Klara Brettheimer, geb. Lämle, am 27.9.1892 in Bretten in Baden geboren, war seit 1935 Witwe. Ihr Mann Wilhelm (geb. 1879) war Teilhaber der Firma Badisch-Württembergische Weinbrennerei Hirsch & Lichter mit Sitz in der Bopserstraße 2 / Ecke Schlosserstraße. Hier wohnte auch Max Brettheimer, der Vater Wilhelms, als Privatier, also im Ruhestand, zusammen mit seiner Frau Babette, geb. Lichter. Sie alle: Max, Babette und Wilhelm ruhen auf dem Israelitischen Teil des Pragfriedhofs. Ein solch friedliches Lebensende war Klara, Lisa Lotte und der Großmutter Mina Lämle nicht vergönnt!
1919 hatten Klara und Wilhelm geheiratet und zuerst in der Danneckerstraße 12 gewohnt. Hier wurde ihre Tochter Lisa Lotte Brettheimer am 8.3.1922 geboren, das einzige Kind des Ehepaares. 1930 zog die Familie ins eigene Haus Neue Weinsteige 65, Lisa Lotte war acht Jahre alt.
Die Großmutter Mina Lämle, geb. Maier, am 5.3.1870 in Lehrensteinsfeld bei Weinsberg geboren, wohnte nach dem Tod ihres Mannes bei ihnen. Sie hatte 1891 in Heilbronn den Kaufmann Aron, genannt Arnold, Lämle (1864-1927) geheiratet und jahrzehntelang mit der Familie in Bretten gelebt. Von den drei Töchtern Klara, Hilda und Etha war Klara die älteste.
Nur wenige Jahre währten Unbeschwertheit und Glück; 1933 zog die Bedrohung durch den Nationalsozialismus herauf, 1935 starb der Vater von Lisa Lotte, Wilhelm Brettheimer, sie war erst 13 Jahre alt.
Die vier Teilhaber der Firma – Klara Brettheimer, Paul Lichter, Adolf Emrich und Julius Schlesinger – mussten nun die Liquidierung der Firma erleben. In den Wiedergutmachungs-Verhandlungen urteilte 1953 eine nichtjüdische Weinbrennerei aus Stuttgart-Feuerbach: bei der Weinbrennerei Hirsch & Lichter handelte es sich um eine ausgezeichnet und fachmännisch geführte Spirituosenfabrik mittleren Umfangs mit Schwerpunkt Abfüllung, Lagerung und Versand. Die eigentliche Brennerei war in Bruchsal. Niedergang und Enteignung der alten Familien-Firma, Entziehung des Vermögens, Verarmung und Entrechtung mussten die drei Frauen erleben, bis ihnen zuletzt das Leben genommen wurde.
Die beiden Jüngeren, die 49jährige Klara und die 19jährige Lisa Lotte müssen zuerst das Haus am Bopserwald verlassen. Auf Befehl der Gestapo teilt die Jüdische Kultusvereinigung selbst den Betroffenen mit, dass sie sich ab dem 27. November 1941 im Sammellager auf dem Killesberg einzufinden haben, für eine Umsiedlung nach dem Osten, so hofft man. Denn es sollen Handwerkszeug, Küchengerät, Öfen bis hin zu Nähmaschinen mitgebracht werden. Nur unter 65Jährige bekommen diese Aufforderung.
Am 1. Dezember 1941 geht der erste Transport mit etwa 1000 württembergischen Juden vom Güterbahnhof des Nordbahnhofs ab nach Riga. Die Unterkünfte im Eingangslager Jungfernhof sind erbärmlich; die Häuser, Scheunen und Stallungen des ursprünglich landwirtschaftlichen Gutes sind beschädigt, im eisig kalten Winter erfrieren jede Nacht Menschen.
Für die junge Lisa Lotte endet die Spur hier. Starb sie an Hunger oder Kälte oder war sie bei den etwa 1600 Erwachsenen und 240 Kindern, die am 26.3.1942 im Wald von Bikernieki erschossen wurden, weil sie für die anstehenden Frühjahrsarbeiten zu schwach waren?
Später wird sie auf 8.5.1945 für tot erklärt.
Für ihre Mutter, Klara Brettheimer, findet sich beim Internationalen Suchdienst in Bad Arolsen eine nachträglich am 20.2.1968 hier ausgestellte Sterbeurkunde:
Sie ist am 20. Dezember 1944 um 14 Uhr in Stutthof bei Danzig verstorben.
Todesursache: Herz – allgemeine Körperschwäche.
Geprüfte Unterlagen: Häftlingspersonalakte und Todesmeldung des KL Stutthof.
Demnach lebte sie noch, als alle Insassen der Lager um Riga im August 1944 westwärts ins Lager Stutthof bei Danzig verlegt wurden.
Ob Datum und Uhrzeit ihres Todes und vor allem die angegebene Todesursache stimmen, ist fraglich. Es erinnert an die fingierten Sterbeurkunden aus Auschwitz, die man an nachfragende Angehörige verschickte.
Für die 71jährige Mina Lämle sieht die perfide durchdachte Todesmaschinerie der Nazis eine andere Behandlung vor: statt zur “Umsiedlung nach dem Osten” für die noch tatkräftigen Jüngeren wird sie in eines der “Jüdischen Altersheime” eingewiesen, die in Stuttgart und überall in Württemberg auf dem Land eingerichtet worden waren, für die Sammlung der Alten. Mina Lämle wird am 30. Dezember 1941 in das zum Altersheim umfunktionierte Schloss in Eschenau evakuiert. Es liegt ganz nah bei ihrem Heimatort Lehrensteinsfeld. Wie groß muss Entsetzen und Traurigkeit in ihr gewesen sein, am Ende ihres Lebens in qualvoller Enge bei unzureichender Versorgung mit Lebensmitteln dahinvegetieren zu müssen, der Ort der Kindheit so nah und sich doch nicht hinretten zu können. Im März vollendet sie in Eschenau ihr 72. Lebensjahr.
Am 22. August 1942 wird Mina Lämle wie etwa 1100 andere überwiegend alte Menschen nach Theresienstadt deportiert, das von der Gestapo zynisch als das jüdische Altersheim des Reichs bezeichnet wird. Im selben Sammellager auf dem Killesberg wie ihre Tochter und Enkelin Klara und Lisa Lotte neun Monate zuvor verbringt sie die letzten ein oder zwei Nächte, nach Aussage einer Überlebenden “Nächte des Wahnsinns und des Grauens, mindestens acht Menschen starben”. Wie bei Klara und Lisa Lotte am 1.12.1941 nach Riga verlässt auch dieser Deportationszug am 22.8.1942 nach Theresienstadt die Heimatstadt Stuttgart vom Inneren Nordbahnhof aus.
Wer in Theresienstadt den Schmutz, die Raumnot und den Hunger länger als ein Jahr überlebte oder sich nicht irgendwie nützlich machen konnte, wurde weiter deportiert in die Vernichtungslager. Dieses Ende in den Gaskammern blieb Mina Lämle zumindest erspart, nach knapp vier Wochen starb sie in Theresienstadt am 16. September 1942.
Recherche & Text: 2008 / Irma Glaub, Initiative Stolpersteine Stuttgart-Süd.
Quellen: Staatsarchiv Ludwigsburg, Stadtarchiv Stuttgart.