischen Drucks mit Essigsäure das Leben. Meier Rosenstein musste Ende 1941 in das jüdische Zwangsaltenheim in Eschenau übersiedeln. Isak und Johanna Falk, die im Zwangswohnheim Weißenstein Kreis Göppingen waren, wurden im August 1942 gemeinsam mit Tochter Carry und Meier Rosenstein ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Im Januar 1943 wurde das Ehepaar Falk und die Tochter nach Auschwitz in den Tod geschickt. Meier Rosenstein starb am 24. Juni 1943 in der „Siechenkrankenstube“ an Altersschwäche, wie die Todesfallanzeige des Ghettos Theresienstadt angibt. Fritz Falk war im April 1942 nach Izbica deportiert worden, von wo niemand zurückkam.

11:55 -12:10 Uhr, Vaihingen, Ruppmannstr. 21 – 1 Stein für das Zwangsarbeiterkind ANATOL BONDORENKO: In der Ruppmannstraße 21 in Vaihingen (vor dem Regierungspräsidium Stuttgart) wird des kleinen Anatol Bondorenko mit einem Stolperstein gedacht. Er wurde nur rund zwei Monate alt, war also noch ein Baby, als er an mangelnder Versorgung starb. Anatols Eltern waren Zwangsarbeiter in der NS-Zeit, der Kleine kam im Lager „Heßbrühl“ in Stuttgart-Vaihingen zur Welt. Sein Tod wurde von den Nazis, wie der einer Vielzahl weiterer Kleinstkinder, in Kauf genommen.

Am 18. Juni 2024 wird dann in einer gesonderten Zeremonie im Sparrhärmlingweg 51 in Bad Cannstatt—gemeinsam mit dem Enkel Felix Sperandio aus Berlin und einer Schülergruppe der Altenburgschule—ein Erinnerungsstein für Rudolf Sperandio verlegt (Gemeinschaftsverlegung in Kooperation mit der Altenburgschule für deren ehemaligen Schüler). Sperandio (1908-2004) befand sich als Mitglied der KPD im Widerstand, war auf der Flucht und wurde dennoch mehrmals inhaftiert. Er war der letzte Stuttgarter, der als Interbrigadist an der Verteidigung der Spanischen Republik 1936-1939 gegen den faschistischen Putsch von General Franco beteiligt war.

Stolpersteine für Stuttgart am Donnerstag, den 16. Mai 2024:

09:30 – 09:45

Ost

Leo-Vetter-Str.1

1 Stein für KARL KLETT

    

10:05 – 10:20

Nord

Frühlingshalde 10

1 Stein für JOHANNA SCHWERSENZ

    

10:30 – 10:45

Mitte/Süd

Hauptstätterstr. 54

1 Stein für ROLF HUGEL

    

10:55 – 11:35

Mitte

Uhlandstr. 14 A

4 Steine für ISAK, JOHANNA, FRITZ und CARRY FALK

1 Stein für MEIER ROSENSTEIN

1 Stein für FRIEDA SÜSS-SCHÜLEIN

    

11:55 – 12:10

Vaihingen

Ruppmannstr. 21 (vor dem Regierungspräsidium Stuttgart)

1 Stein für ANATOL BONDORENKO

    

Stolpersteine für Stuttgart am Dienstag, den 18. Juni 2024:

ab 10:45 Uhr

Hallschlag

Sparrhärmlingweg 51  

1 Stein für RUDOLF SPERANDIO

    

Die hier angegebenen Uhrzeiten können nur eine grobe Orientierung für den geplanten Zeitpunkt der Verlegung sein. Verschiebungen lassen sich trotz sorgfältiger Planung leider nicht ganz ausschließen. Änderungen sind möglich. Die Begleitveranstaltungen zu den einzelnen Verlegungen beginnen in der Regel früher. Wer bei einer Steinverlegung dabei sein will, sollte sich deshalb möglichst frühzeitig vor Ort einfinden (20 – 30 Minuten zuvor) und die Mitteilungen der beteiligten Stadtteil-Initiativen beachten! Über Änderungen im Verlauf der Verlegungen informieren wir an dieser Stelle oder über die Tagespresse.

Pressemitteilung der Stuttgarter Stolperstein-Initiativen zu den Verlegungen am 16. Mai und 18. Juni 2024