Menü Schließen

Louise Kirschbaum, Irma und Lore Ostertag , Lange Str. 53

Zeitweise galt Laupheim / Oberschwaben im Königreich Württemberg als Ort mit der größten jüdischen Gemeinde. Sie geht auf einige Judenfamilien aus Illereichen und Buchau zurück, die 1724 durch Reichsfreiherr Anton v. Welden als Schutzjuden in Laupheim „zur Belebung des Laupheimer Markts” angesiedelt wurden. Der Schutzherr unterstützte den Bau von Wohnhäusern für die ersten Schutzjuden-Familien. Um die Jahrhundertwende waren 6% der Bewohner Laupheims jüdischen Glaubens. In der Kriegs- und Zwischenkriegszeit verringerte sich die Zahl um 50 %, sodass die jüdische Gemeinde um 1930 nur noch ca. 250 Mitglieder hatte.
Unter den Abwanderern waren auch Bernhard Kirschbaum * 1.08. 1865 und Luise Löffler *27.01.1864. Am 9.06.1890 heiratete Bernhard die 18 Monate ältere Luise. Am 9.02.1891 kam Tochter Irma Kirschbaum zur Welt. Dann dauerte es immer noch 18 Jahre, bis sie sich entschlossen, 1908 nach Stuttgart umzuziehen. Hier herrschte in dieser Zeit eine nie gekannte Bautätigkeit und Expansion auf allen Gebieten. Es war die Folge der Industrialisierung mit ihrem enormen Bedarf an Arbeitskräften. Der Luftkurort Degerloch wurde in diesem Jahr eingemeindet.

Bernhard und Luise Kirschbaum brachten ihre 17 Jahre alte Tochter Irma mit, die sich zur Kontoristin ausbilden ließ. Die Eltern bauten sich einen Zigarettengroßhandel auf und wohnten ab 1916 im Haus des Bäckers Haarer in der Olgastr. 79, im 1. OG.
Am 6.05.1920 heiratet Irma den Kaufmann Jakob Albert Ostertag, * 6.02.1882, gebürtig aus Laufen / Gaildorf. Dieser unterhielt einen Großhandel für Spitzen und Strickwaren.

Irma wird Mutter von zwei Töchtern: die erstgeborene Elsbeth Irma *25.02.1921, stirbt nach neun Tagen. Tochter Lore Ostertag kommt am 16.02.1922 zur Welt. Ob die Familien in einer Wohnung oder Tür an Tür wohnten, ist nicht bekannt. Die Pläne des kriegszerstörten Hauses Olgastr. 79 sind verbrannt.

Am 29.12.1923 stirbt Bernhard Kirschbaum mit 58 Jahren; sein Grab ist auf dem jüdischen Teil des Pragfriedhofs erhalten (XVIII-I, 2392). Irmas Ehe mit Jakob Albert Ostertag zerbricht und wird am 19.02.1929 geschieden. Jakob Albert, der Vater von Lore, wohnt von da an in der Rötestr. 32. Er lebt von Vertretungen. Seine Spuren verlieren sich; in den Deportationslisten ist er nicht verzeichnet. Nun sind Mutter Luise (65 Jahre), Tochter Irma (38 Jahre) und die Enkeltochter Lore – 6 Jahre, sie kommt gerade in die Schule- in dieser wirtschaftlich schlechten Zeit auf sich selbst gestellt. Sie führen die Geschäfte mit Tabak- und Strickwaren weiter. Es wird vorrangig mit Damenstrümpfen gehandelt.
Kirscbaum Luise, Aquarell 1952
Luise ist im Rentenalter, als sich die politischen Verhältnisse verschlechtern. 1931 ziehen sie zusammen in die Langestr. 53 / 3. OG. Dort erleben sie 1938 die Pogromnacht und den Synagogenbrand in der Nachbarschaft. – 1940 hat sich der Nazi-Terror gegen die jüdische Bevölkerung voll entfaltet. Die drei Frauen müssen den Judenstern und den Zunamen Sara tragen. Sie müssen in ein Judenhaus in die Eberhardstr. 1 umziehen (s. auch Martha und Julius Baer).

Großmutter Luise wird nach kurzer Zeit in das Zwangsaltenheim nach Tigerfeld gebracht. Am 22.08.1942 wird sie in das Ghetto Theresienstadt und fünf Wochen später in das KZ Treblinka deportiert, wo sie im 79. Lebensjahr ermordet wird. Irma Ostertag (51J.) und Tochter Lore (20 J.) wurden am 26.04.1942 nach Izbica deportiert und sind verschollen.

Alle Nachforschungen in Archiven, im Standesamt und in Melderegistern führten, außer zu nüchternen Lebensdaten und Adressen, zu keinen zusammenhängenden Lebensläufen; selbst Fotos konnten von ihnen nicht gefunden werden.
Vermutlich haben auch keine Verwandten oder Freunde überlebt, die um die Kirschbaum/ Ostertags trauern konnten. In den Wirren des Krieges und der Nachkriegszeit nahm man zur Kenntnis, dass sie deportiert wurden, wie viele Andere, die nur in nüchternen Listen aufgeführt sind. Kein Überlebender, kein Verwandter oder Nachbar hat nachgeforscht oder einen Antrag auf Entschädigung gestellt.
.
Recherche,Text: Gebhard Klehr
Quellen:Stadtarchiv Stuttgart,Staatsarchiv Ludwigsburg, Hauptstaatsarchiv Stuttgart
Maria Zelzer:”Weg und Schicksal der Stuttgarter Juden”.

Literatur: “Die jüdische Gemeide Laupheim und ihre Zerstörung”, Hrsg. Dr. Anje Köhlerschmidt und Karl Neidlinger.

Spender/Paten der Kleindenkmale:
für Luise Kirschbaum: Manfred und Brigitte Grohe, Stuttgart
für Irma Ostertag: Susanne Joos, Stuttgart
für Lore Ostertag: Mechthild Theiss, Aalen