Bis zur Deportation wohnte Otto Justitz (geb. 1880 ) mit seiner Frau Marie geb. Wertheimer (geb. 1896) und seinen Kindern Mathilde Sybille (genannt Hilde, geb. 1921) und Wilhelm Robert (genannt Willi, geb. 1922) in der damaligen Charlotten- und heutigen Meistersingerstraße in Stuttgart-Degerloch. Otto Justitz arbeitete gemeinsam mit seinen Geschwistern Rudolf, Mathilde und Julius, die im Stuttgarter Westen wohnten, im vom Vater Wilhelm Justitz 1890 gegründeten Juwelier-, Gold- und Silberwarengeschäft in der Rotebühlstr. 35. Das Geschäft wurde in der sogenannten Kristallnacht demoliert und dann aufgegeben.
Nur Julius Justitz konnte der Ermordung durch die Nazis entkommen, da er am 15.3.39 illegal nach Belgien floh und nach dem Einmarsch der deutschen Truppen weiter nach Frankreich. Er wurde in Toulouse und Cyprienne interniert, konnte auf einem Transport fliehen und untertauchen, erhielt durch Vermittlung ein Visum nach Brasilien. Das Schiff wurde aber in Dakar aufgebracht und nach Casablanca geleitet. Er bekam eine Erlaubnis zur Weiterreise, aber in Rio keine Landeerlaubnis. Nach längerer Irrfahrt kam er nach Curacao und von dort endlich nach den USA. Bis dahin mußte auch er viel durchmachen, hungern, um sein Leben bangen, aber er überlebte so wenigstens im Gegensatz zu all seinen Angehörigen.
Von New York aus schildert Julius Justitz am 21.11.1960 in einem Brief an die Stadt Stuttgart, was er über die Ermordung all seiner zurückgebliebenen Angehörigen erfahren hatte.
Sie waren alle am 1.12.1941 nach Riga deportiert worden und dort umgekommen. Besonders ausführlich schreibt er über seine Nichte Hilde. Sie arbeitete in einem Altersheim in Köln , da ihr Wunsch, Krankenschwester zu werden, ihr von den Nazis verweigert wurde. Als ihre Familie die Nachricht erhielt, dass sie sich an einem bestimmten Tag zu einer bestimmten Zeit zum Abtransport zu melden habe, eilte sie heim nach Stuttgart. Im Lager nahm sie sich gemeinsam mit einem jüdischen Arzt ihrer Leidensgenossen an , so auch ihres eigenen Vaters, dem sie eine erfrorene Zehe amputieren musste. Als aber ihre Mutter erkrankte und deshalb zur Tötung abtransportiert wurde, wollte sie diese nicht allein lassen und ging mit ihr gemeinsam in den Tod. Sie wurden zusammen mit anderen Opfern in der Nähe des Lagers ermordet. Sie wurde 21 Jahre alt!
Am 23.9.05 verlegte Gunter Demnig vor dem Gebäude Meistersingerstr. 21 B für die Familie Justitz , die dort im Erdgeschoß schon vor der Machtergreifung durch die Nationalsozialisten und bis zur Deportation gelebt hatte, vier Stolpersteine.
Diese 4 Steine spendeten Mitschüler des Sohnes Willi (Jahrgang 1922) und Dr. Gerhard Raff aus Degerloch, der schon 1995 in seinem schwäbischen Bestseller “Mehr Hirn” auf Seite 49 Otto Justitz erwähnte: “Oder wie der freundliche Herr Otto Justitz aus dr Charlottestraß uff oimal nemme en Stall komme isch mit seim Milchkännle, weil se`n mit Weib ond Kender em Viechwaggo nach Riga verfrachtet hend.”
Verlegung der Stolpersteine: 23. September 2005
Recherche und Text: Doris Neu, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Degerloch.
Doris Neu: Die Ermordung der Degerlocher Familie Justitz. In: Harald Stingele und Die AnStifter (Hrsg.): Stuttgarter Stolpersteine. Spuren vergessener Nachbarn; ein Kunstprojekt füllt Gedächtnislücken. Filderstadt 2006